Großveranstaltungen in Bayern Warum viele Festivals und Konzerte immer noch nicht abgesagt sind
Es ist eine seltsame Situation: Auf den Webseiten von Konzertveranstaltern sind für diesen Sommer noch diverse Events gelistet – obwohl eigentlich alle wissen, dass die nicht stattfinden werden. Was immer noch fehlt, ist ein offizielles Verbot.
Die Bayreuther Veranstaltungsagentur Motion führt in ihrem Kalender noch ein Open Air am Dechsendorfer Weiher auf: am 30.07. sollen dort Moop Mama, dicht & ergreifend und Monobo Son spielen. Die Bundesregierung hat Mitte April allerdings alle Großveranstaltungen bis Ende August verboten.
Das gilt auch für Bayern, aber weil von der bayerischen Landesregierung noch nicht definiert wurde, was genau eine "Großveranstaltung" ist, sagen Veranstaltende ihre Konzerte und Festivals noch nicht ab. Wenn sie das tun würden, ohne sich auf ein Verbot von den Behörden berufen zu können, würden sie nämlich auf sämtlichen Kosten sitzen bleiben. Ticketerstattung, Künstlergagen, Entschädigung für Technik- und andere Dienstleister - all das müssten sie aus eigener Tasche bezahlen, weil Versicherungen in diesem Fall nicht greifen würden. "[Eigenmächtige Absagen] hätten für manche kleine und mittelständische Konzertveranstalter dramatische wirtschaftliche Folgen", schreiben die Veranstalter von Motion auf ihrer Webseite.
Veranstalter warten auf klare Ansagen
Deshalb warten viele Veranstaltende in Bayern auf eine gesetzlich gültige Verordnung der Landesregierung: ab wann ist eine Veranstaltung eine Großveranstaltung - und somit von den Behörden verboten? Mit einer klaren Regelung, so die Veranstaltenden, ließe sich bei Absagen als Grund "höhere Gewalt" angeben, Ausfallversicherungen (falls solche abgeschlossen wurden) würden einspringen, und der finanzielle Schaden würde sich in Grenzen halten. Matthias Mayer, Veranstalter bei Motion GmbH, wünscht sich deswegen endlich eine eindeutige Ansage vonseiten der bayerischen Regierung:
"Das Verbot der Großveranstaltungen – das wir prinzipiell in der aktuellen Situation für richtig halten – muss näher definiert werden. [In dem Fall könnten wir] sofort die Veranstaltungen absagen, wir könnten Ticketkäufern versichern, dass sie ihr Geld zurückbekommen, wir könnten mit Künstlern einen Ersatztermin verhandeln. Die Frustration wächst: Kunden kontaktieren uns und haben langsam kein Verständnis mehr für die Unklarheit. Die haben Hotels gebucht, die haben Reisen gebucht, und wir können ihnen nicht endgültig sagen, wie es mit den Veranstaltungen aussieht."
Matthias Mayer im PULS-Interview
Auch Dietmar Lupfer, Leiter des Muffatwerks in München, in dem diesen Sommer u.a. wavvyboi und Bright Eyes spielen sollten, sagt:
"Eine Definition dessen, was eine Großveranstaltung ist, ist die Grundvoraussetzung dafür, wie Veranstaltende planen und arbeiten können. Alles, was Klarheit schafft, hilft. Der Freistaat muss definieren, was welcher Veranstaltungstyp ist. Und das fehlt uns momentan komplett."
Dietmar Lupfer im PULS-Interview
Wie geht es für Festivals weiter?
Die Regelungen sind momentan noch je nach Bundesland unterschiedlich: in Schleswig-Holstein zum Beispiel gelten alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmer*innen als Großveranstaltungen, in Hessen sprach Ministerpräsident Volker Bouffier von einer Grenze von 100 Teilnehmer*innen – eine offizielle, rechtlich gültige Regelung gibt es dort auch noch nicht.
Bayerns Staatsminister für Kunst und Wissenschaft Bernd Sibler beruft sich im PULS-Interview ebenfalls auf eine Zahl von 1000 Besucher*innen pro Veranstaltung: "Diese Richtgröße hat unter anderem dazu geführt, dass das Oktoberfest abgesagt wurde. Daraus kann man entsprechende Schlüsse ziehen." Die von bayerischen Veranstaltenden geforderte gesetzliche Verordnung steht immer noch aus, momentan berät sich die Kulturminister Konferenz (Kulturminister*innen der einzelnen Bundesländer) zusammen mit der Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung über ein Konzept, das wiederum am 20. Mai von den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin besprochen wird. In diesem Konzept könnten Regelungen zu Teilnehmer-Zahlen enthalten sein - festlegen möchte sich Staatsminister Sibler aber nicht.
"Wie es mit den Definitionen [von Großveranstaltungen] aussieht, wird man sehen. Es wird auch sehr stark auf den Charakter der verschiedenen Veranstaltungen ankommen. Die Erfahrungswerte zeigen aber, dass schon alles im Bereich von 100 [Besucher*innen] sehr problematisch ist. Das ist ein Prozess des Sich-Heran-Arbeitens, aber dass dieser Sommer sehr schwer wird, wissen alle."
Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Bernd Sibler im PULS-Interview
Dass Veranstaltende ihre Festivals und Konzerte bald mit rechtskräftiger Begründung durch die Behörden absagen können, würde zumindest dafür sorgen, dass für alle Beteiligten – Veranstaltende, Künstler*innen und Publikum – Klarheit herrscht. Aber wie geht es dann weiter? Christian Waggershauser, der zusammen mit Dietmar Lupfer das Muffatwerk leitet, warnt vor der Zange zwischen dem, was rechtlich erlaubt sein wird – und dem, was wirtschaftlich machbar ist.
"Es hängt viel davon ab, wie das Hygienekonzept vom Freitstaat und dem Gesundheitsamt aussieht. Eine reine Zahl [die darüber entscheidet, was eine Großveranstaltung ausmacht] hilft uns nur dann etwas, wenn wir wissen, mit welchen Kapazitäten wir arbeiten dürfen. Die Veranstalterszene hat schon gesagt: wenn nur 10-20% der ursprünglichen Besucherkapazitäten in den Clubs erlaubt sind, dann rechnet sich das einfach nicht."
Christian Waggershauser im PULS-Interview
"Ein paar Dixiklos werden da nicht reichen"
Für die meisten Veranstaltenden in Bayern ist klar: dieses Jahr werden Konzerte, so wie wir sie aus der Zeit vor Corona kennen, nicht mehr stattfinden – oder erst dann, wenn es einen Impfstoff gegen das Virus gibt. Bis zu diesem Zeitpunkt, sagen sie, brauchen sie dringend staatliche Hilfe. Am Donnerstag, den 14. Mai, verkündete Ministerpräsident Söder, dass der Etat des Hilfsprogramms für Kulturschaffende in Bayern von 90 auf 200 Millionen Euro aufgestockt wurde. Laut Kunstminister Sibler soll dieses Hilfsprogramm auch für Veranstaltende im Festival-Bereich für Entlastung sorgen.
"Festivalveranstalter und Menschen, die Veranstaltungsräume betreiben, sind oft in überschneidenden Zielgruppen dabei. Die Details werden wir genauer bestimmen, aber grundsätzlich wollen wir neben der konkreten Hilfe für Künstlerinnen und Künstler auch die Strukturen drum herum erhalten."
Kunstminister Bernd Sibler im PULS Interview
Matthias Mayer nennt die Aufstockung des Hilfsprogramms "einen wichtigen Schritt", will mit einem finalen Urteil aber noch warten.
"Was das letztendlich wert ist, wird man erst wissen, wenn sich herausstellt, wie lange dieser Zustand anhält, in dem Veranstalter und Künstler ohne Einnahmen dastehen."
Matthias Mayer, Motion GmbH
Jonas Seetge ist ebenfalls besorgt. Er hat enorm viel Erfahrung im Festival-Bereich, hat mal bei der Booking-Agentur Landstreicher (u.a. Keke, AnnenMayKantereit) gearbeitet und ist aktuell auch Mitinitiator von Höme, einem Online-Magazin für Festival-Kultur. Er fordert einen bundesweiten Kultur-Rettungsfonds, der eng an die Bedürfnisse der Branche angepasst ist - auch weil noch in den Sternen steht, wie die Situation im nächsten Jahr sein wird.
"2021 müssen wir Sicherheitskonzepte neu aufstellen, neue Hygieneauflagen erfüllen - ein paar Dixieklos werden da nicht ausreichen. Das führt dazu, dass die Kosten viel höher sind. Die Ticketpreise werden nicht steigen, weil hoffentlich viele das Angebot annehmen werden, ihr Ticket von 2020 auf 2021 zu transferieren. Für mich heißt das dann, dass ich 2020 wahrscheinlich keine Einnahmen habe, 2021 definitiv keine höheren Einnahmen, aber dafür höhere Kosten. Das Problem wird also nur nach hinten verlagert. Wir brauchen auf jeden Fall staatliche Hilfe."
Jonas Seetge im PULS-Interview
Die Kulturlandschaft wird sich verändern
Was das Ganze nicht einfacher macht: es gibt sehr viele verschiedene Arten von Festivals, die unterschiedlich groß sind, unterschiedlich organisiert, verschiedene Versicherungs-Regelungen haben - und natürlich zu verschiedenen Zeiten stattfinden. Das Immergut-Festival in Brandenburg wurde zum Beispiel von Mai auf September diesen Jahres verschoben - die Verantwortlichen wissen aber immer noch nicht genau, ob sie unter den dann geltenden Auflagen grünes Licht haben.
Eine Lösung zu finden, die allen Bedürfnissen der großen und kleinen Festivals gerecht wird - das ist die Herausforderung, vor der die Politik jetzt steht. Falls das nicht klappt, sieht Jonas Seetger schwarz für die Zukunft der deutschen Festival-Landschaft.
"Im schlimmsten Fall - und der zeichnet sich schon ab - haben wir nach Corona eine komplett andere Kulturlandschaft in Deutschland als davor. Eine Kulturlandschaft, die nicht mehr so divers ist, und in der die großen Unternehmen und Konzerne die Möglichkeit hätten, durchzuhalten - und die kleinen nicht. Das wäre sehr schade."
Jonas Seetge, Höme
Ein verlorener Festival-Sommer könnte auch ein großes Loch in die Bilanz der gesamten Musikindustrie reißen. Laut Marktforschungs-Firma Statista machten Musikfestivals in 2017 mehr als 70% des gesamten Musikmarkt-Umsatzes in Deutschland aus. Die britische Tageszeitung The Guardian berichtet diese Woche, dass 92% der britischen Festivals durch die Corona-bedingten Absagen am Rande der Existenz stehen. Aktuell wünscht sich Matthias Mayer von Festivalbesucher*innen vor allem eines: Geduld.
"Verständnis dafür, dass wir auf Fragen zu Entscheidungen über einzelne Veranstaltungen gerade leider oft nur mit 'Abwarten' antworten können, und auf andere Fragen gar nicht, wäre toll. Aber ich muss auch sagen, dass fast alle Anrufe und E-Mails von Ticketinhabern, die wir bekommen, sehr freundlich und verständnisvoll sind."
Matthias Mayer, Motion GmbH
Sendung: PULS am 18.05.2020 - ab 15.00 Uhr