Interview mit Felix Kummer "Ich habe das Gefühl, dass ich mehr über die Landtagswahl in Sachsen rede als über meine Musik"
Der Kraftklub-Kopf kann auch Solo: Auf seinem Album "KIOX" will Kummer Rap wieder weich und traurig machen. Im Interview erzählt er uns, warum Lana Del Rey für dieses Vorhaben wichtig war und was veraltete Männerbilder, Chemnitz und die ganze Ost-West-Problematik damit zu tun haben.
PULS: Mit Kraftklub hast du Sprechgesang auf Indie-Rock gemacht. Kummer ist jetzt richtiger Rap. Hattest du das Gefühl, erstmal beweisen zu müssen, dass du auch richtig rappen kannst?
Kummer: Nein, für mich ist das unerheblich, ob die Bass Drum von einem Schlagzeug oder aus einer Beatmaschine kommt. Ich rappe nur, weil ich nicht singen kann. Ich muss niemanden von meinen Rapskills überzeugen oder einen geilen Flow auspacken, nur damit mich jemand dafür feiert. Ich hör mir gerne Rap an und mag das, wenn Leute geil abflowen - aber für mich ist das nichts.
In einer Rezension zu "KIOX" habe ich gelesen, dass deine Platte musikalisch von Lana Del Ray inspiriert ist und du Texte auf Instrumentals ihrer Songs geschrieben hast. Was hat es damit auf sich?
Mein Grundproblem ist, dass ich kein Musiker bin. Ich kann kein Instrument spielen, geschweige denn Noten lesen. Ich habe in meinem Kopf eine Vorstellung, wie Songs klingen sollen, aber kann das nicht richtig ausdrücken. Ich bin großer Fan von Lana Del Ray. In ihrer Musik gibt es immer wieder Momente, die in mir was auslösen - und diesen Vibe wollte ich auch für meine Platte. BLVTH (Produzent und Musiker aus Berlin, Anm. d. Redaktion) hat mich durch diese Lana Del Ray Beispiele sehr gut verstanden und hat mir genau das gegeben, was ich wollte. Als ich dann mit BLVTH in der Produktion der Platte war, haben die Songs häufig dazu geneigt, zu artsy zu werden. Die Drunken Masters (Producer-Duo aus München, Anm. d. Redaktion) waren dann diejenigen, die uns wieder zurück in die Realität geholt und Ordnung in unser künstlerisches Chaos gebracht haben.
Du rappst unter anderem in deinem Song "Nicht die Musik" die Zeile: "Ich mach Rap wieder weich, ich mach Rap wieder traurig" und kritisierst Kollegah. Bist du als Teenie nicht auch voll auf diesen Aggro-Rap abgegangen?
Doch, auf jeden Fall. Nur weil ich weichen, traurigen Rap mache, heißt das nicht, dass ich nicht gerne auch harten Rap höre. Ich mach halt nur selbst keinen. Speziell in diesem Song geht es ja nicht nur um Selbstoptimierung von Rappern, sondern generell um das von der Gesellschaft vermittelte Männlichkeitsbild. Männer dürfen keine Emotionen zeigen und müssen immer nach Reichtum streben – das sind alles Dinge, die dir in jedem zweiten Managerseminar vermittelt werden. So Rapper wie Kollegah haben sich das nicht einfach ausgedacht. Das sind Ideale, die in unserer Gesellschaft verankert sind.
Findest du nicht, dass genau dieses Männlichkeitsbild damals schon von Aggro Berlin in das ganze Rapgame eingeführt wurde?
Doch, finde ich schon. Das war die pure Antihaltung zu diesem damals populären sehr braven Rap - und das hat mich zu der Zeit auch total abgeholt. Aber ich fand es damals schon ungeil, dass Bushido "Schwuchtel" gesagt hat. Das ist aber heute nicht anders: Du hörst einen Künstler, weil du die Musik eben gut findest, und dann macht genau der Künstler problematische Ansagen oder arbeitet mit problematischen Leuten zusammen. Ich kann Kollegahs fast schon sektenartiges Selbstoptimierungscamp kritisieren und trotzdem "Zuhältertape 1" krass feiern. Das sind eben die Widersprüche. Aber wo sollte es die sonst geben, wenn nicht in der Kunst.
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KUMMER - 9010 (official video)
Du hast einen Song auf der Platte, der sich explizit mit der Naziproblematik in Ostdeutschland auseinandersetzt. "9010" ist aber nicht nur politisch, sondern auch sehr persönlich. Trotzdem drehen sich derzeit fast alle Interviews, die du gibst, um dieses Thema. Hast du damit gerechnet?
Auch wenn das, was ich in dem Song erzähle, nicht mal besonders politisch ist, hat das ja trotzdem einen politischen Kontext. Manchmal kommt es mir so vor, also hätten die Menschen in Westdeutschland noch nie einen Ostdeutschen gesehen. Die fragen mich dann all die Fragen, die sie schon immer wissen wollten und ich denke mir oft: Alter, ich bin 30 Jahre alt, also ein halbes Jahr vor dem Mauerfall geboren. Ich kann jetzt schwer die Seelen der Ostdeutschen mit DDR-Biografien erklären.
Wie oft hast du dann den Drang zu sagen: Ich weiß es doch auch nicht?
Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass ich mehr über die Landtagswahl in Sachsen, als über meine Musik rede. Aber es ist nicht so, dass ich diese politischen Fragen nicht nachvollziehen könnte. Ich frag mich ja selbst auch die ganze Zeit, was da eigentlich los ist.
Wie war das im August 2018, als plötzlich alle Welt auf Chemnitz geschaut hat?
Das war wirklich völlig surreal. Für diese kleine Stadt ist einfach viel zu viel in zu kurzer Zeit passiert. Da ist auf jeden Fall etwas in der Stadtgesellschaft kaputtgegangen. Jetzt, ein Jahr später, suchen alle nach einer Vorgehensweise, wie man damit umgehen kann - aber es gibt keine richtige Lösung und ich habe auch keine Idee. Ich finde auch, dass die Kritiken an dem Wirsindmehr-Konzert durchaus berechtigt sind. Wir haben das innerhalb von vier Tagen auf die Beine gestellt und da ist sicherlich Vieles auf der Stecke geblieben. Uns wurde schon vorgeworfen, dass wir mit dem Ding noch mehr zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen haben. Natürlich haben wir mit dem Konzert nicht mal eben schnell das Rechtsextremismus-Problem gelöst. Das ist aber auch nicht unsere Aufgabe. Das hat 30 Jahre lang die Landesregierung verkackt.
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KUMMER: Wie sich der Kraftklub Sänger gegen Rechtsextremismus positioniert II PULS Musik Analyse
Du äußerst dich generell immer sehr kritisch gegenüber der Landesregierung. Was stört dich da?
Mir geht es einfach zu oft um die AfD. Die AfD ist das Resultat einer Politik, die in Sachsen 30 Jahre lang durchgehend von der CDU betrieben wurde. Die haben immer weggeschaut, wenn es um Rechtsextremismus ging und wirtschaftliche Interessen darüber gestellt. Frei nach dem Motto: Rechtsextremismus ist, wenn überhaupt, ein Imageproblem. Gleichzeitig waren die linken Strukturen schon immer der große Feind. Antifaschismus ist extrem kriminalisiert worden und dann haben sie sich gewundert, wo die AfD auf einmal herkommt. Davon wollen sie sich jetzt wiederum aber komplett abgrenzen und das ist, finde ich, ein bisschen zu einfach.
In "9010" beschreibst du deine persönlichen Erfahrungen mit Rechtsextremismus. Hast du im Teenageralter schon mitbekommen, wie die Leute um dich herum in die rechte Szene abgedriftet sind?
Wenn man in dörflichen Verhältnissen mit den Böhsen Onkelz aufwächst und viele in der Schule sind, die das auch geil finden, dann kann ich diesen Prozess sogar ein Stück weit nachvollziehen. Für uns war aber immer schon klar, dass das eine uncoole Welt ist. Das war so ein reines Männerding – und beschissene Musik haben die auch gehört.
Ich bin in Bayern groß geworden und mir war diese Ossi-Wessi-Debatte immer ziemlich egal. Ich habe aber manchmal das Gefühl, dass genau diese Einstellung von Ostdeutschen als provozierend empfunden wird. Warum kann man nicht einfach ignorieren, wo jemand herkommt?
Mir war auch immer relativ egal, ob jemand jetzt aus Ost- oder Westdeutschland kommt. Allerdings hatte ich ehrlich gesagt immer schon einen latent existierenden Minderwertigkeitskomplex. Ich hatte immer das Gefühl, dass es ein soziales Gefälle von urbanem Raum zu Provinz gibt, aber nicht von West nach Ost. Diese Geschichten vom arroganten Besser-Wessi und dem zurückhaltenden und bescheidenen Ostdeutschen halte ich für Quatsch. Menschen sind unterschiedlich. Die Frage, was denn mit denen da drüben eigentlich los ist, wird aber auch immer nur aus der westdeutschen Perspektive gestellt. Klar, das fühlt sich natürlich nicht geil für einen aus dem Osten an.
Sendung: PULS am 20.10.2019 - ab 19.00 Uhr