Lektüreschlüssel: POP Modern Talkings "You're My Heart, You're My Soul" als klassische Gedichtinterpretation
Gaga-Poesie oder die finale Lösung des Leib-Seele-Problems? Ist "You're my Heart, You're My Soul" ein übersehener, philosophischer Geistesblitz Dieter Bohlens? Der "Lektüreschlüssel: POP" nimmt sich der Sache an!
1983, knapp 2200 Jahre nachdem Archimedes die Kreiszahl Pi im Sand entdeckt hatte, sitzt ein gewisser Dieter Bohlen am Strand von Mallorca. Wie der griechische Mathematiker, hat auch er unter dem klaren Sternenhimmel der nördlichen Hemisphäre eine Erleuchtung, die den Lauf der Welt verändern wird. Unter einem Sonnenschirm auf einer Badeliege schreibt er die ersten Zeilen von "You're My Heart, You're My Soul".
Der Song verkauft sich auf der Welt millionenfach und macht Dieter Bohlen und den Sänger Thomas Anders zu internationalen Superstars. Trotz all des kommerziellen Erfolgs, belächeln intellektuelle Zirkel jedoch jahrzehntelang selbstgefällig die scheinbar plumpe Liebeslyrik des Stücks. Dass Bohlen den Song in weniger als zehn Minunten geschrieben haben will, nutzen Journalisten und Wissenschaftler als Beweis für die sprachliche Einfalt. 2220 Jahre nachdem man unverständig den Visionär Archimedes am Strand von Syrakrus erschlagen hatte, fällt die Popwelt über das Genie Dieter Bohlen her. Ein großer Irrtum, wie sich noch herausstellen sollte.
Das Leib-Seele-Problem
Seit der griechischen Antike ist das Leib-Seele-Problem ungelöst. Das klassische Dilemma der abendländischen Philosophie, ob Körper und Geist des Menschen getrennt oder verbunden funktionieren und wie zur Hölle das vonstatten geht, beschäftigt Philosophen seit mehr als 2000 Jahren - bis 1983. Auf den Spuren Descartes und Platons hat Dieter Bohlen das große Rätsel um die menschliche Seele gelöst: "You're My Heart, You're My Soul" ist nicht weniger als die Proklamation der Einheit von Leib und Seele des Menschen:
"You're my heart, you're my soul
I'll be holding you forever, stay with me together."
You're My Heart, You're My Soul, Modern Talking
Der Dualismus - die Trennung von Körper und Geist - löst sich auf: Das lyrische Ich erkennt sein Herz und seine Seele als verbundene Einheit, Herz und Seele sind eins. Mehr noch: Die Verbindung aus Körper und Geist wird auch auf der sprachlichen Meta-Ebene ausgeführt. Die Trennung ist im Poem längst nichtig, da sich der Kopf des Lyrischen Ichs bereits nicht mehr als Opposition zum Körper denken kann:
"You're my heart, you're my soul
That's the only thing I really know."
You're My Heart, You're My Soul, Modern Talking
Wechselt die Perspektive!
Bohlens Manifest für die Einheit von Körper und Geist ist ein Glaubensbekenntnis zur buddhistischen Lehre. Das Lyrische Ich lenkt uns Europäern den Blick gen Fernost: weg von der westlichen Unterscheidung von Geist und Körper, hin zur spirituellen Wahrheit des Buddhismus. In der Lehre Buddhas sind Körper und Seele nämlich nicht entzweit. Die Poesie der "You're My Heart, You're My Soul"-Lehre des hanseatischen Zen-Meisters Bohlen, liegt in der revolutionären Abkehr von europäischen Denktraditionen. Die bekannte Antithese aus dem Matthäus-Evangelium wird - ebenfalls mit dem Stilmittel des Parallelismus - in der modern-talkingschen Lyrik zur leeren Drohung:
"Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach."
Matthäus 26, 41
"You're My Heart, You're My Soul" ruft uns zu: "Nein, nein ihr Verdammten! Ihr seid Wesen aus Licht, eine heilige Einheit aus Körper und Geist!" Ein Statement, das der prüde Westen mit seinen katholischen Schuld-Dogmen und Sündenfantasien nicht verstehen wollte. Modern Talking ermutigen uns geradezu, frei ist zu handeln und uns weder von Körper noch Geist limitieren zu lassen. Es ist ein lautes OM!, ein Gong-Schlag im Tempel des Determnismus, das Ying im Yang der abendländischen Ignoranz. 谢 (chin.: DANKE!!1!1!), Zen-Meister Bohlen!
Sendung: Filter, 14.02.2018 - ab 15 Uhr