Interview mit Max Herre "Soul ist für mich immer die Grundlage"
Nach sieben Jahren meldet sich Max Herre mit seinem neuen Album "Athen" zurück. Darauf zu hören gibt es persönliche Erinnerungen an seine Kindheit, politische Statements und Kooperationen mit den angesagtesten deutschen Musikern. Wir haben mit ihm über die Entstehung des Albums gesprochen.
PULS: Dein neues Album ist gerade rausgekommen, es beginnt mit dem Titeltrack "Athen". Ein sehr langsamer, schwermütiger Song. Sollte der die Stimmung für das Album setzen?
Max Herre: Schwermut ist nicht unbedingt die Stimmung, Nostalgie vielleicht eher. Der Song steht stellvertretend für Erinnerungen. Es war mir wichtig, dass die Musik Platz lässt, um Geschichten zu erzählen und das auch mitträgt.
Wofür steht Athen für dich?
Athen ist ein Sehnsuchtsort und auch die Idee von einem anderen Leben. Mein Vater, mein Großvater mütterlicherseits und mein ältester Onkel haben da gelebt, ich war oft dort als Kind. Die Geschichte am Anfang der Platte ist also so ähnlich auch passiert. Es gab viele Momente und Erinnerungen, die sich an diesem Motiv und dieser Stadt aufgehangen haben. Im Rahmen der Platte war ich jetzt auch öfter wieder da. Wir haben so einen 20-minütigen Musikfilm gemacht, der diesen Roadtrip auch beschreibt.
Für die Fotos waren wir noch einmal extra da und ich bin die alten Wege abgelaufen und habe alte Freunde von meinem Vater getroffen. Es ist eine total interessante Stadt. Sie erfindet sich gerade neu. Junge Leute, die dageblieben sind, besetzten Räume und erfinden sich neu. Es gibt Ateliers, Kunstplätze, Clubs. Es ist eine gute Stimmung in dieser ganzen Schwierigkeit, eine Aufbruchsstimmung.
Viele Menschen verbinden Athen mit der Finanzkrise oder der "Flüchtlingskrise". Haben diese Assoziationen die Namensgebung beeinflusst?
Ich finde diese Aufladung spannend. Wenn man an Athen denkt, denkt man an die jüngsten Ereignisse und gleichzeitig an jahrtausendealte Geschichte. An ganz viel, was einfach identitätsstiftend ist für uns und unser Denken, unsere Lebensweise. Die Demokratie, die Philosophie, die Medizin, die Mathematik. Alles geht da irgendwie los. Ich mochte diese Idee von Gleichzeitigkeit des Erinnerns und Geschichte.
Den Titelsong hast du zusammen mit Tua geschrieben, er war auch auf deinem letzten Album dabei und kommt wie du aus Stuttgart. Woher kennt ihr euch?
Die Verbindung zu Tua ist eine Stuttgarter Connection und ich schätze ihn sehr als Musiker. Ich hatte ein Fragment und war in Tel Aviv vor zwei Jahren zum Arbeiten. Er kam dann mal für vier, fünf Tage vorbei und wir haben uns viel unterhalten, über das Texten und Musik machen. Er wollte genauer wissen, was ich vorhatte und so entstand dieser Song, der dann auch so eine Blaupause für das Album wurde.
Welcher Sound schwebte dir denn für das neue Album vor? Im Vergleich zum letzten Album, das eher soul-poppig war, erinnert das neue Album wieder mehr an die Musik von Freundeskreis.
Soul ist für mich immer Grundlage für Sachen, die ich mache. Auf dem Album war mir aber wichtig, auch die Musik zu integrieren, die ich die letzten Jahre gehört habe. Etwas Zeitgemäßes und gleichzeitig nicht zu negieren, was ich schon immer gerne gemacht habe. Mich haben psychedelische Musik und Trap-Anleihen interessiert. Die Parallelität ist für mich da in dem Platz, den die Musik lässt. Er entsteht über die Reduziertheit in den Beats. Dazu kommen Texte, die ich um Erinnerungen spinne. Insofern ist mir das irgendwie als Sound vorgeschwebt. Ich glaube, das Album ist sehr offen und eklektisch, ein Statement in die Zeit und nichts Rückwärtsgewandtes.
Auf deinem Album sind Musiker aus mehreren Generationen. Leute in deinem Alter, wie Dendemann oder Afrob, Leute, die mit deiner Musik aufgewachsen sind, wie Fatoni oder OK KID - aber auch absolute Newcomer*innen wie Alli Neumann. Wie hast du die Feature-Gäste ausgewählt?
Ich bin Musikfan und auch Fan von den Musikern, mit denen ich arbeite. Letztlich schreibe und produziere ich meine Musik mit Samon (Kawamura, Instrumental-Musiker und Producer, Anm. d. Redaktion) und Roberto (Di Goia, Produzent und Pianist, Anm. d. Redaktion) zusammen, wir sind zusammen das Produzententeam KAHEDI. Es ist ähnlich, wie ich Instrumente auswähle. Ich merke dann, auf dem Song wäre jetzt die Stimme und diese Inhaltlichkeit toll oder wichtig. Dann denke ich, das würde doch zum Beispiel super zu Trettmann passen. Entweder ich habe die Nummer dann im Telefon, oder ich frage über drei Ecken. Im besten Fall sagen die Leute dann zu und haben Lust.
Sehen die dich manchmal auch als Vorbild?
Naja, es ist schon eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Es ist für mich total unerheblich, ob jemand das Ganze seit ein paar Jahren macht oder eine Ikone ist, weil man übers Musikmachen sehr schnell eine Ebene findet. Das war mit Alli Neumann dann an der Stelle nicht anders als mit einem Dirk von Lowtzow. Man bespielt ganz schnell einen gemeinsamen Raum.
Du arbeitest schon seit Jahren mit dem Jazzgenie Roberto Di Gioia. Welche Rolle hat diese Musik für die neue Platte gespielt?
Es war witzigerweise die Ausgangsbasis. Ich kam 2015 nach München zu Roberto und wir haben Spiritual Jazz und Ethno Jazz ausprobiert, die jetzt eingegangen sind in ein Projekt, das er macht - aber auf meiner Platte kaum Eingang gefunden haben, weil es für mich irgendwie keine Sprache dafür gab, um die Sachen zu betexten. Ich habe es in die Schublade gesteckt und bin eher über die Texte rangegangen. Aber sie schwingen natürlich immer mit, diese Jazz-Sachen. Es gibt einen Song, der heißt "Lass gehen", da kommt es ein bisschen mehr durch. Es gibt zum Beispiel River Tiber in Kanada, einen Musiker, den ich sehr schätze, weil er eben all diese Farben auch benutzt. Jazz, Indie, Soul. Ich mag das, dass es irgendwie eine sehr offene Zeit für Musik ist. Gerade über Leute wie James Blake, Frank Ocean oder Bon Iver, wo sich Urbanität und Indie auch nicht mehr ausschließen. Das kommt mir sehr zugute als Musikliebhaber.
In den 80ern und 90ern war Sampling ja wahnsinnig verbreitet. Ist das komplett verloren gegangen?
Für mich gibt es das schon noch. Es ist immer die Frage, worauf konzentriert sich gerade der Markt? Das ist natürlich sehr monokulturell, gerade geht's nur in diese Trap-Richtung. Aber es gibt natürlich diese ganze Diggin-Culture und die LoFi-Beat-Maker immer noch - und es war mir auch wichtig, das auf dem Album zu zeigen. Wir haben diese tollen Musiker um uns, die Samples auch selbst bauen. Das haben wir fast auf allen Songs, die samplemäßig klingen, auch gemacht, außer auf "Nachts" mit Veronika Fischer, der wirklich auf einem Sample aus den 70er-Jahren beruht.
Man hört auch Panta Rhei, eine 70er-Jahre-Rockband aus der DDR, auf deinem Album. Wie bist du auf die gekommen?
Auch durchs Musiksuchen. In den 90er-Jahren gab es die ersten Partys, auf denen zwischen Funk Breaks von James Brown oder Curtis Mayfield plötzlich Manfred Krug Songs liefen. Alle haben sich gewundert: Wie kann das sein, dass es das in deutscher Sprache gibt? Da fing ich an, mich dafür zu interessieren. Als ich nach Berlin zog, 2002, bin ich selbst über die Flohmärkte gegangen und habe alte Amiga-Platten gesucht. Da ist auch der Song dabei gewesen von Panta Rhei. Irgendwie haben die Musiker auch alles gleichzeitig gemacht in der DDR. Es war da kein Widerspruch, ein Jazz-Projekt zu haben und gleichzeitig Rock- oder Funkmusik zu machen.
Im Song "Dunkles Kapitel" beschäftigst du dich zusammen mit Fatoni, Megaloh, Sugar MFK und Dirk von Lowtzow mit dem Rechtsruck in Deutschland. Du warst auch damals schon mit Freundeskreis recht politisch. Inwiefern hat sich das verändert?
Anfang der 90er-Jahre, Rostock Lichtenhagen, Hoyerswerda. Das hatte damals auf jeden Fall ein anderes Gesicht - aber es war ähnlich bedrohlich. Inzwischen ist der Rechtsruck institutionell. Das heißt, die Leute sitzen auf Richter- und auf Lehrerstühlen und allerortens in der Polizei, das hat eine andere Dimension. Und das war der Song. Für mich war es auch wichtig, als Bild eine Parallelität zur späten Weimarer Republik aufzuzeigen. Wenn man sich überlegt, dass 1930 die NSDAP 18 Prozent hatte und drei Jahre später über 40 Prozent, stärkste Partei wurde und demokratisch legitimiert an die Macht kam, dann finde ich, ist da schon eine Parallelität dar.
Wiederkehrendes Motiv auch in zwei Songs: das Özil-Trikot in "Sans Papiers" und "Alte Tonhalle". Es wird jeweils von Menschen getragen, die fliehen oder davor sind, ihre Heimat zu verlassen. Bei Mesut Özil, einem türkischstämmigen deutschen Fußballspieler gab es 2018 wegen eines Fotos mit Erdogan einen Shitstorm. Warum hast du dieses Symbol gewählt?
Dazu muss ich sagen: Beide Songs sind vorher entstanden. Das hat etwas mit dieser WM 2006 zu tun, wo man das Gefühl hatte, es gibt keinen Unterschied zwischen einer migrantischen Herkunft und einer deutschen Nationalität. Da wurde Özil für mich eine Figur, die eine Sehnsucht definiert hat. Vielleicht von Leuten, die noch nicht in Deutschland sind, aber mit dieser Nationalmannschaft etwas verbinden. Ein Land, das weltoffen ist. Weil es diese Kontroverse aber gibt, fand ich es gerade gut zu sagen: An dieser Message halte ich fest, auch wenn ich ihn politisch vielleicht fragwürdig finde - er war eine integrale Figur.
Sendung: PULS am 11.11.2019 - ab 19.00 Uhr