Realness im Deutschrap Von Fake-Waffen und gemieteten Autos
Luxus-Autos, teurer Schmuck, scharfe Waffen – deutsche Rapper*innen inszenieren sich in ihren Musikvideos gern als Mafia-Größen. Unsere Recherche zeigt aber: Die Utensilien sind oft nur geliehen.
Deutsche Narcos bei der Arbeit: Als begleite man Drogenbarone ins finstere Herz der organisierten Kriminalität, folgt die Kamera Veysel und Kontra K im Video zu "Blei" in ihre Waffenkammer. Sie rüsten sich für den anstehenden Häuserkampf, an den Wänden hängen Sturmgewehre und Handfeuerwaffen wie anderswo teure Ölgemälde.
Im April 2019 landete der Song in den deutschen Single-Charts auf Platz 6. Bei Spotify wurde er 52 Millionen mal gehört, das Video bei YouTube haben 23 Millionen gesehen. Polierte Kalaschnikows, Pistolen, eine Armbrust und ein Raketenwerfer bilden die Kulisse, in der die Rapper mit heiligem Ernst den Eid schwören, die einzigen echten Gangster zu sein. Alle anderen würden nur so tun.
"Sie posen mit Waffen in Videoclips
Aber keiner von ihnen schießt
Und glaub mir, sie sind alle fake
Alles frei erfunden wie bei Animes
Die Waffe, die ich trage, sie hat Qualität."
Veysel & Kontra K in 'Blei'
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Kontra K feat. Veysel - Blei (Official Video)
Äh... nein. Auch Veysel und Kontra K tun nur so. Auch sie posen mit Attrappen. Die Pistolen, mit denen sie auf die Kamera zielen, sind keine "scharfen" Waffen, sondern Schreckschusswaffen, die mit Platzpatronen schießen. Also fake. Der Regisseur und Filmwaffen-Experte Markus Weilguny, der mit seiner Firma Fighting For Film Musikvideos ausstattet und Workshops für Stunts und Special-Effects gibt, hat sich den Clip für uns angesehen. Seine Einschätzung ist klar:
"Die Waffenausstattung des Musikvideos enthält zwar schöne Requisiten, wird aber zerstört durch ein Close Up, in dem man auf zwei Schreckschusspistolen den Beschussstempel für Schreckschusswaffen und den einschlägigen Hersteller klar erkennt."
Markus Weilguny im PULS Interview
Drei Platzpatronen in die Luft
Nach Einschätzung von Markus Weilguny schießen Kollegah, Fler, Farid Bang und viele andere Rapper*innen meistens nur mit Platzpatronen. Beispiel: Die Exekution des untreuen Geliebten in Loredanas "Genick" ist Laientheater. Selbst, wenn sie wollte, könnte sie ihm den tödlichen Schuss so nicht versetzen. Die Waffe ist fake wie die Deko-Nachbauten in "Blei". Der Experte hätte ihr eine Einweisung in die Handhabung gewünscht:
"Verwendet wurde hier anscheinend eine Umarex GPDA9 Schreckschusspistole. Loredana hat offensichtlich keine Waffeneinschulung bekommen und hält den Finger durchgehend am Abzug. Ein Waffenmeister war demnach nicht beim Dreh anwesend. Bei den Posen mit Waffe vor dem Gesicht könnte das unabsichtliche Betätigen des Abzugs bei geladener Schreckschusswaffe zu Verbrennungen, zu Tätowierungen durch Pulverreste, sowie schwerwiegenden Augen- und Ohrenschäden führen."
Markus Weilguny im PULS Interview
Waffenmeister*innen stellen Filmproduktionen Waffen zur Verfügung und kümmern sich um die Betreuung am Set. Viele Firmen arbeiten aus Kostengründen oder wegen fehlender Lizenzen mit Airsoft- und Schreckschusswaffen. Wenn Rapper*innen mit echten Waffen arbeiten wollen, müssen Filmproduktionsfirmen auf spezielle Expert*innen mit entsprechenden Lizenzen zurückgreifen. Auf Leute wie Martin Goeres von MG Action zum Beispiel. Mit seiner Firma hat der Action-Spezialist bei Hollywoodfilmen wie "Wonder Woman" und "Mission Impossible" mitgewirkt. Wenn Rapper*innen in Deutschland echte Waffen in ihren Videos wollen, wenden sie sich an ihn:
"Manche Rapper fragen sehr spezifisch nach bestimmten historischen Waffen oder zivilen Jagdwaffen. Am häufigsten aber fallen die Stichworte: Maschinenpistole, AK, Pumpgun, UZI."
Martin Goeres im PULS Interview
Dahinter steckt eine Wissenschaft für sich. Juristisch und technisch gilt es höchste Standards zu erfüllen. Beim Dreh helfen Martin Goeres und sein Team deshalb den Rapper*innen mit der Handhabung der Filmwaffen und zeigen am Set, wie man glaubwürdig und sicher damit umgeht.
"Die Betreuung am Set sieht vor, dass die Waffen nur für die Aufnahmemomente ausgehändigt und bei jeder Unterbrechung abgenommen und verschlossen werden. Darüber hinaus leiten wir bei Bedarf vorbereitende Trainings für die Darsteller. Am Set gibt es umfangreiche Unterstützung bis ins kleinste Detail der Performance mit Waffen."
Martin Goeres im PULS Interview
True Crime im Deutschrap
Wer als Gangster, Drogenbaronin oder Kingpin gesehen werden will, inszeniert sich natürlich gewalttätig. Kriminelle Backstorys – ob echt oder erfunden – verkaufen Tracks, da sie der deutschen Mehrheitsgesellschaft von authentischen Crime-Storys erzählen, die sie aus ihrem eigenen Leben nicht kennt.
Der Mythos des Bürgerschrecks ist ein lukratives Geschäftsmodell. Aber nur wenn die Lines, die Autos, die Frauen, der Schmuck und die Waffen in den Videos echt wirken, bleibt die Räuber-und-Gendarm-Story glaubwürdig. Jeder Zweifel an der Echtheit wäre geschäftsschädigend. Deshalb werden in den Credits bei YouTube die Waffenmeister*innen selten genannt. Von Schreckschusspistolen ist keine Rede. Die Rapper*innen und Regisseur*innen der Videos lehnten unsere Interviewanfragen daher auch alle ab.
"Tut mir leid, aber ich hoffe, du kannst verstehen, wenn ich zu diesen Fragen keine Stellung beziehen möchte."
anonymer Regisseur von Deutschrap-Videos
Das hat System. Schreckschusswaffen sind da nur der Anfang. Um die Musikvideos ist ein Markt an Luxusauto-Verleihs entstanden. Schlaue Geschäftsmänner wie T.H. Mantas, der die Berliner Luxus-Autovermietung Manstone leitet, vermieten Sportwagen und Limousinen für Drehs von Rap-Videos. Wie man bei Instagram nachprüfen kann, hat seine Firma Videos von Schwesta Ewa, Samra, Luciano, Miami Yacine, Bausa, Olexesh und Mois ausgestattet. Diese Info findet man sonst maximal im Kleingedruckten bei YouTube.
"Im Grunde genommen läuft es ganz einfach ab. Der bestimmte Wagen wird angefragt mit kurzer Erläuterung für wen, was, wann. Dann schaue ich, ob der Wagen zu dem Zeitpunkt frei ist und vermiete ihn. Beim Dreh sind wir immer dabei. Der Wagen wird von uns hingefahren und abgeholt. Geht bei uns schon ab 300 Euro los."
T.H. Mantas im PULS Interview
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SAMRA - 6 UHR (prod. by Beatzarre & Djorkaeff)
Eine Bonnie für Clyde
Was fehlt noch? Frauen natürlich. Die gehören für viele männliche Rapper zur Kulisse dazu. Im Narrativ sind die Musiker so hot, dass die "Hoes" ganz automatisch in ihrer Nähe sein wollen, sich in ihrem Dunstkreis die Kleider vom Leib reißen und so weiter und so weiter. Wie die Waffen und die Autos sind aber auch die meisten Modelfreundinnen in Wirklichkeit bei einer Agentur gebucht.
"Meist ruft das Management, die Produktionsfirma für den Videoclip oder manchmal auch der Rapper selbst an und lässt sich Vorschläge von uns schicken. Wir schauen dann, ob die Models an dem Tag verfügbar sind, das Geld stimmt und ob sie auch Lust haben, mit dem Rapper ein Video zu drehen. Nicht jedes Model hat da nämlich Lust drauf."
Marco Sinervo im PULS Interview
Marco Sinervo ist CEO und geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Model-Agentur MGM. Er und sein Team bekommen solche Anfragen ständig, gesucht wird meistens dasselbe:
"Es ist fast immer das typische Modelklischee. Sehr attraktiv, sexy und 90-60-90. Die Models sind meistens schmückendes Beiwerk für den Darsteller. Neben Luxusautos, teuren Uhren, Schmuck und viel Geld darf eben eine sehr attraktive Frau nicht fehlen. Sie spielt meistens die Rolle der Freundin oder der großen Liebe, die man beeindrucken möchte."
Marco Sinervo im PULS Interview
Um den Verdacht zu vermeiden, die Frauen könnten nicht die echten Freundinnen der Rapper sein, werden auch sie in den Credits bei YouTube meistens nicht erwähnt. Auch das passt nicht zum Image.
Roli Glitzer Glitzer
Bliebe noch der Schmuck. Bei Instagram entlarven die Munich Wrist Busters – zwei junge Uhrenexperten aus München – Rapper*innen und Influencer*innen, die gefälschte Luxusuhren tragen. Geoutet haben sie bisher unter anderem Eno, Sinan G, Jigsaw, Fero47, Lil Shrimp und Nash von der KMN-Gang. Dafür bekommen sie viel Zuspruch – aber natürlich gefällt es vielen nicht, dass ihr Image auf die Probe gestellt wird:
"Natürlich sind die Influencer oder Rapper nicht alle glücklich, wenn wir sie posten. Manche sehen es mit Humor – andere kränkt es sehr, dass wir ihre Fake-Uhren outen. Die drohen uns dann. Drohungen stehen – wenn man ehrlich ist – mittlerweile eigentlich auf der Tagesordnung."
Munich Wrist Busters im PULS Interview
Get rich or die tryin'
Dass Flexen zum HipHop gehört, ist nichts Neues. Um einer privilegierten, weißen Oberschicht zu zeigen, dass auch sie den American Dream leben, haben Public Enemy oder Run DMC schon in den 80er-Jahren Goldketten in die Fernsehkameras gehalten. Das Darstellen der finanziellen Potenz war immer da und auch ein Mittel im Kampf um die Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft. Im Kapitalismus gilt oft: Wer nichts hat, ist nichts. Daraus entsteht der Zwang, Reichtum notfalls auch vorzutäuschen. Fake it 'til you make it. Mit High-Tech-Waffen. Mit Sportwagen. Mit Luxus-Uhren. Mit schönen Frauen.
Das tun übrigens nicht nur Rapper*innen. Limousinen-Verleihe, Rolex-Leasing, Urlaubsfotos mit Photoshop: Jet-Set wollen alle. Aber: Musikvideos bekannter Rapper*innen sehen Millionen von Menschen. Sie durchbrechen den ökonomischen Überbietungswettkampf nicht – schlimmer: Sie animieren Fans dazu, mitzumachen. Jugendliche messen sich bei YouTube, wie viel ihr Outfit wert ist oder wie teuer ihr Schmuck. Anstatt den Rich Kids die Deutungshoheit von Glück zu nehmen und das Materielle lächerlich zu machen, bestätigen Kontra K, Veysel und andere mit ihren Luxuspornos deren Macht – und werden leider trotzdem von ihnen oft nicht ernst genommen. Egal ob die Roli echt ist oder fake.
"Ihr seid alle Snitches, vertrau' ihnen nie
Nein, euer Schmuck, eure Autos nur Schauspiel
Neben mir geht direkt euer Schimmern aus
Komm nicht zu mir, wenn du Silber brauchst."
Haftbefehl feat. UFO361 - 'Trapking'
Sendung: PULS am 09.06.2020 - ab 15.00 Uhr