Zensur durch die Hintertür Wie in Russland systematisch Rapsongs und Filme verboten werden
HipHop ist in Russland sehr beliebt, aber immer mehr Bands werden dort mit Auftrittsverboten belegt. Auch viele Independent-Filme dürfen nicht mehr gezeigt werden. Kritik am Staat wird zensiert - doch das regt auch Widerstand.
Im größten Saal des Kinos "Oktober" in der Moskauer Innenstadt geht es zu wie in jedem anderen Kinosaal, bevor der Film beginnt: gespanntes Warten, die Leute sind froh, noch ein Ticket für das internationale Dokumentarfilmfestival artdocfest bekommen zu haben. Der Vorhang öffnet sich und dann... laufen etwa eine Minute lang die Namen von fast 60 Filmen über die riesige Leinwand, die man dieses Jahr auf dem Festival nicht sehen kann.
"Das Festival findet zwar statt, aber von den 127 Filmen, die wir ausgesucht haben, dürfen wir nur weniger als die Hälfte zeigen. Es ist eine kulturelle Katastrophe."
Vitali Manski, Organisator des artdocfest
Das Kulturministerium greift ein
In Russland gibt es immer mehr Gesetze, die kleinen, unabhängigen Festivals und Filmen das Leben schwer machen. Inzwischen muss in Russland jeder Film, der öffentlich laufen soll, beim Kulturministerium akkreditiert sein - seit Dezember auch jedes internationale Filmfest, wie das artdocfest von Vitali Manski. Für die Filmschaffenden bedeutet das eine Menge Organisationsaufwand, den nur stemmen kann, wer groß ist und viel Geld im Rücken hat.
Für Vitali Mansiki ist das eine Zensur durch die Hintertür. Denn das Kulturministerium greift ein. Das haben in letzter Zeit schon größere Filme als die Dokumentarfilme von Vitali Manski gespürt: Die Filmsatire "Stalins Tod" durfte in Russland nicht gezeigt werden mit der Begründung, die Führung der UDSSR werde darin als zu dumm dargestellt. Das Drama "Matilda" über eine Affäre von Zar Nikolaus dem Zweiten sorgte für Verbotsforderungen wegen angeblicher Blasphemie und auch der Film "Leviathan" kam nur in einer zensierten Fassung in die russischen Kinos.
Repressionen gegen Rapper
In der Musik gibt es ähnliche Verbote. Sie treffen gerade vor allem junge Rapper. Die Behörden werfen ihnen vor, Drogen und Selbstmord zu verherrlichen und zu Extremismus aufzurufen.
In einem ihrer Videos sitzt das Gothic-Rap-Duo IC3PEAK auf dem Roten Platz und verspeist ein rohes Stück Fleisch. Dazu singen sie: Ich fülle meine Augen mit Kerosin. Ganz Russland sieht zu. Lass alles brennen. Lass alles brennen.
Zu viel anscheinend für die Behörden im ganzen Land - fast überall wo das Duo die letzten Wochen auftreten wollte, gab es Verbote. Husky, ein anderer Rapper, sollte sogar zwölf Tage in den Arrest, weil er nach einer Konzertabsage spontan auf einem Autodach aufgetreten ist.
Sie müssten ihre Musik ändern, um nicht verboten zu werden, sagte ein Vertreter des Innenministeriums den Rappern bei einem Treffen im russischen Parlament.
"Aus meiner Sicht ist die Absage von Konzerten eine harte Maßnahme, aber eine berechtigte. Es muss klar sein, was ihr dürft und was nicht. Nutzt eure Musik doch, um Antidrogenpropaganda zu betreiben. Ihr müsst die Werte eines guten, erfüllten und gesunden Lebens propagieren. Und dem Land und der Gesellschaft dienen."
Vertreter des russischen Innenministeriums
Der Protest wird lauter
Die Absage der Konzerte schlägt in Russland immer höhere Wellen. Und zwar in beide Richtungen. Denn es gibt auch offizielle Stimmen für die Rapper: Die Ombudsfrau für Menschenrechte, Tatjana Moskalkowa, hat inzwischen versprochen, der Sache nachzugehen und auch einige Kreml-Vertreter haben sich gegen die Konzertverbote ausgesprochen. Auch Präsident Putin hat sich inzwischen eingeschaltet: Er sagte, dass Verbote nichts nützen, aber "wenn man etwas nicht stoppen kann, muss man sich an die Spitze setzen und entsprechend lenken". Nähere Vorschläge, wie dieses Lenken aussehen soll, machte er allerdings nicht.
Regisseur Vitali Manski sieht jedenfalls eine freie Kultur in Gefahr:
"Der Staat versucht, alles zu kontrollieren. Er verbietet ja nicht Konzerte von Musikern, die dem Staat nahe stehen. Verboten wird die Subkultur. Weil die Rapper nicht kontrollierbar sind, sie stimmen ihre Texte nicht mit den Behörden ab. Aber ich glaube, dass die freie Kultur im Stande ist, das Fundament der aktuellen Diktatur zu zerstören. Einer Diktatur, die natürlich nicht so ist wie in der Sowjetunion, aber trotzdem eben eine Diktatur ist."
Vitali Manski
Je mehr Kultur verboten wird, desto eher werden sich die Leute gegen das System wehren, das ihnen Konzerte und Filme verbietet. Das jedenfalls ist seine Hoffnung. Ob sein Dokumentarfilmfestival nächstes Jahr noch einmal in Russland stattfinden wird, weiß Manski allerdings noch nicht.
Sendung: Filter, 18.12.2018 - ab 15.00 Uhr