Thees Uhlmann im Interview "Mir kommt es so vor, als ob Rock'n'Roll nicht mehr viel zu sagen hat"

Fünf Jahre Pause hat Thees Uhlmann von der Musik gemacht, jetzt meldet er sich mit seinem neuen Album "Junkies und Scientologen" zurück. Wir haben mit ihm über seine Schaffenspause, aktuellen Rap und Rock'n'Roll als Kunstform gesprochen.

Von: Ann-Kathrin Mittelstrass

Stand: 19.09.2019 | Archiv

Pressebild von Thees Uhlmann 2019 | Bild: Ingo Pertramer

PULS: Du sagst es gleich im Opener deines neuen Albums, du hast jetzt "Fünf Jahre nicht gesungen". Das könnte man vom Titel her ein bisschen als Anspielung verstehen, dass es keine leichte Geburt war.

Thees Uhlmann: Ja, das stimmt auf jeden Fall. Der Grund ist relativ schnöde. Ich habe viele Texte geschrieben und irgendwann ist mir aufgefallen, dass mir die Texte überhaupt nicht gefallen. Ich fand sie handwerklich schlecht. Sie haben überhaupt nicht wiedergegeben, was in mir am Werken und Brodeln war. Ich hatte zu der Zeit einen relativ ärgerlichen Unterstrom in mir. In den Texten, die ich zuerst geschrieben hatte, habe ich das überhaupt nicht gefühlt. Dann hab‘ ich den Kram abgebrochen und wirklich von vorne angefangen. Das ist eben dieses "Ich hab‘ fünf Jahre nicht gesungen". Für moderne Bands, die auf der Suche nach einer Karriere sind, ist das eine Zeit, in der sich Bands schon wieder aufgelöst haben. Aber ich brauchte die Pause! Ich bin ganz froh, dass ich das abgebrochen habe, auch mit all den Härten, die damit verbunden waren. Und ich bin froh, dass meine Band mir das auch zugestanden hat.

Was hat da in dir gebrodelt?

Meine erste Platte kam vor acht Jahren. Die Platte danach dann nach zwei Jahren und dazwischen dann Brexit, Trump und AfD. Das sind Sachen, die haben mich so ausgeknockt. Sagen wir’s doch einfach mal: Das war eine neokonservative Revolution. Zwanzig Prozent der Welt freuen sich noch darüber, aber ich mich eben nicht! Das sind Sachen, die für mich ein totaler kultureller Rückschritt sind. Ich finde diese Sachen extrem gefährlich, auch im Privatleben. Dass ich meiner neunjährigen Tochter erklären muss, weshalb jemand wie Trump gewählt wird. Wir fassen Frauen nicht ungefragt an und dann sagt so ein Typ: "Ey Leute, ich bin Milliardär! Ich mach‘ alles was ich will!" – wenn ich dreieinhalb Erziehungssätze habe, ist einer genau konträr dazu! Das finde ich schon wahnsinnig frustrierend.

Du warst ja in diesen letzten Jahren nicht untätig. Du hast ja dann ein Buch geschrieben...

Genau und das ist ja jetzt auch keine Erholung. Ich interessiere mich auch nicht besonders für Erholung. Das mit dem Buch war für mich jungfräulich. Das war der erste Roman, den ich geschrieben habe. Songtexte oder Platten hab‘ ich schon häufiger gemacht. Aber zum Glück konnte ich mich beim Schreiben auf meine Lektorin verlassen. Wenn die gesagt hat: "Mann, Thees, das sind aber schöne drei Kapitel gewesen," dann hat mir das Kraft und Mut gegeben, weiterzuschreiben. Bei der Platte war das anders. Man schnallt das ja auch als Künstler. Ich schreibe seit 25 Jahren Texte – und da wusste ich eben, dass das alles kacke und peinlich ist, wenn das rauskommen würde. Das mit dem Buch schreiben war natürlich wahnsinnig aufregend. Darf ich einmal angeben?

Bitte!

Überübermorgen bekomme ich von meinem Verlag das goldene Buch überreicht.

Herzlichen Glückwunsch! Das ist doch schön, wenn das, was nicht geklappt hat, zu was geführt hat, das dann geklappt hat!

So hab‘ ich das noch nie gesehen! Aber du hast Recht!

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Thees Uhlmann - Fünf Jahre nicht gesungen (Offizielles Video) | Bild: Thees Uhlmann (via YouTube)

Thees Uhlmann - Fünf Jahre nicht gesungen (Offizielles Video)

Zurück zur Musik: Du hast ein neues Album aufgenommen und jetzt im Sommer auch ein paar Konzerte gespielt. Da hast du auch neue Songs gespielt. Wie hat sich das angefühlt, diese Songs jetzt nach draußen tragen zu können?

Für mich fühlt sich das brillant an. Vor allem, weil ich jetzt noch einen Bayern in meiner Band habe! Rudi Maier aus Landshut. Jede norddeutsche Band wird dadurch stärker, dass sie Bajuwaren aufnimmt. Das war wahnsinnig aufregend. Wir haben drei neue Bandmitglieder, unter anderem eine neue Gitarristin aus Holland – und alle haben viel zu tun. Deswegen mussten wir genau bis an die Konzerte ran proben. Jetzt haben wir die ersten sechs, sieben Dinger gespielt und das fühlt sich wahnsinnig gut an.

Kommen wir mal zu dem Bajuwaren, von dem du gerade schon gesprochen hast, Rudi Maier von The Dope und Burkini Beach. Wie kamt ihr denn zusammen?

Das war so: Ich habe Simon Frontzek, den hier auch einige unter dem Namen Sir Simon Battle kennen (und der auch eine Sendung bei PULS hat, "In die Nacht" mit Stephan Rehm, Anm. d. Redaktion), gefragt, ob er mir helfen kann. Ich bin nicht weitergekommen mit meiner Musik und mit meinen Texten. Simon macht schon ganz lange Sachen für mich, der hat ganz häufig Tomte B-Seiten aufgenommen und ganz oft Songs für mich fertig gemacht. Das hat immer ganz, ganz toll geklappt. Diesmal habe ich Simon auch gefragt: "Ey Simon, ich hab‘ vielleicht eine ganz kleine Idee. Kannst du mir bei der Platte helfen?". Dann habe ich ihm die erste Idee vorgestellt und er meinte, dass er das ganz gut findet. Außerdem würde der Typ, der dahinten auf dem Sofa sitzt, auch mithelfen, weil er es alleine nicht schaffen würde. Dieser Typ war Rudi Maier. Das finde ich auch wieder gut, dass Simon Frontzek sagt: "Du kennst den zwar nicht, aber der hilft uns jetzt." Da kann ich mich öffnen und sagen: "Ja, okay Simon. Wenn du das sagst, dann machen wir das jetzt." Mit Rudi Maier habe ich mir so dermaßen die Texte um die Ohren gehauen: Gesangsmelodien. Warum ist da ein Wort zu viel? Welches Wort ist besser? So einen Song zusammen mit Simon und Rudi fertig zu haben, ist schon ein tolles Gefühl.

Die Songs gehen teilweise echt ans Eingemachte. Sehr berührend. Musikalisch wechseln sich Balladen und die treibenden Banger richtig ab...

Hast du gerade "treibende Banger" gesagt?

Ich habe gerade "treibende Banger" gesagt.

I love it!

"Kathy Grayson Perry" oder "Avicii" zum Beispiel, die gehen auf jeden Fall nach vorne. Habt ihr euch beim Tracklisting gedacht, dass ihr den Leuten lieber nicht so viel Melancholie reindrücken solltet?

Das Schöne ist, dass wir uns relativ wenig gedacht haben bei der ganzen Sache. Ich sage das jetzt mal ein bisschen pathetisch, aber ehrlich gesagt meine ich das auch total ernst: Rudi, Simon und ich sind Verfechter von Rock’n’Roll als Kunstform. Uns kommt das häufig so vor, als ob Rock’n‘Roll nicht mehr so viel zu sagen hat und wahnsinnig durchgeplant ist. Er ist nicht mehr gefährlich. Er ist ein Instagram-Gegenlicht – und das konnten wir nicht. Deswegen ist es auch so weit gekommen, dass wir die Platte so dermaßen auseinandergetrieben haben. Zum Beispiel gibt’s da die ruhigsten Songs, die ich je gemacht habe. Dann gibt’s eben aber auch die "treibenden Banger". Es sind die längsten Texte, die ich in meinem Leben jemals geschrieben habe. Vielleicht ist das so, weil ich die Zeiten auch als hart empfinde.

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Thees Uhlmann - Avicii (Offizielles Video) | Bild: Thees Uhlmann (via YouTube)

Thees Uhlmann - Avicii (Offizielles Video)

Als ich dein Album gehört habe, hatte ich nicht das Gefühl, dass es eine explizit politische Platte ist. Es schwingt immer so zwischen den Zeilen mit, dass dich sehr viel beschäftigt. Hätte es eine sehr explizit politische Platte werden können?

Nee! Ich kann das nicht! Ich will das nicht! Ich mach‘ das nicht! Wenn die großen Drei, Die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet und Kraftklub politisch sind, sich positionieren und sagen: "Hier! Das ist unsere Einstellung!", dann ist das so, als ob ich da einen Karabinerhaken mit reinmache. Ach schaut! Politisch bin ich auch noch! Wenn das alles so flach sein soll und die Leute daran interessiert sind, musikalisch und künstlerisch, dass man nicht mehr die Ambivalenz der Dinge anerkennt – weil nichts Anderes ist ja diese AfD-Scheiße: "Ich weiß, wie das ist und alles andere wird verboten vom Staatsfunk." Mich macht es zum Beispiel stolz, gerade im Staatsfunk zu sein – dann ist das eine Ablehnung der Ambivalenz der Dinge. Das finde ich politisch wahnsinnig schwierig und dann ist meine Einstellung, dass ich versuche, die Kunst härter und tiefsinniger zu machen. Jemand, der in Essen ins Folkwang-Museum geht, um sich Dinge anzugucken, der wird um 20:45 Uhr keinen mehr zusammenschlagen. Wir versuchen jetzt unsere Kunst noch besser, interessanter, größer und schöner zu machen, dass man sich dafür interessieren kann. Ich glaube, dass die Leute, die bei uns sind, die Kunst als "Mutmach"-Lied sehen.

Du sprichst im Titeltrack "Junkies und Scientologen" von deinem "ungebrochenen Unverständnis gegenüber der Welt." Klingt, als hättest du irgendwo deinen Frieden mit der Welt und den Menschen gemacht. Ist das so?

Das ist ein bisschen, wie wenn meine Tochter sagt: "Warum kannst du nicht was Normales machen?" Die hat manchmal eine Sehnsucht, dass ich vielleicht Schlachter bin oder einen Schuhladen hab‘. Das mit dem "Kunst machen" findet sie etwas komisch, weil das natürlich auch in der Klasse nervig ist. Ihre Freundinnen folgen mir bei Instagram und sehen ein Bild von ihrem Papa, wie der mit Faust über die Bühne ballert. Ich habe ihr gesagt, dass es mir Leid tut. Ich bin im Alltag relativ normal, aber das Andere kann ich eben nicht. Das ist bei mir nicht vorgesehen. Dieses angezündet sein, seitdem ich ein Kind bin, weil mein Papa mal gesagt hat: "Man kann niemals aufhören, nachzudenken", das habe ich einfach in mir. Das ist die Flamme, die brennt, mein ungebrochenes Unverständnis gegenüber der Welt. Ich verstehe Sachen nicht. Ich verstehe nicht, warum man Papier auf den Boden schmeißt. Das hab‘ ich mit vier Jahren nicht mehr gemacht. Warum machen das Leute, die fünfzig sind? Das sind noch die kleinen Sachen, über die ich mich aufrege.

Lass uns mal über den Song "Avicii" reden, benannt nach dem schwedischen Technoproduzenten, der letztes Jahr mit achtundzwanzig gestorben ist. Wahnsinnig erfolgreicher Typ, bei dem aber viele elitäre Indie-Nasen sagen würden: "Sorry, hör‘ ich nicht! Das ist super gefällige Musik für die Massen!“

Würdest du das auch über ABBA sagen? Oder ist ABBA dann schon wieder was Anderes?

Ja, irgendwie schon. Ich hinterfrage das selber. Deinen Song "Avicii" empfinde ich als aufrichtigen und liebevollen Abschiedssong. Was hat dich da angetrieben?

Erstmal stimmt die künstlerische Fallhöhe. Hätte ich einen Song über Arcade Fire gemacht, die ich genauso liebe, hätte sich keiner darüber gewundert. Ich war Avicii-Fan. Einige Songs von ihm höre ich häufiger, als so Indie-Krams. Ich habe seine Musik in dieser ABBA-Tradition gesehen. Hätte er noch weitermachen können, wäre das auch so eine große, weltvereinende Kunst gewesen. Ein Freund von mir hatte mit Avicii beruflich zu tun und hatte mir erzählt, dass es ihm nicht wirklich gut geht. Daraufhin hatte ich aus Spaß gesagt, dass er mal auf einen Sixpack zu mir nach Kreuzberg kommen muss. Dann wird auch noch mal ein bisschen Akustikgitarre gespielt. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen, deswegen auch die A-Moll und F-Dur-Akkorde im Song. Nicht mal 50 Millionen Euro auf dem Konto helfen, diese Wunde zu überdecken: Immer noch weiter, dann die SMS an seine Mutter, dass er bald vorbeikäme, vorher aber noch in den Oman muss. Das berührt mein Herz. Ich war Fan und ich finde die Geschichte einfach so wahnsinnig traurig. Dass selbst bei einem Team von zwölf Leuten keiner darauf achtet, dass es dem Hauptverdiener gut geht, macht mich wirklich wahnsinnig traurig.

In dem Song "Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach Hiphop Videodrehs nach Hause fährt" gibt es diese Zeilen: "Die Tänzerinnen laufen jetzt auf High Heels auf gewässertem Asphalt. Eine auf allen Vieren mit Halsband und Leine wie ein Hund. Jetzt rappt wieder jemand über Ehre, Familie und Respekt." Das sind die Gedanken, die der Protagonist hat in dem Song. Aber inwiefern sind das auch deine Gedanken, wenn du dir Deutschrap anhörst?

Das ist so, als ob du Shakespeare fragen würdest, was er vom englischen Königshaus halten würde. Ich bin ein Beobachter unserer Zeit und finde es eine komische Einstellung, Frauen aggressiv mit voller Absicht, als Objekt darzustellen. Ich finde das einen ganz schönen Kulturbruch, ehrlich gesagt. Ich bin eben Generation Nirvana. Man hat gedacht, dass es immer etwas liberaler geht – und dann hat plötzlich so etwas so einen immensen Erfolg. Dieser Erfolg wird mit einem Frauen- und Weltbild hergestellt, von dem ich dachte, dass es das nicht mehr gibt. Ich weiß, dass die Welt davon nicht untergehen wird. Death Metal hat auch viele Leute getötet. Das ist Teil einer neokonservativen Revolution. Die Leute sollen nicht so tun, als wäre ich zu dumm, das zu durchdringen. Ich raff‘ das: Von wegen "wir sind jetzt Machos, Frauen werden gefickt" und so.

Du bist ja auch mit Casper befreundet. Wenn der dir jetzt Sachen aus der Rap-Szene erzählt oder vorspielt, wie gut kommst du damit klar?

Ich glaube Casper ist gar nicht so doll in dieser Hiphop-Szene drin. Ich finde, dass Casper, strukturell gesehen, fast eher ein Rockstar ist. Ich kenne keinen Menschen, der so viel an populärerer Musik kennt, wie er. Das Lustige bei Casper war, dass ich ihm den Song zugeschickt habe. Ich wollte wissen, ob das so in Ordnung geht oder ob irgendwas peinlich ist. Er hat geantwortet, dass er in seinem entfernten Umfeld einen Kumpel hat, der genau das macht: Jede Woche, jeden Tag organisiert dieser Typ solche Videos. Wenn die Bestellung kommt, weiß der ganz genau, wo er die Frauen herbekommt. Der weiß genau, wen er für eine Asiatin und zwei Blondinen anrufen muss. Casper meinte, dass es witzig ist, dass so ein Rock-Typ wie ich das so durchdrungen hat.

Und woher wusstest du das?

Ich beobachte das einfach. Ich hab‘ mich damit als Mensch und Vater auseinandergesetzt und dachte mir: Den Typen aus meinem Song muss es ja auch geben. Wenn der Videodreh nachts um halb eins zu Ende ist, dann muss es einen Typen geben, der die Frauen für 6,50 Euro nach Hause fährt. Der Typ ist dann vielleicht am Zweifeln. Die Frau ist dann vielleicht am Zweifeln oder findet es total toll, in so einem Video aufzutauchen. Der Song bewertet nicht, aber dokumentieren tut er schon.

Sendung: Plattenbau, am 19.09.2019 – ab 19.00 Uhr.