Uwe Baltner und seine Car-Karaoke-Videos "Ich hab mir auch Grime und Drill angeeignet"
Mit seinen 56 Jahren lebt Uwe Baltner den Insta-Hype. Wovon viele nur träumen, das ist für ihn Realität: Über 430.000 Follower bekommen nicht genug von seinen Car-Karaoke-Videos – auch Rihanna nicht.
Uwe Baltner ist 56, Leiter einer Werbeagentur in Ludwigsburg, Papa, Ehemann und hat auf Instagram aktuell 437.000 Follower. Dafür verantwortlich sind die 38 Kilometer, die zwischen seinem Zuhause und der Arbeit liegen. In denen filmt er sich selbst nämlich beim Singen im Auto. Das macht er so leidenschaftlich, dass mittlerweile sogar Rihanna zu seinen Followern zählt und Künstler aus aller Welt ihn anflehen, ihre Songs in seinen Car-Karaoke-Videos zu singen.
PULS: Herr Baltner, wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich beim Singen im Auto zu filmen?
Uwe Baltner: Die Idee ist natürlich nicht von mir. Es gibt ja diese ganze Carpool-Karaoke-Geschichte mit James Corden, der da Promis ins Auto zerrt, was mich total begeistert hat. Außerdem haben wir hier eine Werbeagentur, in der wir uns auch viel mit Social Media beschäftigen. Es gab mal eine App, die hieß "musical.ly", die dann auch relativ schnell wieder verschwunden ist. Das war quasi der Vorläufer von "TikTok". Da konnte man entweder Lip-Synch-Videos machen oder richtig singen. Damit hab ich Spaß daran gefunden, mich unterwegs aufzunehmen. Ich singe ja auch schon immer gerne und hatte früher mal ein paar Bands. Als die App dann weg war, hab ich mich mal ein bisschen über Instagram schlau gemacht und festgestellt, dass man da auch einminütige Videos aufnehmen kann.
Da ich in meinem Beruf viel reden muss, hatte ich so ein bisschen Probleme mit der Stimme und habe jeden Morgen im Auto Stimmübungen gemacht, um meine Stimme auf Vordermann zu bringen. Da hab ich eben mit klassischen Tonleiter-Übungen angefangen und zum Abschluss immer einen Song aufgenommen, den ich dann extra auf Instagram gepostet habe, um mich selber zu motivieren. Ich glaube nämlich, wenn ich auch nur den Verdacht habe, dass noch jemand anderes zuschauen könnte, dann singe ich besser. So ging das dann vor knapp einem Jahr los.
Sie sind natürlich nicht der einzige, der sowas macht. Warum glauben Sie, wurde das Ganze ausgerechnet bei Ihnen so erfolgreich?
Da kommen natürlich viele Faktoren zusammen. Wir denken natürlich auch in der Agentur darüber nach: Warum klappt sowas und andere Sachen nicht? Ich glaube, es liegt zum einen an meiner Persönlichkeit. Ich bin schon ein extrovertierter Typ und auch nicht mehr der Jüngste. Durch das Singen habe ich natürlich auch immer gute Laune. Ich glaube das steckt ein bisschen an. Die Leute lechzen geradezu nach Menschen, denen es einfach gut geht. Das Zweite ist aber auch, dass ich relativ schmerzfrei bin, was negative Kritik angeht. Ich hab auch schon viele Sachen verhauen, mich in neue Musikstile reingefräst, wo dann auch Hohn und Spott Teil des Programms waren. Das hab ich aber immer ignoriert. Genau diese Kontinuität ist einer der Pluspunkte, die mich genau da hingebracht haben, wo ich jetzt bin. Wobei der ganz große Durchbruch ja auch erst vor ein paar Wochen kam. Wenn dich so ein Star wie Chris Brown auf seiner eigenen Seite teilt, dann geht das ganz rasant. Im Vergleich zu seinen 62 Millionen Followern sind meine 400.000 ja nichts. Da ist ja klar, dass da relativ viel überschwappt.
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Was denkt man in dem Moment, wenn man sieht, dass Weltstars wie Chris Brown oder Cyrpess Hill die eigenen Videos reposten und kommentieren?
Das ist ziemlich unfassbar! Ich bin ein ganz normaler Typ. Ich wohne hier im schwäbischen Idyll und hab eine Familie und einen ganz normalen Job. Ariel Pink war der erste Künstler, der ein Video von mir geteilt hat. Da gab's einen großen Sprung von 4.000 auf 7.000 Follower. Dann kam irgendwann Chris Brown. Wobei ich auch nicht genau weiß, wer das eigentlich macht. Sitzt da Chris Brown jetzt persönlich und denkt sich: "Oh, das ist aber nett!" oder gibt’s da ein Social Media-Team, das sich darum kümmert? Im Prinzip hat er sich ja so ein bisschen lustig gemacht. Außerdem hat er das Video nicht geteilt, wie man es eigentlich machen würde, sondern runtergeladen und bei sich wieder hochgeladen. Mein Name kam dann erst irgendwo in den Kommentaren vor. Die haben versucht, selbst mit dem Video Reichweite zu generieren, was ihnen auch gelungen ist, denn das Video hat inzwischen drei Millionen Aufrufe bei ihm. Bei mir sind's leider noch lange nicht so viele, aber das ist schon okay für mich, da ich ja auch davon profitiert habe. Das ist eine Win-Win-Situation, wie man so schön sagt.
Am Anfang haben Sie ja vor allem ältere Songs gecovert, die auch nicht unbedingt jeder kennt, wie zum Beispiel Songs von den Screaming Females...
Das ist eigentlich eine ziemlich krasse Punk-Rock-Band aus den USA. Ich fand deren Gitarristin so beeindruckend, die auch gleichzeitig noch singt. Das ist etwas, was ich noch nie konnte. Ich spiele zwar ein bisschen Gitarre, aber beides parallel habe ich nie hinbekommen. Ich bewundere grenzenlos Menschen, die gleichzeitig gut Gitarre spielen und singen können. Ich fand deren letzte Platte so toll, dass ich sie komplett nachgesungen habe. Die kannte auch in Deutschland fast niemand und das war dann eher zu meinem Privatvergnügen.
Apropos Privatvergnügen. Haben Sie einen Lieblingskünstler?
Absolut! Freddie Mercury wird immer mein Idol bleiben. Er war der größte Rocksänger aller Zeiten. Es gab ja letztes Jahr diesen Film und da konnte man ganz gut nachvollziehen, was ihn so ausgemacht hat. Wie er die ganzen Hürden überwunden hat. Und natürlich ist diese Stimme einfach sensationell. Deswegen wird Queen immer meine Lieblingsband bleiben und Freddie Mercury immer mein Lieblingssänger.
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Wie wählen Sie die Songs aus, die Sie covern?
Am Anfang hab ich eher eigene Favoriten gesungen, mittlerweile singe ich zu 90 Prozent Stücke, die sich die Leute von mir wünschen. Da bekomme ich unter jeden Post, den ich mache, ungefähr 1.000 Songwünsche. Da kommt man natürlich nicht hinterher. Aber wenn ich mal festgestellt habe, dass irgendwas sehr gut funktioniert, dann behalte ich das immer eine Weile bei, da es natürlich die Reichweite steigert. Ich hab mir ja auch die beiden englischen Rap-Formen Grime und Drill angeeignet. Am Anfang hab ich mir damit wahnsinnig schwer getan, aber als ich dann gesehen habe, dass das wirklich gut läuft, hab ich das dann weiterverfolgt. Witzigerweise wird man dadurch auch besser. Ich lerne neue Musik kennen und werde besser beim Singen. Das macht mir sehr viel Spaß.
Werden bei so einer Reichweite eigentlich auch Bands oder Plattenlabels auf einen aufmerksam? Gab es da schon Anfragen, ob Sie einen ihrer Songs singen können?
Absolut! Insbesondere Künstler, die jetzt eben kein Plattenlabel haben. Aus Afrika kommen sehr viele Anfragen von Künstlern, die sehr schöne Musik machen, die allerdings niemand kennt. Diese Künstler hätten gerne, dass ich einen ihrer Songs singe, damit sie ein bisschen was von meiner Reichweite abbekommen. Ich erfülle dann auch den ein oder anderen Wunsch. Wenn man so meine Liste druchscrollt, dann findet man auch Lieder von unbekannten Künstlern. Die schicken mir dann die Texte und die Musik hole ich mir dann von ihren YouTube-Videos. Ich glaube, ich tue damit ansatzweise etwas Gutes. Das ist mir auch wichtig, dass ich da was abgeben kann.
Bei so vielen Abonnenten kann ich mir vorstellen, dass man mit der Community-Pflege kaum noch hinterher kommt...
Die direct messages habe ich praktisch aufgegeben, während ich schon versuche, zumindest die Kommentare nach Feierabend zu beantworten. Ich kann nicht auf alle Musikwünsche eingehen, aber wenn einer fragt, was ich für ein Auto habe oder wohin ich da immer fahre, dann antworte ich da auch drauf oder bedanke mich. Das hat übrigens schon dazu geführt, dass Instagram mir mal kurzfristig die Kommentare gesperrt hat. Wenn man nämlich hundertmal "thank you" schreibt, dann erkennt das Instagram als Spam und sperrt einem dann den eigenen Account. Deswegen bin ich im Moment auch ein bisschen vorsichtiger mit den Kommentaren.
Was halten Ihre Familie und Freunde von dem ganzen Hype? Ist das eher so ein peinliches Kopfschütteln oder erhalten Sie da die volle Unterstützung?
Die freuen sich alle total. Die wissen, dass ich ein extrovertierter Typ bin und das alles genieße. Ich habe früher schon in Bands gesungen und bin aufgetreten. Man wird ja auch nicht umsonst Journalist – ich habe auch früher schon immer gern meinen Namen in der Zeitung gesehen. Meine Familie und Freunde wissen das natürlich auch und freuen sich mit mir. Die schicken auch Musikwünsche und man unterhält sich drüber. Es gibt immer schöne Geschichten. Das ist einfach eine tolle Story und wir haben alle Spaß dran.
Was ist eigentlich mit Rihanna los? Mal folgt sie Ihnen, mal wieder nicht....
Das ist eine gute Frage. Sie ist mir gefolgt und dann war sie plötzlich wieder weg. Heute hab ich noch mal geschaut und sie folgt mir tatsächlich wieder. Ich hab‘ keine Ahnung was da vor sich geht. Aber: Sie ist die echte Rihanna und sie folgt mir. Zumindest heute.
Wer sonst noch?
Spandau Ballet, das war eine Band in den Achtzigern, die hatten ein paar große Hits. Die Köpfe dieser Band, Garry und Martin Kemp, hatten mir mal geschrieben, dass sie auf der Suche nach einem Sänger wären und dass ich mich melden sollte. So ein direktes Feedback vom Künstler finde ich total toll. Mein Lieblingsbeispiel ist aber die Berliner Rapperin Nura. Die hat sich bei mir ihr eigenes Lied gewünscht und mich und meine Frau dann Ende September zu einem ihrer Konzerte in Stuttgart eingeladen. Das sind einfach tolle Erlebnisse, mit denen ich nie gerechnet habe. Ich bin total begeistert.
Wenn wir das Ganze jetzt mal weiterdenken: die Fanbase ist da, die Connections zu den ganz großen Stars – wann kommt das eigene Debüt-Album raus?
Das werde ich oft gefragt. Mit der eigenen Musik ist es tatsächlich schwierig. Als ich 300.000 Follower hatte, hab ich mal so ein bisschen was zusammengeschrieben und ansatzweise gerappt – allerdings fehlt es mir an der Zeit und auch an der credibility. Ich müsste auch erst mal einen Musikstil finden, der auch tatsächlich zu mir passt. Ich glaube, ohne Band würde mir das auch keinen Spaß machen. Das sind alles Hürden, über die ich im Moment noch nicht rüberkomme und deswegen halte ich mich an die richtig gute Musik, die es schon gibt. Allerdings bin ich von Plattenfirmen nach England eingeladen worden, um mit den Künstlern zusammen ein Rap-Video zu drehen. Das habe ich aber abgesagt.
Sendung: PULS am 29.08.2019 - ab 14.00 Uhr