Tracks der Woche #37/18 Alice Merton, Ashnikko, Royal Canoe, Noga Erez Feat. SAMMUS, HAERTS
Die Tracks der Woche als Superhelden: der gute Zwilling des Jokers, Empowerment-Girl, Captain Kanada und seine Crew, Flow-Woman und zwei Helden mit Herz.
Alice Merton – Why So Serious
Bei sämtlichen Batman-Fans dürfte die Frage "Why So Serious?" ein schauriges Gefühl auslösen. Schließlich ist das der Catchphrase des wahnsinnigen Jokers, populär geworden durch die meisterhafte Verkörperung von Heath Ledger. Die Sängerin Alice Merton, deren neuer Song den Titel "Why So Serious" trägt, ist allerdings das absolute Gegenteil von einem Bösewicht: Die Pop-Musikerin hatte eine ziemlich behütete Kindheit in der kanadischen Provinz Ontario, bevor sie mit 13 Jahren nach München zog. Seit ihrem Hit "No Roots" ist die Absolventin der Popakademie in Mannheim auf Erfolgskurs. Kommerzieller Erfolg bedeutet für sie aber keineswegs Fließbandware. Deshalb steht auch ihr Debütalbum noch aus. Merton nimmt sich Zeit für ihre Musik, ihr Pop ist durchdacht und feinfühlig. "Why So Serious" ist da keine Ausnahme: Alice Mertons Stimme steht im Vordergrund, während der Bass lässig brummt. Und gerade im Refrain erinnert die Energie an Cyndi Lauper und andere 80er-Ikonen.
Ashnikko – Nice Girl
Wer will 2018 schon ein nettes Mädchen sein? Ashnikko jedenfalls nicht. Die Rapperin ist – wie sie in ihrem aktuellen Track "Nice Girl" schildert – die Sorte Frau, deren Kreditkarte am Eingang des exklusiven Country Clubs abgewiesen wird und die sich ihren Teddybären am Schießstand selber schießen kann. Und damit müssen ihre Partner halt klarkommen: "They told me to be nice and I told them to bite me", rappt Ashnikko. Lange grün-pinke Haare, ein Style zwischen 90er-Rave-Girl und Mangafigur – da richten sich automatisch alle Blicke auf sie. Ashnikko nutzt diese Aufmerksamkeit um ihren Sound, den man wohl grob als Synth-Trap beschreiben könnte und ihre feministische Message unter die Leute zu bringen. Dass sie sich damit nicht nur Freunde macht, weiß die MC. Deshalb wird ihre nächste EP auch "Unlikeable" heißen. Angriff ist die beste Verteidigung.
Royal Canoe – RAYZ
Eine wunderschöne Gebirgslandschaft, ein klarer See und darauf ein vorzugsweise rotes Kanu – so sehen die meisten Touri-Bilder aus Kanada aus. Dieses Klischees waren sich Royal Canoe bei ihrer Namenswahl zwar bewusst, aber irgendwie hat er sich trotzdem durchgesetzt. Und geschadet hat der Name ja nicht: Seit acht Jahren macht die Band jetzt zusammen Musik, hat schon mit alt-J und Bombay Bicycle Club getourt und einige Alben rausgebracht. 2014 haben die Kanadier beispielsweise das Album "Song Reader" von Beck vertont, das der Künstler selbst nur als Notenbuch veröffentlicht hat. Dass Royal Canoe aber eigentlich keinen Ghostwriter brauchen, zeigen sie auf ihrer neuen Single "RAYZ": Eine Klaviermelodie wird von schwurbelndem Synthie abgelöst, die Chorstimmen verleihen dem Song eine Gospel-Note. Für Melancholie sorgt dann das Video: Es begleitet einen dieser Straßenkünstler, die ihren Körper mit goldener Farbe einstreichen und dann auf Spenden von Passanten hoffen.
Noga Erez feat. SAMMUS – Cash Out
Noga Erez hat diesen durchdringenden Blick, gepaart mit einer derart lässigen Ausstrahlung, dass man bei ihrem Anblick erstmal etwas eingeschüchtert ist. Bei der Sängerin aus Tel Aviv ist die harte Attitüde – im Gegensatz zu so manchem männlichen Kollegen – aber nicht nur Fassade. Sie klingt wütend, weil sie wütend ist. Ihre Songs sind aber keine blinden Rampage-Stücke, sondern hochkonzentriert und vielschichtig – sowohl musikalisch als auch textlich. Zusammen mit der Rapperin SAMMUS aus Philadelphia zerlegt sie auf "Cash Out" die chauvinistischen Ansprüche, die an Frauen gestellt werden – inklusive gelungene Seitenhiebe auf den US-Präsidenten. Dazu gibt es wilde Beatteppiche, die unvorhersehbar an- und abschwellen, und eingestreute Soundbits von klingelnden Kassen oder vorbeifahrenden Autos. Es geht hier nicht um glatt gebügelte Melodien, sondern um das Aufbrechen von Konventionen. Trotz des eher wirren Mixes stimmt Nogas Flow. Das muss ihr erstmal jemand nachmachen.
HAERTS – Your Love
Ach ja, die Liebe. Tausende Lieder sind ihr schon gewidmet worden, trotzdem wird das Thema nie langweilig. Das liegt wohl auch daran, dass es sie in unendlich vielen Nuancen gibt. Das Duo HAERTS hat mit "Your Love" einen Track gemacht, der sich ganz der alles verzehrenden Liebe verschreibt. Nicht umsonst ist die Single Teil des Soundtracks der zweiten Staffel von "Tote Mädchen lügen nicht". Sängerin Nini Fabi schafft es dabei ohne übertriebene Theatralik ihre Gefühlslage zu vermitteln: Auf den sachten Anfang folgt ein ausdrucksstarker, mehrstimmiger Mittelpart, der vom durchgängig geschmeidigen Musikbett abgefedert wird. Man merkt, dass die Chemie zwischen Nini Fabi und ihrem Bandkollegen, dem gebürtigen Münchner Ben Gebert, einfach stimmt. Wie sie mit "Your Love" zeigen, stehen HAERTS für gefühlsbetonten Indie-Pop – von dem es bald noch mehr zu hören geben wird: Anfang Oktober erscheint das neue Album "Compassion".
Sendung: Freundeskreis, 10.09.2018 - ab 10.00 Uhr