Track by Track durch "Interzone" Trümmer erklären ihr Album
Trümmer haben sich mit ihrem zweiten Album geöffnet – musikalisch und textlich. Sie erzählen von langen Nächten, vernebelten Momenten und der Liebe. Was sie sich dabei gedacht haben? Paul und Tammo erklären uns die Songs.
1. Wir explodieren
Paul Pötsch: Die ganze Platte ist so aufgebaut, dass man bei Sonnenuntergang in diese Interzone reinkommt und nach den elf Tracks wieder ins Tageslicht gespült wird. Die Sonne geht langsam wieder auf, der Trip ist zu Ende. "Wir explodieren" ist einfach ein gutes Intro, macht die Sache irgendwie klar und holt einen so rein.
Die Zeile "Wir sind die Kinder, vor denen uns die Eltern warnten" habe ich irgendwo im Internet entdeckt, eigentlich ein englischer Spruch. Das finde ich total toll als Selbstverständnis einer Jugendkultur. Ich denke, jede Jugendkultur denkt von sich: Wir sind total dagegen, wir sind anders als unsere Eltern und wir haben geheime Codes, die ihr gar nicht schnallt. Und das fasst für mich irgendwie zusammen, was es heißt, jung zu sein.
2. Neoncity
Tammo Kasper: Das Licht geht aus, die Nacht fängt an, Neonröhren gehen an, Nebel überall, das West Germany, ein toller, kaputter Laden in Berlin, eine ehemalige Zahnarztpraxis, wo total fantastische Konzerte stattfinden…
Paul: Der Song hat auch einen besonderen Sound: Wir sind ja seit dieser Platte zu viert und haben Helge Hasselberg dabei. Er hat schon unser erstes Album produziert, ist dann als Live-Gitarrist eingestiegen und jetzt richtiges vollwertiges Bandmitglied. Er hat eine sehr, sehr eigene Art und Weise, Gitarre zu spielen, und kriegt es hin, dass die Gitarre nicht wie eine Gitarre klingt, sondern wie ein Synthesizer oder so. Er kann echt gute Klangwelten erschaffen, macht tolle Räume auf, was es mir auch erleichtert. Ich kann mich dann mehr aufs Singen konzentrieren.
3. Grüße aus der Interzone
Paul: Ich glaube, dass wir tatsächlich öfter in dieser Interzone unterwegs waren, seit wir live spielen. Wenn man nachts noch länger bleibt, andere Leute kennenlernt, auf Festivals rumhängt, im Bus stundenlang durchs Land eiert, in Hotelzimmern aufwacht… Naja, ich möchte nicht ins Detail gehen, aber das sind schon so Erlebnisberichte, die wir aufbereitet haben.
“Grüße aus der Interzone" ist auch ein bisschen das Titelstück. Ein Stück, in dem es um Depression, Antriebslosigkeit und Trennung geht, aber verpackt in einem Strokes-artigen Uptempo-Tanzstück. Das finde ich einen schönen Trick. Kann man sich gut klauen von Morrissey: Traurige Musik – fröhlicher Text. Fröhliche Musik – trauriger Text. Funktioniert. Immer.
4. Nitroglyzerin
Paul: Das ist ein bisschen mein Baby. Ich bin großer Disco-Fan. Ich leg gern und häufig auf [u.a. im Golden Pudel Club, Anm. d. Red.], vor allem Disco, Funk und Soul. Und ich fand diese Verbindung von Punk und Disco schon immer ziemlich geil. Das kommt ja aus New York, Ende der 70er, Anfang der 80er und dann gab es nochmal so eine Welle mit LCD Soundsystem und The Rapture und solchen Bands. Und ich habe mich gefragt, ob wir das mit Trümmer auch können. Wir haben das dann probiert und es groovt ganz gut.
Die Geschichte ist eine Begegnung von zwei Personen, die sich aus einem Zustand befreien, den sie nicht mehr haben wollen. In dem Moment des Rausches, den sie sich gegenseitig verschaffen, erlangen sie Klarheit.
5. Dandys im Nebel
Paul: Im Hamburger Abendblatt gab es einen Zeitungsartikel über ein Konzert von uns und da schrieb die Redakteurin Birgit Reuter: "Man sieht Trockeneis, glänzende Lederjacken und Dandys im Nebel". Das fand ich eine so vortreffliche und gleichzeitig seltsame Formulierung, dass ich sie gleich stibitzen musste.
Tammo: Der Song ist ein bisschen ein Plädoyer für das Nichtstun, für die Kraft des Nichtstuns.
Paul: Genau, Lobpreisung von Faulheit: Wir können nichts außer nichts tun. Das muss man in einer leistungsorientierten Gesellschaft wie unserer erstmal wieder lernen: Den Müßiggang, Ausruhen, Flanieren. Ohne sich Vorwürfe zu machen und in dieses Ding hineinzukommen: Oh nein, ich prokrastiniere! Einfach mal nichts tun kann auch was Schönes sein!
6. Wie betrunkene Astronauten
Paul: Es gibt ein Stück von Pete Doherty – ich bin ein ziemlicher Pete Doherty Fan – das heißt "For Lovers", in dem er singt "This is for lovers/ Running away/ Just for today." Also diese Idee von: Wir lieben uns, die Liebe ist das einzige, was wir brauchen, und sie ist die Art von Rausch, der wir uns zusammen ausliefern. Den Gedanken fand ich so überzeugend, dass ich darüber auch einen Text schreiben wollte.
7. Europa Mega Monster Rave
Tammo: Für den Song hatten wir die Musik schon, die hatten wir für ein Theaterstück [die Punkrock-Oper "Vincent" Anm. d. Red.] geschrieben. Und irgendwann kam Paul in den Proberaum und meinte: Ich hatte gestern Nacht die Idee, dass wir alle nach Dresden fahren und den Leuten bei Pegida Freibier geben, Ecstasy reintun und gucken, was passiert.
Paul: Nazis on drugs! Was passiert, wenn Nazis positive Gefühle haben? Geht das überhaupt?
Tammo: Daraus entwickelte sich dann diese Utopie von einem Europa, das keine Grenzen mehr hat, wo jeder dazu gehören kann. Ein Europa, das rauschhafte Züge hat.
Paul: Wir wollten halt auch diese sogenannte Flüchtlingskrise kommentieren. Weil man das als Band, wie wir eine sind, nicht ignorieren kann. Und ich fand den Ansatz zu langweilig, sich wie eine Punkband hinzustellen und zu sagen: Das sind die Bösen, das sind die Guten und jetzt kotzen wir uns mal richtig aus! Ich fand es viel spannender, in die Zukunft zu reisen und zu schauen, wie es da aussieht. Und da ist Europa halt eine Tanzfläche und jeder hat Gästeliste.
8. 05:30
Tammo: Ein Punkrock-Song gegen die Leistungsgesellschaft, gegen Selbstoptimierung, gegen zu früh Aufwachen.
Paul: Wir sind ja schon eine Band, die sich vom Selbstverständnis her in diesem Punk-, Postpunk-Ding verortet, im Sinne von: Wir tun, was wir wollen. So habe ich Punk immer verstanden.
9. Gin Tonic & Wodka Soda
Tammo: Der Titel sagt eigentlich schon alles: Ein Song über besoffene Nächte und die schönen Dinge, die daraus vielleicht entstehen können.
Paul: Die interessanteren Dinge im Leben – zumindest in meinem Leben in den letzten Jahren – passieren ja in der Nacht. Tagsüber kommt man doch eher so zurecht. Nachts gehen die Türen auf in andere Welten. Man lässt sich auf mehr ein, begegnet Menschen und schmiedet geheime Pläne am Tresen. "Gin Tonic & Wodka Soda" beschreibt eine Begegnung von zwei Menschen, die definitiv nicht am Tag hätte stattfinden können. Die löst sich ja auch am Tag wieder auf. So ist es ja meistens. Leider.
10. Das Glitzern der Nacht
Albumcover: Interzone von Trümmer
Paul: Da geht es um diesen Typ, Vincent, aus der Oper. Der hat irgendwie zehn, fünfzehn Jahre in Berlin gelebt und nichts anderes gemacht außer getanzt, Ecstasy gefressen und mit fremden Leuten geschlafen. Irgendwann wacht er auf und denkt: Scheiße, was hab‘ ich eigentlich gemacht? Fuck, ich hatte doch mal irgendeine Ambition! Warum bin ich eigentlich hergekommen?
Tammo: Da geht der Song los.
Paul: Das bin jetzt auch nicht notwendigerweise ich. Das ist einfach eine Erzählung. Das ist bei diesem Album auch interessanter als beim letzten. Dass es diesmal ein paar Lieder gibt, wo ich mich in Rollen hineinbegebe und aus einer Rolle heraus singe. Und das ist eine dieser Rollen.
11. Wozu noch Angst
Paul: Das ist neben "Nitroglyzerin" mein Lieblingslied auf der Platte. Weil das wirklich ein Abgesang auf die Angst ist. Habt keine Angst mehr, traut euch, lasst Dinge zu! Als ob man etwas hinter sich lässt. Als ob man auf einem Schiff fährt und etwas über Bord wirft.
Tammo: Der Song hätte auch an keiner anderen Stelle sein können, als am Ende der Platte: Man wacht wieder auf nach dem Kater und nach all dem, was passiert ist, und hat etwas realisiert.
Paul: Genau: Man ist jemand anderes, als der, der man vorher war. Deswegen ist es das letzte Stück.