Kommentar zu #unhatewomen, Fler und Shahak Shapira Warum Punchline-Diskurse nichts bringen
Die raue Diskussion um die #unhatewomen-Kampagne zeigt, dass es dank Zeichenbegrenzung, Feed-Bubble und Algorithmus kaum noch eine Grauzone zwischen zwei Meinungsextremen gibt. So schwindet die Chance auf einen reflektierten Diskurs, den die Kampagne hätte lostreten können.
Team Fler oder Team Shahak? Wer sind die Guten, wer sind die Bösen? Wie steht es um die Glaubwürdigkeit von Rap-Journalismus? Haben RTL, SternTV und Tageszeitung jetzt endlich den Beweis dafür, dass Rapper böse sind? Und was hat das eigentlich noch alles mit #unhatewomen zu tun? Uff! Die Diskussion hat sich längst meilenweit von der ursprünglichen Sache entfernt. Eigentlich fast vorhersehbar, wenn man schaut, wo sie geführt wird: Twitter, Instagram und Co. pushen Meinung im schwarz-weiß-Filter. Ein Diskurs abseits der Sozialen Medien findet kaum statt.
Vorneweg: Auch wenn dieser Beitrag versucht, die absurde Entwicklung der Online-Diskussion weitesgehend gelöst von der Ursprungsproblematik zu durchleuchten, positionieren wir uns klar gegen herabwürdigende Beschimpfungen und Drohungen gegen Frauen und wollen diese auf keinen Fall versuchen zu legitimieren.
Der Kurzabriss einer unendlichen Geschichte
Die nicht ganz unumstrittene Organisation Terre des Femmes hat mit ihrer Kampagne #unhatewomen dazu aufgerufen, frauenfeindliche oder gewaltverherrlichende Sprache gegen Frauen sichtbar zu machen. Eine Userin postete das Video zur Aktion mit #unhatewomen in ihrer IG-Story und verlinkte diverse Rapper wie Finch Asozial, Kollegah, Gzuz oder Fler. Letzterer meldete sich dann per DM bei der Frau zurück – mit einer schimpfwortlastigen Drohung. Mutmaßlich ging er ähnlich auch bei anderen Frauen vor.
Die Userin wendete sich daraufhin an Shahak Shapira, den Comedian, der auch in der Vergangenheit schon den ein oder anderen Twitter-Beef mit Fler hatte. Shapira veröffentlichte die Droh-Nachrichten und kritisierte Fler. Dieser schickte ihm daraufhin ebenfalls gewaltandrohende Sprachnachrichten, die Shapira dann auf Twitter veröffentlichte. Gleichzeitig schoss Shapira auch gegen Deutschrap im Allgemeinen und bezeichnete Rap-Journalismus als rückgratlos. 16bars reagierte und titelte mit „Shahak Shapira: Wie sagen wir dir nett, dass du die Fresse halten sollst?“. Immer mehr Stimmen wurden laut, die Shapira vorgeworfen haben, sich in der Sache zu sehr in den Vordergrund zu drängen. Die Folge: eine Diskussion, in der es plötzlich um Rap-Journalismus im Allgemeinen, Shapira als Person und die Legitimation von Rappern und deren Fehlverhalten ging. Und das lodernde Feuer wird ständig weitergeschürt: verprügelter RTL-Kameramann, noch mehr Insta-Statements und Drohungen bis hin zu einem ausgesetzten "Kopfgeld" und und und...
Von der guten Absicht in die Schlammschlacht
Dass Shahak Shapira der Frau, die von Fler bedroht worden ist, zunächst helfen wollte, ist ja erstmal ein absolut richtiger Move. Sie hatte sich schließlich auch an ihn gewendet. Das Problem an der Sache sind allerdings die (vorhersehbaren) Reaktionen der angestachelten Follower*innen. Das gilt für beide Seiten. Auf Flers Fans-Seite liest man Kommentare, die pures Unverständnis für die Sprach-Problematik signalisierten, bis hin zu Kommentaren, die in ekelhafter Weise beleidigen, Grenzen überschreiten und teilweise antisemitisch sind.
Auf Seiten der Shapira-Anhänger*innen findet man wiederum auch problematische Kommentare, in denen User*innen von oben herab blind gegen das gesamte Genre Deutschrap, seine Kultur und seine Fans schießen. Auch Shahak Shapira selbst hat im Laufe der Diskussion ziemlich schnell eine recht einfache Haltung eingenommen: Rap und Rap-Journalismus ist zu verteufeln – und zwar generell. Was also als Moment der Solidarität begann, entwickelte sich auf absurdeste Weise zu einer kompromisslosen Schlammschlacht. Und dass aus solchen Eskalationen keine*r als Gewinner*in vom Platz geht, wissen wir alle seit dem Kindergarten.
Ein von Strukturen und Stereotypen geprägtes Problem wie Sexismus gilt es zu bekämpfen. Punkt. Aber nicht mithilfe einer herablassenden, ebenfalls von Klischees und Privilegien durchdrungenen Von-oben-herab-Haltung. Überlegenheitsmoral ist nie die Lösung! Der Schlüssel zum Erfolg heißt: Augenhöhe. Wenn sich Gesprächskultur zu einem rücksichtslosen Hin und Her zwischen zwei Extrempunkten entwickelt, schadet das am Ende allen gleichermaßen. Vor allem aber der Sache, die hier ganz am Anfang stand: der Umgang mit frauenverachtender Sprache in Deutschrap-Texten.
Drei Dinge, die wir hoffentlich alle aus dieser Nummer lernen können
Erstens: Check your privilege. Was die gesamte Diskussion von Anfang an bestimmt hat - und was schon fast exemplarisch für viele Social-Media-Schlachtfelder steht: alle Diskutierenden beanspruchen für sich selbst die absolute Wahrheit. Das ist auf Dauer echt ermüdend. Wenn es, wie in diesem Fall, irgendwann nur noch darum geht, das eigene Standing zu verteidigen, statt sich auch auf die "Wahrheit" oder "Realität" des Gegenübers einzulassen, dann bringt so ein Diskurs unterm Strich gar nichts. Das soll nicht bedeuten, dass man über Netzwerke wie Twitter oder Instagram keinen Akt der Solidarität oder einen Versuch der Aufklärung leisten kann. Aber es würde so ziemlich jeder Diskussion sehr guttun, sich die eigene Position, die eigenen Privilegien und die Tragweite einer Meinungsäußerung aktiv bewusst zu machen.
Zweitens: Erwartungshaltung zurückfahren. Dazu gehört dann z.B. auch, dass man nicht prinzipiell davon ausgehen kann, dass sich alle Frauen, besonders die, die im HipHop-Journalismus arbeiten, zu einer Diskussion wie dieser sofort und drastisch äußern müssen. Journalistinnen wie Miriam Davoudvandi, Salwa Houmsi oder Jule Wasabi setzen sich schon lange mit der Problematik von Sexismus im Deutschrap auseinander und sind Teil einer kommunikativen und inklusiven Diskussion innerhalb der Szene. Sich nicht direkt öffentlich auf eine der beiden Seiten zu schlagen hat nichts mit Inkonsequenz zu tun, sondern verdeutlicht nur, dass es nicht immer die eine richtige Antwort gibt.
Drittens: Mut zur Grauzone. Leider ist es eine mehr als problematische Entwicklung unserer Gesprächskultur, dass in öffentlichen Diskursen kaum mehr Platz für einen Graubereich zwischen zwei Meinungen gibt. Das wird vor allem durch die Sozialen Netzwerke unterstützt. Denn durch den eigenen Feed, der einem die Position der Menschen ans Herz legt, denen man ohnehin folgt, erleben wir Diskussion meist nicht in ihrer Fülle, sondern nur aus einer bestimmten Perspektive. Dazu kommt, dass Kommentare, die besonders polarisieren, vom Algorithmus besser ausgespielt und präsenter gelistet werden. Außerdem reichen 280 Zeichen in der Regel auch nicht aus, um überlegt und reflektiert zu kommentieren, sondern vor allem, um verbal um sich zu schlagen und laut zu werden. Aber wenn alle schreien und die eigene Position rechtfertigen, hört am Ende niemand mehr, um was es eigentlich geht.
Feminismus ist keine Saisonware
Sexismus, frauenverachtende und gewaltverherrlichende Sprache ist ein sichtbares Problem von Deutschrap - aber vor allem auch ein Problem unserer Gesellschaft. Ein Diskurs ist deshalb absolut wichtig. Immer. Das ganze Jahr über. Nicht nur wenn gerade ein Hashtag hochkocht. So ein Diskurs funktioniert aber nicht, indem man Punchlines via Twitter hin und her feuert. Wir müssen uns als Rap-Fans und auch als Nicht-Rap-Fans ernsthaft fragen, wie wir mit diesen Inhalten umgehen. Wir müssen Kritik anbringen, wo sie notwendig ist - aber das liegt manchmal eben nicht ganz so klar auf der Hand. Es gibt zum Beispiel Rapper*innen, in deren Fall es sich lohnt, den Kontext mitzudenken.
Deutschrap hat wahnsinnig viele Facetten und eine lange Historie. Es ist ein schwerwiegender Fehler, Deutschrap an sich als "einen Haufen sexistischer Idioten" zu pauschalisieren. Sexistische und gewaltverherrlichende Sprache sollte als solche markiert werden - aber mit der Intention, auch wirklich etwas verändern zu wollen, statt die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Und sowas braucht Zeit und Raum statt pointierter Schnellschüsse.
Was bedeutet "Meinung"?
Wir von PULS wollen euch informieren, unterhalten und mit euch diskutieren. Deshalb veröffentlichen wir neutrale Beiträge, aber auch Texte, Audios und Videos mit einer starken Haltung – so wie diesen. Solche persönlichen Beiträge, in denen eine*r unserer Autor*innnen seine*ihre eigene Meinung zu einem Thema mit Hilfe von Fakten erklärt, nennt man im Journalismus "Kommentar". Es kann sein, dass wir euch damit aus dem Herzen sprechen – oder auch mal vor den Kopf stoßen. Beides ist okay und kann dabei helfen, euch eine eigene Meinung zu bilden. Damit ihr diese Beiträge sofort erkennt, kennzeichnen wir sie immer mit dem Wort "Meinung".
Sendung: PULS am 02.03.2020 - ab 19.00 Uhr