Popmusik und Klimawandel Wie schreibt man einen guten Song über die Klimakrise?

Lauscht man Songs zum Thema Klimawandel, hat man das Gefühl, nicht nur der Planet steckt in der Krise, sondern auch der gute Geschmack. Aber muss das so sein? Wir zeigen euch, wer es richtig macht - ganz ohne Akustikgitarre und Kinderchor.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 21.01.2020 | Archiv

Ein Mikrofon, das zur Hälfte ein gefährlich ins Rote steigendes Thermometer ist.  | Bild: BR

Einen guten Song über die Klimakrise zu schreiben ist nicht einfach. Viele haben es versucht, doch häufig lösen Umweltlieder mit Kinderchor und Akustikgitarre eher Fremdscham statt Aktionismus aus. Beim Thema Umweltschutz steckt scheinbar nicht nur das Klima, sondern auch die Popmusik in der Krise. Bei Liedern wie dem "Earth Song" von Michael Jackson kommen einem Schreckensbilder von vorweihnachtliche Schulfesten in Dreifach-Turnhallen oder dem Hippie-Onkel mit Akustik-Gitarre aus dem Pfadfindercamp in den Kopf.

Dank Klimabewegungen wie Fridays For Future und Extinction Rebellion hat sich das typische Bild von Umweltaktivist*innen verändert: Die Zeit der Bäume umarmenden Ökos ist vorbei, stattdessen steht eine neue Generation woker Klimaaktivist*innen auf dem Plan. Höchste Zeit also, dass sich dieser Image-Wandel auch in der Popmusik bemerkbar macht und dabei ein paar nice Songs über die Klimakrise rausspringen. Nur, wie schafft man es, sich bei diesem abstrakten Thema nicht in ausagelosen Floskeln zu verlieren? Welche Gefahrenquellen lauern beim Songwriting? Und welche Künstler*innen gehen mit gutem Beispiel voran?

Die Moralapostel-Keule

Ja, die Welt geht vor die Hunde. Da liegt es für viele Popstars nahe, den eigenen Einfluss zu nutzen und gut gemeinte Songs zu schreiben, die darauf hinweisen. Eigentlich eine coole Sache, denn Künstler*innen wie Miley Cyrus, Justin Bieber oder Taylor Swift haben viele Fans, die sie theoretisch positiv beeinflussen können. Leider klappt das aber nur bedingt. Ein Beispiel: 2008 hat Miley Cyrus - noch zu Hannah Montana-Zeiten - den Song "Wake Up America" rausgehauen. Hier wird auf Klimakrise und Erderwärmung eingeschlagen - und zwar mit der Moralapostel-Keule. Problem: Songs, die vor moralischen Botschaften und Weltrettungs-Appellen nur so triefen, schrecken Leute eher ab, als dass sie sie für die gute Sache begeistern.

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Wake Up America | Bild: Miley Cyrus - Topic (via YouTube)

Wake Up America

Man muss aber eigentlich gar nicht gleich vom großen Ganzen wie dem brennenden Regenwald oder dem Artensterben singen. Für eine umfassende Dokumentation des Problems gibt es schließlich wissenschaftliche Paper oder bildgewaltige Dokus. Gute Songtexte hat schon immer ausgezeichnet, dass sie die großen Zusammenhänge anhand eines konkreten Beispiels oder anhand einer guten Geschichte erzählen – so wie es die Pixies mit "Monkey Gone To Heaven" getan haben. Wir wollen einen Song nämlich nicht nur hören, sondern fühlen.

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Pixies - Monkey Gone To Heaven (Official Video) | Bild: 4AD (via YouTube)

Pixies - Monkey Gone To Heaven (Official Video)

Übrigens: Sogar "Vamos a la playa" von Righeira ist ein Umweltsong ohne Zeigefinger. Da geht’s nämlich auch um radioaktive Strahlung, die die Frisur am Strand ganz durcheinanderbringt. Wer hätte das gedacht?

Das popkulturelle Potenzial der Bewegung nutzen

Dass Klimaschutz jetzt wieder verstärkt im öffentlichen Diskurs stattfindet, ist ja auch der Verdienst von Greta Thunberg und anderer Klima-Aktivist*innen. Greta Thunberg ist dabei viel mehr als nur politische Aktivistin, sondern mittlerweile selbst sowas wie ein Pop-Phänomen. Und genau dieses Potenzial der Bewegung könnte man doch wunderbar nutzen. Wie sowas aussehen kann, hat letzten Sommer die Band The 1975 gezeigt.

Ins Intro ihres neuen Albums haben sie einfach eine Greta-Rede eingebaut und einen Teil ihrer Erlöse dann an die Bewegung Extinction Rebellion gespendet. Ein weiteres, gelungenes Beispiel: die Sängerin AURORA. Sie nutzt Fridays-for-Future-Material in ihrem Video zum Song "The Seed" und zeigt immer wieder streikende Schüler*innen. Die Einbettung solcher Szenen gibt Nachdruck und vor allem die nötige Ernsthaftigkeit.

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AURORA - The Seed | Bild: iamAURORAVEVO (via YouTube)

AURORA - The Seed

Widersprüche leben

Der französische Philosoph Jacques Rancière sagte einmal Folgendes: "Gute Kunst beschreibt das Spannungsverhältnis zwischen Ästhetik und Politik und zeichnet sich eben genau dadurch aus, dass sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln unterschiedlich interpretiert werden kann." Im Klartext heißt das: Ruhig auch Widersprüche zulassen, das Publikum selber interpretieren lassen und nicht zu dick auftragen.

Gelungene Klimasongs setzen – bewusst oder zufällig – genau das um. Nehmen wir zum Beispiel "All the good girls go to Hell" von Billie Eilish. Dieser Song liefert uns einen Text und ein Video, die wir auf unterschiedlich Weise interpretieren können. Die Zeile: "Hills burn in California, don’t say I didn’t warn ya", könnte zum Beispiel eine Anspielung auf die Klimakrise sein, muss es aber nicht. Im Video sieht man dann Billie als ölbedeckten Vogel, der sich an Land rettet, während im Hintergrund alles in Flammen aufgeht.

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Billie Eilish - all the good girls go to hell | Bild: BillieEilishVEVO (via YouTube)

Billie Eilish - all the good girls go to hell

Alles kleine Hints, die Interpretation des Songs aber wird uns, den Hörer*innen, überlassen. Deshalb suchen wir nach Hinweisen, schauen das Video rauf und runter. Ist die Textzeile eine Anspielung auf eine Gesellschaft, die zwar weiß, dass es überall brennt, aber trotzdem wegschaut? Was meint Billie Eilish mit "Once the waters start to rise"? Gute Klimakrisen-Songs gehen subtil mit der Message um und machen uns damit neugierig anstatt zu predigen, was wir eh schon wissen.

Lustige Songs zu ernsten Themen

Auch Humor ist manchmal eine Lösung. Manche Songs setzen das besser um, manche schlechter. Bei "Lass Liegen" von Alligatoah zum Beispiel funktioniert die komödiantische Herangehensweise an das Thema Klimakrise.

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Alligatoah - Lass liegen (Official Video) | Bild: Alligatoah (via YouTube)

Alligatoah - Lass liegen (Official Video)

Auch der Song "Earth" von Comedian Lil Dicky verfolgte letztes Jahr einen ähnlichen Ansatz. Mit Erfolg - wie 223 Millionen Klicks auf Youtube zeigen. Man kann sich darüber streiten, wie pädagogisch wertvoll Snoop Dogg als singende Marihuana-Pflanze ist und wie oft man sich den kitschigen Refrain geben kann. Aber der Song zeigt, dass Humor im Bezug auf die Klimadebatte funktionieren kann. Vor allem wenn sich so viele namhafte Popstars versammeln und dafür Werbung machen.

Inspiration Punk

Dass man aber auch ernsthaft gute Lieder zum Thema Klimakrise schreiben kann, weiß ein Genre schon lange: der Punk. Nehmen wir zum Beispiel den Song "London Calling" von The Clash. Die Wenigsten wissen wohl, dass Sänger Joe Strummer mit seinem Songtext damals auf die Warnungen vieler Klimawissenschaftler*innen hinweisen wollte. Ihn schockierte schon im Jahr 1979, dass die Themse London überfluten könnte, wenn die Meeresspiegel steigen. "London is drowning and I live by the river", singt er. Auch hier zeichnet sich der Text dadurch aus, dass wir nicht gleich alles vorbuchstabiert bekommen.

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The Clash - London Calling (Official Video) | Bild: theclashVEVO (via YouTube)

The Clash - London Calling (Official Video)

Andere Punkbands, die hörenswerte Songs zum Thema Klimakrise geliefert haben, sind zum Beispiel Anti-Flag mit Songs wie "The W.T.O. Kills Farmers", Rise Against mit "The Eco-Terrorist in Me", NOFX mit "Franco Un-American" oder Die Ärzte mit "Deine Schuld". Das mal nur so als Inspirationsquelle. Und warum nicht auch einfach mal ein Death-Metal-Mashup von Greta samplen? Könnte doch ganz nice sein.

Sendung: PULS am 22.01.2020 - ab 16.00 Uhr