Eine Stunde im Stundenhotel Wie ich ein Zimmer nur für Sex gebucht habe
Bei Stundenhotels denkt man erst mal an verruchte Hinterhofschuppen mit Puffcharme. Aber das sind Vorurteile: Wer sich darauf einlässt, kann dort für einige Stunden in eine andere Welt abtauchen. Unsere Autorin hat es ausprobiert.
Ich liege auf einem Hotelbett. Eigentlich nichts Außergewöhnliches. Aber an der Decke hängt ein riesiges Aktbild. An der Wand ein großer Handtuchspender. Und: Ich habe nur für eine Stunde bezahlt – und das hat einen Grund. Stundenhotels kenne ich von meinem Aufenthalt in Brasilien. Nach dem Abi habe ich dort ein halbes Jahr Freiwilligendienst gemacht, viele Leute kennen gelernt – und dadurch auch ein paar Stundenhotelzimmer von innen gesehen. Genau wie im restlichen Südamerika und in vielen Teilen Asiens, gibt es diese Hotels da an jeder Ecke. Schließlich leben dort viele junge Leute bis zur Hochzeit bei den Eltern – und das oft auf so engem Raum, dass es mit der Privatsphäre eher schlecht aussieht. Wer ein paar ruhige Stunden mit dem Lover verbringen will, geht ins “Motel”.
Kondom vergessen? Ab an die Rezeption
Im Münchner Norden heißt das dann: Romantic Lounge. Das Hotel liegt direkt neben einem Stripclub. Mein Partner und ich nehmen zuerst fast den falschen Eingang. Aber dann stehen wir vor der Rezeption des Stundenhotels. Meine Augen müssen sich erstmal an das schummrige Licht in Rot- und Gelbtönen gewöhnen. Ein junger Gast bittet die Empfangsdame noch eben schnell um ein Kondom. Gleich sind wir dran – bekommen die anderen Leute hier dann auch so viel von uns mit?
In Brasilien läuft das Ganze wesentlich diskreter ab: Man fährt mit dem Auto an eine Art Drive-Through-Schalter. Durch ein Fenster bekommt man den Schlüssel. Geparkt wird in der Garage, die zum Zimmer gehört, und dorthin geht es dann auch ohne Umweg über eine Lobby. Von anderen Gästen und dem Personal keine Spur. Hier in der Romantic Lounge sehe ich gerade, dass am Schlüsselbrett neun von neunzehn Schlüsseln fehlen. Neun Pärchen also, 18 Menschen, die für Sex hierhergekommen sind. Nicht mitgerechnet, dass in einem Zimmer mehrere Leute zugange sein könnten – das kostet übrigens Aufpreis.
"Gäste haben wir von A bis Z. Das sind Pärchen, das sind Eheleute, natürlich auch Damen aus dem professionellen Gewerbe mit ihren Gästen. Ob Chef mit Sekretärin, Ehemann mit Ehefrau, die von zuhause mal ein bisschen Abstand gewinnen und sich einfach mal ein paar schöne Stunden gönnen wollen, das ist alles bunt gemischt hier."
Stella, Betreiberin der Romantic Lounge
Natürlich kommen auch viele für einen Seitensprung vorbei. Und manche können aus kulturellen oder religiösen Gründen ihre Sexualität nicht offen ausleben und finden im Stundenhotel einen geschützten Raum. Aber die meisten, sagt Stella, sind ganz normale Pärchen. Und alle wollen eigentlich das Gleiche: In eine andere Welt abtauchen, den Alltag hinter sich lassen. Und Sex. Eine Stunde gibt es ab 25 Euro.
Zwischen Kitsch und Kettenkäfig
Im Netz habe ich vorab schon mal geguckt, wie die Zimmer aussehen: Das romantische Kaminzimmer heißt „Chimney Suite“, auf den Fotos der „African Suite“ sieht man Elefantengemälde und eine Leopardenbettdecke. Wir wollen uns überraschen lassen – und während wir an der Rezeption warten, sehe ich durch die offene Tür ins Zimmer „Fetish Fantasy“: Dort steht ein Kettenkäfig neben einem Bett mit Latexmatratze. Während ich noch überlege, ob es etwa dieses Zimmer wird, bekommen wir die Schlüssel – für die „Silver Suite“.
Das Zimmer entpuppt sich als metallicschimmernde Welt in Blau- und Silbertönen, die Vorhänge sind geschlossen. Und das Bett ist riesengroß. Da drin hatten schon hunderte fremde Menschen Sex, schießt mir kurz durch den Kopf. Aber, ganz ehrlich: Ist das nicht in jedem Hotel so? Nur dass hier nicht täglich, sondern wenn’s sein muss sogar stündlich sauber gemacht wird. Ich lege mich auf die weiche Tagesdecke. Mein Partner und ich grinsen uns an, halb verlegen, halb verschmitzt. Und dann kommt dieser Effekt, der ein Stundenhotel ausmacht: Ich weiß ganz genau, was jetzt passieren wird. Und das macht die Sache so spannend.
Sendung: Filter, 30.03.2017 ab 15 Uhr