Interview mit Lukas Rietzschel "Darf ich mit einer Person Mitgefühl haben, die selbst keines mehr zeigt?"
Lukas Rietzschel kommt aus einer Provinz in Sachsen und ist mit den Sorgen der Menschen dort aufgewachsen. In seinem Roman "Mit der Faust in die Welt schlagen" geht es um zwei Brüder, die sich dort radikalisieren.
PULS: Lukas, in deinem Buch geht es um viele Geschichten: Felix, der Drogen nimmt, Marco der auf ein stabileres Leben in Stuttgart hofft und der Kollege, der vielleicht bei der Stasi war. Basieren deine Figuren auf echten Personen?
Lukas Rietzschel: Natürlich schreibe ich zwangsläufig über das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin. Alles andere wäre mir einfach zu weit weg. Ich bin mit den Problemen der Menschen mitgegangen. Genau deshalb habe ich mich gefragt, weshalb ich da unbedingt rauswollte. Was muss man tun um nicht mit reinzurutschen? Ich wollte die Stimmung Zuhause transportieren. Die Tristesse, die Perspektivlosigkeit und das Jammern. Ich wollte dem Ganzen eine Tiefe geben. Inwieweit mir das gelungen ist, muss der Leser entscheiden.
Warum hast du dieses Buch geschrieben?
Da spielten mehrere Faktoren eine Rolle. 2014 gingen bei mir Daheim die ersten Proteste gegen Asylbewerber los. Auch Freunde von mir und mein Bruder sind bei den Demos mitgelaufen. Da fragt man sich schon: Warum sind wir nicht derselben Meinung? Das hat mich sehr beschäftigt. Mit dem Roman wollte ich herauszufinden, was genau bei diesen Leuten passiert ist. Es ist mein Versuch, die Gesellschaft abzulichten, sie bis zu einem gewissen Punkt zu verstehen und ab einem gewissen Punkt nicht mehr. Für mich war das Buch wichtig, um meine Herkunft zu verstehen.
Du wolltest also verständlich machen, wieso sich die Menschen dort radikalisieren?
Ich habe versucht eine Perspektive zu bieten, die näher an den Menschen dran ist, als es beispielsweise im Journalismus der Fall ist. Der Roman hat den Vorteil, dass er nicht interpretieren und werten muss. Ich muss nicht beschreiben, was ich gut oder schlecht finde. Ich schildere subjektiv was ich erlebt habe. Was mich stört, ist die ständige Diskussion über den Osten, an der der Osten selbst kaum beteiligt ist. Genau da wollte ich mich jetzt mal in den Zirkus reinwerfen und schauen, was passiert. Der Roman soll nicht einfach nur eine Radikalisierungsgeschichte erzählen, sondern das politische Entgleiten eines ganzen Milieus nach der Wende zeigen.
Möchtest du mit deinem Buch mehr Empathie schaffen?
Ich glaube, dass Literatur generell Empathie schulen kann. Ich kenne kein anderes Medium, keine andere Kunstform, in die man so tief eintauchen kann, so mit den Figuren mitgehen und mitfühlen kann. Das war auch mein Versuch. Allerdings gehe ich mit meinen Protagonisten nicht bis zum Ende mit. Ab dem Moment, wo sie radikal und gewalttätig werden, distanziere ich mich. In der Zeit, in der die Figuren hoffnungs- und perspektivlos sind, zeige ich Mitgefühl. Danach ziehe ich meine Grenze. Die Leser und Leserinnen können selbst entscheiden, wie weit sie mitgehen. Es dreht sich um die Frage: Inwiefern darf ich mit einer Person Mitgefühl haben, die selbst keines mehr zeigt? Das zu forcieren war total interessant.
Wie finden es die Leute aus deinem Umfeld, dass du über sie schreibst?
Ich bin dort aufgewachsen und persönliche Bezüge hat man immer auf eine gewisse Art und Weise. Aber niemand wird konkret genannt oder in seinem Lebenslauf genauestens beschrieben. Natürlich bin ich auch gespannt, wie der Roman Daheim ankommt. Versucht der ein oder andere vielleicht doch echte Figuren rein zu interpretieren? Tatsache ist: Die Figuren, so wie sie in meinem Buch beschrieben sind, gibt es nicht. Das ist das Schöne an der Literatur. Du kannst deine Erfahrungen überspitzen, beschönigen oder ins Lächerliche ziehen.
Dennoch basieren deine Figuren auf echten Menschen. Könnten sie sich wiedererkennen?
Ich glaube schon. Die Geschichten sind ja nicht komplett aus der Luft gegriffen. Es gibt wirklich Menschen in meinem Umfeld, die ins Crystal-Meth-Milieu abgerutscht sind. Andere, die mit Arbeitslosigkeit konfrontiert wurden. Da gibt es sicherlich Parallelen. Vielleicht werden sich ein paar wiedererkennen und sich freuen. Andere dagegen werden sich ärgern, dass ihr Leiden nach der Wende für die Geschichte herhalten musste.
Wieso bist du nach dem Studium wieder nach Görlitz zurückgegangen?
Man kann nach Berlin oder Leipzig gehen und dort in einer toleranten und aufgeklärten Blase leben. Das war mir irgendwie zu realitätsfern. Ich wollte wieder dahingehen, wo es wehtut und wo die Brüche in der Gesellschaft verlaufen. Dort will ich mich engagieren und zuhören. Das hat Görlitz für mich ermöglicht, deshalb fühle ich mich dort wohl auch häufig unwohl. Trotzdem möchte ich gerade nicht weggehen.
Hast du keine Angst von den Rechten bedroht zu werden?
Ja, aber dann ist das eben so. Am Ende stehe ich auf der richtigen Seite. Es ist ja auch nicht neu für mich, mich zu positionieren. Vor Kurzem war bei mir in der Gegend ein riesengroßes Neonazi-Festival. Natürlich bin da vor Ort um zu zeigen: Hier sind wir vereint gegen die Nazis und halten die Zivilcourage am Leben. Natürlich habe ich auch Angst. Görlitz ist eine kleine Stadt, in der sich herumspricht, wer ich bin. Ich werde sehen wo es hingeht.
Du warst dann also auch auf Demos?
Ja, denn man muss ja irgendwie Gesicht zeigen und dagegen eintreten. Es ist nicht einfach, wenn die AfD Demonstration größer ist, als die Gegendemo. Aber wenn dann Siemens und Bombardier geschlossen werden sollen und sich plötzlich eine ganze Stadt auf der Straße vereint, ist das ein gutes Gefühl. Das zeigt: Der Zusammenhalt kann also doch funktionieren. Wir kämpfen gemeinsam für ein Ziel und keiner muss zur AfD gehen, um das zu erleben. Das findet man in der Zivilgesellschaft. Deshalb gehe ich natürlich auf die Straße und erwarte das auch von anderen.
"Mit der Faust in die Welt schlagen" erscheint am 07. September im Ullstein Verlag.
Sendung: Filter, 07.09.2018 - ab 15.00 Uhr