Mit der Mutter über Sex reden "31 Jahre lang habe ich mich um das Gespräch gedrückt"
Es gibt die, die mit ihren Eltern über Sex sprechen – und die, für die allein die Vorstellung ein Albtraum ist. Ich habe beschlossen, die Seiten zu wechseln. Das hat mich verändert.
Von: David Wuertemberger
Stand: 06.02.2017
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Kommunikation über Sex ist wichtig und ich habe kein Problem damit. Ich kichere nicht verlegen, wenn Freunde mich fragen, was mich anmacht, ob Analverkehr weh tut oder man beim Blasen Zähne einsetzen sollte (nein, sollte man nicht). Es gibt aber eine Person, mit der ich wirklich über alles rede – nur nicht über Sex: Meine Mutter. Jedes Mal, wenn das Thema Sex auch nur ansatzweise aufkommt, wird das Gespräch plötzlich völlig unbeholfen und unangenehm.
Ich war vor keinem Interview so ohne Plan wie vor diesem. Wie beginnt man ein Gespräch, um das man sich 31 Jahre gedrückt hat? Ich versuch’s – journalistisch professionell.
Ich: Wieso findest du, wird zu viel über Sex geredet?
Mama: Ich finde, dass man da das intensivere zwischenmenschliche Interesse verliert. Wenn alles bekannt ist, wenn alles besprochen ist, wird das langweilig für mich.
Kannst du dich noch daran erinnern, wie ich aufgeklärt wurde?
Keine Ahnung. Wahrscheinlich in der Schule. Das kriegt man doch sogar schon im Kindergarten und im Fernsehen mit. Du kannst es noch nicht mal vermeiden. Darum finde ich, dass die Wertigkeit und Wichtigkeit heute übertrieben ist.
Eigentlich war mir klar, dass sie das gar nicht wissen kann. Mein Bruder hat mich nämlich aufgeklärt und ich hab so gar nichts gecheckt. Etwa so viel wie im Mathe-Semester über Stochastik.
Die Sexualität, die im Fernsehen stattfindet ist doch aber eine total normierte, heteronormative und auch künstliche. Das hat ja ganz oft nichts mit richtiger, wirklicher, echter Sexualität zu tun. Mir hat halt niemand beigebracht, dass es da auch was anderes gibt. Durch meine katholische Erziehung war ich mir sicher, das muss genauso laufen – obwohl ich selbst schwul bin. Ich hab es mit Frauen probiert, weil ich dachte, dass das so sein müsste. Und ich hatte gar keinen Spaß. Noch viel mehr, es war schlimm.
Was hätte ich tun können oder was wäre dann anders geworden? Im Sexualkundeunterricht findet bestimmt auch keine gleichgeschlechtliche Beziehung statt.
Nein, und es ist bis heute nicht im bayrischen Lehrplan verankert. Aber es wäre ganz nett gewesen zu wissen, dass meine sexuelle Orientierung nicht schlimm ist. Das heißt nicht, dass mir jegliche Sexualpraktik erklärt werden muss. Glaubst du nicht, dass Gespräche darüber auch was bringen können?
Natürlich können Gespräche da was bringen. Aber ich hatte nicht das Bedürfnis, ständig über das Thema zu sprechen. Ich unterhalte mich darüber, wenn man mich was fragt. Mir geht das Thema Sex auf den Sack. Ich will über andere Dinge reden. Das heißt nicht, dass ich in ein Kloster gehe oder so. Klar, wenn wir darüber geredet hätten, vielleicht hättet ihr dann andere Ideen gehabt.
Ja, vielleicht. Aber ich kann meiner Mutter auch keinen Vorwurf machen. Ich kann sogar verstehen, dass sie kein Bedürfnis hatte, über das Thema zu reden. Ich habe mein Wissensbedürfnis dann also online gestillt. Ich sage oft, dass ich nicht wüsste, was ohne Internet mit mir passiert wäre…
Wir haben kürzlich telefoniert und ich habe dir von nervigen Geschichten mit nervigen Männern erzählt. Du hast mir dann zu verstehen gegeben, ich solle meine "Kontakte" zurückschrauben. Warum?
Weil man da meiner Ansicht nach ziemlich viel Energie verbraucht, die man für etwas anderes nutzen könnte. Oder vielleicht meinst du, dass du damit bei dir etwas ausbessern oder bewirken musst.
Wir kommen jetzt wir wirklich ans Eingemachte. 31 Jahre lang hab ich nicht mit meiner Mutter über Sex geredet. Sie wollte auch nichts wissen. Aber anscheinend kennt sie mich trotzdem so gut, dass sie nach 20 Minuten schon genau den wunden Punkt erwischt hat, über den ich selbst schon eine Zeit lang nachdenke - und dabei weiß sie gar nicht, wie viel Sex ich wirklich habe. Ihr zu erzählen, dass es im letzten Jahr rund 50 Männer waren, bringe ich nicht über mich.
Es ist jetzt nicht so, als würde ich mich täglich durch die Betten rollen. Ich wollte meinen Sexualtrieb lange Zeit irgendwie abtöten, weil es mich traurig gemacht hat. Immer unglücklich verliebt, keinen Spaß am Sex, den ich hatte. Also hat Sexualität auf jeden Fall nicht nur eine körperliche Ebene…
Man muss sich halt überlegen, was man mit dem Begriff Sexualität verbindet. Wenn ich jemanden treffe, ist es mir am liebsten, ich kann mich mit der Person unterhalten und komme auf eine zwischenmenschliche Gefühlsebene.
Glaubst du, dass es eine rein körperliche Ebene zwischen Menschen geben kann?
Klar!
Du kennst mich jetzt ja seit ein paar Jahren. Würdest du mich so einschätzen, dass ich Sex und Gefühle nicht voneinander trennen kann?
Da kannst du mir erzählen, was du willst, aber ich glaube nicht, dass du die Gefühlsebene ausschalten kannst. Das würde mich stark wundern, wenn das ginge.
Ich denke eigentlich, dass ich das kann. Also glaubst du, ich belüge mich selbst?
Ja. Das glaube ich.
Wie das Gespräch mit David und seiner Mutter weitergeht, hört ihr im Podcast "Generation Porno - Wie offen sind wir wirklich?".