Meinung zum Touri-Trend #Begpacking Reisen ist Luxus, kein Grundrecht

Der Hashtag #Begpacking sorgt gerade völlig zurecht für virtuelle Wutanfälle. Das Wort umschreibt, was Backpacker in Ländern wie Thailand, Indonesien oder Südkorea aktuell tun: Betteln, um sich die Weiterreise zu finanzieren.

Von: Maria Christoph

Stand: 08.07.2019 | Archiv

Reisetrend Begpacking | Bild: BR

Eine junge, rothaarige Frau sitzt am Straßenrand in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, schicke Armbanduhr, Sonnenbrille, blütenweißes Shirt, um ihre Schulter hängt eine rosafarbene Handtasche von Mango, in den Händen hält sie den Deckel eines Schuhkartons: Ich habe kein Geld! Ich muss reisen, bitte gib mir schnell Geld! steht da drauf. 

Das Foto von ihr geht gerade auf Twitter viral. Der Journalist und selbsternannte "begpacker buster" Raphael Rashid hat es letzten Monat geteilt, einen kleinen Shitstorm ausgelöst und die Frau angezeigt. Auf einem anderen Foto sieht man zwei junge Männer, Typ struppiger Freigeist, die irgendwo in Südostasien auf der Straße hocken, vor ihren Füßen ein Schild mit dicken roten Buchstaben: They say beggars are not choosers. But I beg to differ. (Sie sagen Bettler haben es sich nicht ausgesucht. Aber ich bin anderer Meinung.)

Die Frage ist: Warum ist dieser Typ wohl anderer Meinung? Vielleicht, weil er sich für diese Reise quer über den Globus entschieden hat? Vielleicht, weil neben ihm noch andere Menschen sitzen und betteln – aus Verzweiflung, hungrig nach Reis statt Reisen?!

Reisen ist ein Privileg, kein Grundrecht

Dass Betteln um Taschengeld für das nächste Flugticket völlig geschmacklos ist, muss man keinem sagen. Gerade als Urlauber in einem Land wie Indonesien, in dem jeden Tag Menschen vor Hunger sterben, sollte einem klar sein, dass Reisen Luxus ist und kein Grundrecht. In Bali wurden deswegen "Begpacker" hart von den Behörden kritisiert und in ihre Botschaften verwiesen.

Aber man will doch irgendwie wissen: Was sind das für Leute, die da am Straßenrand sitzen, weil ihnen die Kohle ausgegangen ist? Wenn sie aus den USA kommen und gerade ihr Gap Year machen, sind das höchstwahrscheinlich Kinder aus Akademikerfamilien mit einem Jahreseinkommen von über 100.000 US-Dollar, besagt die Studie der American Gap Association. Sind es Briten, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass sie nach ihrer Reise auf eine Eliteuni gehen, sagt das britische Bildungsministerium.

Nicht jeder kann so einfach durch die Welt fliegen

Ist ja auch kein Ding. Wer reisen kann, kann das auch nutzen – mal kurz den Klimaaspekt ausgeblendet. Reisen erweitert den Blick auf die Welt und führt einem die eigenen Privilegien vor Augen. Privilegien, die andere gerne hätten: Die Freiheit, mit dem Rucksack und wenig Geld wochenlang unterwegs zu sein, keine Verpflichtungen zu haben, locker in den Tag hinein von billigem Streetfood zu leben. Mit einem deutschen Pass kein Problem, für 30 Tage Indonesien braucht man nicht mal ein Visum. Während jemand mit indonesischem Pass für ein deutsches Visum mindestens 6.000 Dollar auf dem Konto haben muss und manchmal sogar eine Garantie vom Arbeitgeber braucht, die bescheinigt, dass die Person auch wirklich wieder zurückkommt. Danach ist immer noch nicht sicher, ob er oder sie ein Visum bekommt.

Menschen, die wochen- oder monatelang verreisen können, sind eine Minderheit. Auch in Europa. Jeder dritte Europäer und jeder siebte Deutsche ist laut Eurostat (Europäischem Statistikamt) zu arm, um überhaupt mal eine Woche lang wegzufahren. Wer schon mit Mitte 20 backpackend über den Globus getingelt ist, sollte das wissen. Und sorgsam mit diesem Privileg umgehen, statt sich mit einem beschriebenen Pappkarton auf die Straße zu setzen.

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Sendung: PULS am 08.07.2019 - ab 15.00 Uhr