Machen statt liken Was passiert, wenn ich selbst politisch aktiv werde
Wir unterschreiben Petitionen auf change.org, liken die Posts von Greenpeace, kommentieren die Videos von PETA. Cool, aber das Netz hat uns auch faul gemacht. Unser Autor Ben war deswegen vier Wochen im Real Life politisch aktiv.
Am Anfang war da dieser Moment: Ich habe den Post eines Freundes in meiner Facebook-Timeline gesehen. Darin ging es um irgendeine Petition gegen Rechts. Dieser Typ hat einen fetten Rant dagegen geschrieben, wie wenig wir uns alle engagieren und dass man viel mehr machen müsste.
Er mag mit vielem auch recht gehabt haben, was er dort geschrieben hat. Trotzdem war ich genervt. Ich kenn diesen Typen. Der geht selbst hundertprozentig nicht auf eine einzige Demo gegen rechts oder engagiert sich aktiv für Flüchtlinge. Aber noch viel schlimmer: Ich bin kein Stück besser.
Raus aus der digitalen Blase, rauf auf die Straße
Ich konnte mich in dem Moment nicht mal daran erinnern, wann ich das letzte Mal selbst auf einer Demo war. Und das, obwohl ich ein durch und durch politischer Mensch bin. Früher war das anders. Jetzt bin ich nur noch digital politisch aktiv.
Mein Entschluss: Ich will das ändern! Genug damit, sich nur darauf zu berufen, dass man nichts ändern kann. Stattdessen will ich einen Teil, wie klein auch immer der sein mag, dazu beizutragen etwas zu ändern – oder es zumindest zu versuchen.
Wie soll ich mich engagieren?
Es gibt aktuell so viele Probleme und Themen, die wichtig sind – bei denen sich gerade die junge Generation endlich engagieren müsste: Umweltschutz, das drohende Zerbrechen Europas, aufkeimender Rechtspopulismus oder die Flüchtlingskrise. Als ich anfange, Termine im Netz auszuchecken – zu den Themen, die ich potentiell auch bei Facebook like und teile – muss ich feststellen: Es gibt viel mehr als ich dachte.
Diskutieren bei den Grünen
Ich lande bei einer Diskussionsveranstaltung der Grünen zur umstrittenen S-Bahn Stammstrecken-Erweiterung in München in einem Kulturzentrum. Interessante Erkenntnis des Abends: Es gibt sie noch, die Menschen, die Politik wirklich noch leben und sich in hitzigen Diskussionen austauschen.
Einziges Problem: Es waren fast nur ältere Menschen dort. Und das, obwohl wir zukünftig dieses Bauprojekt mit unseren Steuern bezahlen müssen. Mir ist klar geworden: Wenn wir unsere Zukunft mitgestalten wollen, müssen wir mitmachen. Sonst entscheiden die Alten – und diese Tatsache werden wir mit ein paar lausigen Klicks bei Facebook nicht ändern.
Schauen, wie Gesetze gemacht werden
Jetzt wollte ich dorthin, wo Entscheidungen getroffen werden und über Gesetze abgestimmt wird. Also bin ich zu einer Europa-Ausschusssitzung im bayerischen Landtag gegangen. Da kann sich jeder von uns reinsetzen und direkt mitkriegen, wie Politik praktisch funktioniert – auch, wenn es ehrlich gesagt den Spannungsfaktor einer Statistik-Vorlesung hat.
Seinen Abgeordneten kontaktieren
Ich habe mich im Anschluss daran gefragt: Interessieren sich Politiker eigentlich wirklich nicht für unsere Anliegen – wie ihnen oft vorgeworfen wird? Deshalb habe ich im Bundestag angerufen und mir die Nummer meines Abgeordneten Dieter Janecek geben lassen. Ich wollte einfach mal rausfinden, wie schwierig es ist, direkt mit dem in Kontakt zu kommen. Einen Tag später hatte ich ihn am Hörer.
Spannende Erkenntnis: Ich kann mich als Bürger wirklich mit allen möglichen Themen bei ihm melden, erklären, was mir nicht passt. Und das ist schon mal deutlich mehr, als nur auf "die da oben zu schimpfen“. Schließlich sitzen die Abgeordneten am Ende für uns im Parlament. Sie können nur mit unserem Input Probleme erkennen und versuchen, Lösungen dafür finden. Wenn wir denen nicht sagen, was schief läuft, kommt das auch nicht an.
Sich für die Umwelt stark machen
Umweltschutz ist eines der Themen, die mir wichtig sind. In der Vergangenheit habe ich geglaubt, durch mein Engagement bei Facebook wirklich mitgeholfen zu haben, Pandas in China zu schützen oder die letzten Nashörner in Afrika zu retten. Es mag stimmen, das Petitionen auch etwas bringen können. Aber es gibt Möglichkeiten direkt vor Ort etwas zu bewirken – dort, wo ich mehr Einfluss habe, als auf die afrikanische Savanne.
Bei Facebook werde ich auf einen Post der Umweltorganisation Sea Sheapard aufmerksam. Es geht um einen "Beach Clean Up Event" in Niedernberg am Main. Müllsammeln am Fluss: Das klingt banal – aber es war wirklich super. Wir liefen mit Handschuhen und Mülltüten durch die Gegend und am Ende des Tages hatten wir einen riesigen Berg zusammengetragen. Total einfach: Hinfahren, mitmachen und abends mit einem sau guten Gefühl pennen gehen.
Pulse of Europe
Ich fühle mich durch und durch als Europäer – gerade deshalb beschäftigt mich das drohende Zerbrechen der EU. Und damit bin ich nicht allein - das wurde mir beim ersten Besuch einer "Pulse of Europe" Demo in München bewusst. Die Stimmung auf dem Max-Joseph-Platz war euphorisierend: Ich habe Schweden, Italiener, Franzosen und Deutsche aus allen möglichen Bundesländern getroffen und mich mit ihnen ausgetauscht. "Pulse of Europe" ist ein perfektes Beispiel dafür, wie gut Social Media funktioniert, um Leute aus ihrer virtuellen Blase rauszuholen und auf die Straße zu bringen.
Diskutieren mit PEGIDA-Anhängern
Der wohl krasseste Kontrast dazu war die Pegida-Demo auf dem Marienplatz. Bei Hasskommentaren im Netz schreibe ich regelmäßig meine Meinung dazu. Aber: Sich im Netz mit Rechten zu streiten ist eine Sache, das in der Wirklichkeit zu tun, eine ganz andere.
Ich durfte mir Sprüche anhören, wie: "die vermehren sich und arbeiten nicht", oder "die sind kriminell und vergewaltigen unsere Frauen". Abgesehen von der Tatsache, dass ich mit geballter Faust in der Tasche da stand und nicht glauben konnte, was die zu sagen hatten, war ich hinterher echt frustriert darüber, dass sie einfach so sehr in ihrer Wahrnehmung gefangen sind, dass ich mit Argumenten nicht weiter gekommen bin. Trotzdem finde ich es wichtig, dass weiterhin Menschen jeden Montag dorthin gehen und denen die Stirn bieten.
Putzen im Wohnheim für Flüchtlinge
Nachdem ich mir bei Pegida anhören musste, wie sehr die Flüchtlinge an allem Übel schuld sein sollen, beschloss ich etwas für Flüchtlinge zu tun. So bin ich zu dem Projekt "Bellevue di Monaco" gekommen. Dafür wurden in der Münchner Innenstadt Wohnungen für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge geschaffen.
Da werden immer wieder Helfer für bestimmte Aktionen gesucht – zum Beispiel fürs Putzen der Wohnungen, die nach dem Umbauarbeiten noch voller Baustaub waren. Mit Putzeimer und Handschuhen ausgestattet, habe ich mitgeholfen, das Gebäude bis zum Einzug der ersten Bewohner sauber zu bekommen.
Fazit
Es gibt viele Projekte, bei denen man einfach und unverbindlich mithelfen kann. Und die Belohnung für einen selbst ist groß: Jedes Mal wenn ich mit meinem Rad am "Bellevue di Monaco" vorbei fahre, muss ich schmunzeln, weil ich einen kleinen Teil beigetragen habe.
Meine Erkenntnis nach den ersten vier Wochen: Ich werde weitermachen. Einen Abend hier, ein Nachmittag am Wochenende dort und schon habe ich einen Teil dazu beigetragen, etwas zu ändern, anstatt bequem auf der Couch zu sitzen und zu meckern. Wir können viel mehr erreichen, wenn wir wieder machen statt liken.
Sendung: Machen statt liken, Samstag 06.05.2017 - ab 18.00 Uhr