Richter ohne Jura Warum Schöffen wichtig sind

Alle fünf Jahre suchen Gerichte neue Schöffen. Das sind ehrenamtliche Richter, die keine Ahnung von Jura haben sollen. Klingt bescheuert - hat aber gute Gründe.

Von: Maxim Landau

Stand: 21.12.2018 | Archiv

Schöffen | Bild: BR

Eigentlich ist Nina Ingenieurin. Ab Januar hat sie noch einen anderen Job - dann entscheidet sie im Gericht darüber, ob Menschen eine Strafe bekommen und ob sie in den Knast müssen. Nina wird Schöffin, also ehrenamtliche Richterin in München. Heute findet ihr Einführungskurs statt. Sie sitzt mit rund 50 anderen angehenden Schöffen in einem stickigen Zimmer in der Staatsanwaltschaft München: Frauen, Männer, jung, alt, Doktoren, Handwerker und Selbstständige. Alles zukünftige Richter, die nur eines verbindet: Jura ist so gar nicht ihr Fachgebiet.

Gesucht: Menschen ohne Jura-Peilung

"Sie sollen sich gar nicht auskennen, sie sollen wirklich Laien sein", sagt Richter Robert Hamberger, der den Einführungstag leitet. Die Schöffen sollen - eben weil sie keine Juristen sind - den "normalen Menschenverstand" in das Gericht einbringen. Sie vertreten die Meinung des Volkes. Sie hören den ganzen Prozess: Die Anklage, die Verteidigung, die Aussagen der Zeugen. Am Ende urteilen sie gemeinsam mit dem Richter, ob der Angeklagte schuldig gesprochen wird und welche Strafe angemessen ist. Rund 60.000 Schöffen sitzen in deutschen Gerichten. Im Grunde kann jeder, der Lust hat, ehrenamtlicher Richter werden. Voraussetzung ist, dass man zwischen 25 und 69 Jahre alt ist, keine Verurteilung wegen einer Straftat bekommen und eben keine juristische Ausbildung hat. Notare und Polizisten dürfen zum Beispiel keine Schöffen werden.

Meistens sitzen zwei Schöffen im Gerichtssaal neben dem Richter. Auch wenn sie keine schwarzen Roben tragen, also styletechnisch nicht mithalten können - die Stimme eines Schöffen zählt genauso viel wie die eines Berufrichters. Wenn in einem Prozess mehr Schöffen als Richter sitzen, könnten die Schöffen die Richter beim Urteil also sogar überstimmen.

Neutral bleiben ist das Wichtigste - und oft das Schwerste

Laut Richter Hamberger entfernt sich die Meinung der Schöffen aber selten von der Ansicht der Richter. Zum Schluss eines Prozesses ziehen sich die Schöffen und die Richter in ein Beratungszimmer zurück, alles, was sie dort besprechen, ist streng geheim. "Das Wichtigste ist, dass sie sich nicht von außen beeinflussen lassen, sondern nur aufgrund dessen urteilen, was sie in der Hauptverhandlung erleben", sagt Hamberger. Wenn sich Schöffen beispielsweise von Angehörigen des Angeklagten beeinflussen lassen, muss die Verhandlung im schlimmsten Fall von vorne beginnen - mit neuen Schöffen.

Nina wird zum ersten Mal Schöffin. Fünf Jahre wird sie dieses Amt nun ausführen. Sie weiß, dass das keine einfache Nebenbei-Sache wird. Immerhin wird sie über echte Menschen mit echten Geschichten urteilen:

"Das sind bestimmt auch emotionale Herausforderungen. Zum Beispiel bei Gewalt gegen Frauen, weil ich selber eine Frau bin und das wahrscheinlich am ehesten nachvollziehen könnte. Dann ist es natürlich eine große Verantwortung, weil man über das Leben eines Menschen bestimmt."

Nina

Bei solchen Fällen neutral zu bleiben und sich nicht persönlich mitreißen zu lassen, das ist vielleicht das Wichtigste als Schöffin. Und vielleicht auch das Schwierigste.

Einfach wegbleiben ist nicht drin!

Zehn Prozesse hat Nina auf ihrer Liste für 2019. Teilweise können sich Fälle auch mal über Wochen, Monate, sogar Jahre hinziehen, für die Schöffen eine intensive Phase. An den Tagen, in denen sie im Gericht sitzen, werden sie in ihrem eigentlichen Job fehlen. Nina kann sich das Geld, das sie in der Fehlzeit in ihrem normalen Beruf verdient hätte, aber vom Gericht zurückholen. Bis zu 24 Euro Ersatz und obendrauf eine Entschädigung von sechs Euro zahlt ihr das Gericht pro Stunde. Einfach nicht zum Gerichtstermin erscheinen ist auf jeden Fall nicht drin: Schöffen sind dazu verpflichtet, bei jedem Termin anwesend zu sein. Fünf Jahre lang.

Nina hat sich freiwillig auf das Schöffenamt beworben. Theoretisch kann man auch zufällig von einer Gemeinde ins Schöffenamt berufen werden. Wer ausgelost wurde, muss das Amt in der Regel antreten. Nur in Härtefällen, wenn zum Beispiel die familiäre Situation es nicht zulässt oder wenn man bestimmte Berufe ausübt, kann man ablehnen.  Nina wollte sich mehr einbringen, sich sozial engagieren. "Ich habe ein bisschen rumüberlegt, was ich machen könnte. Und bin hier gelandet, weil ich dachte, das hilft nicht nur einer Gruppe, sondern hoffentlich allen."

Noch weiß sie nicht, welche Geschichten sie in den nächsten Jahren hören wird. Mal kann es nur um kleine Diebstahldelikte gehen, mal um Menschen, die in ihrer Wohnung Gras anbauen und vielleicht geht es auch mal um Missbrauch oder Vergewaltigung. Um ein neutrales Urteil zu fällen, muss sie alle Fakten genau abwägen - gar nicht so ein großer Unterschied zu ihrem eigentlichen Beruf, findet sie: "Beim Ingenieursberuf kommt es auch auf Genauigkeit an. Da gibt es nicht so viel Schwarz-Weiß. Ich glaube, wenn es im Gericht darum geht, ob jemand schuldig ist, oder nicht und wie man ein Strafmaß findet, ist das vergleichbar."

Sendung: Filter vom 20.12.2018 - ab 15 Uhr