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Aktion Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen "Die Wiesn hat ein sehr sexualisiertes Klima"

Schunkeln, Grapschen und mehr - beim Oktoberfest kommt es jedes Jahr zu sexuellen Übergriffen. Mindestens genau so schlimm ist das Victim-Blaming. Eine Aktion aus München hilft allen Wiesnbesucherinnen, wenn etwas passiert.

Von: Verena Fücker

Stand: 27.09.2016 | Archiv

Wie sicher ist die Wiesn für Mädchen und Frauen? | Bild: BR

Wer als Mädchen oder Frau auf der Wiesn ein Problem hat - egal welches - ist beim Security Point hinter dem Schottenhamel-Zelt richtig. Die Anlaufstelle der Aktion "Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen" kümmert sich dann um sie. Magdalena Schierl ist für den Security Point verantwortlich. Sie arbeitet dort mittlerweile zum vierten Mal mit. Im Interview mit PULS erzählt Magdalena Schierl, dass Frauen oft immer noch eine Mitschuld gegeben wird, wenn es zu sexuellen Übergriffen kommen. Von "Kölner Verhältnissen" ist die Münchner Theresienwiese ihrer Meinung nach aber noch weit entfernt.

PULS: Warum kommen die Frauen zum Securitiy Point auf der Wiesn?

Magdalena Schierl: Das ist sehr, sehr vielfältig. Die Frauen kommen wegen eines kaputten Ballerina-Schuhs über den leeren Handy-Akku oder die verlorenen Freunde und Freundinnen bis hin zu erlebter körperlicher oder sexualisierter Gewalt.

Was passiert denn, wenn im Zelt oder auf der Wiesn ein Mädchen oder eine Frau sexuelle Gewalt erlebt und dann zu Ihnen kommt?

Magdalena Schierl

Unser Team besteht aus Fachberaterinnen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Die Ehrenamtlichen stehen vor der Tür, nehmen das Mädchen oder die Frau in Empfang und begleitet sie in unseren Raum. Da kann die Frau erst mal ankommen, durchatmen – dann kümmert sich eine Fachberaterin um sie. Je nachdem in welcher Verfassung die Frau oder das Mädchen ist, spricht sie mit ihr und informiert sie über ihre Möglichkeiten. Und wenn die Frau das möchte, würden wir sie auch irgendwo hinbegleiten, sei es zur Polizei, zur Rechtsmedizin oder wo auch immer sie sonst hin möchte. Für solche Fälle, wenn wir den Frauen keine Taxifahrt mehr zumuten möchten oder sie das einfach nicht mehr wollen, haben wir auch noch einen eigenen Fahrdienst.

Was ist ein Sexualdelikt?

  • Vergewaltigung
  • sexuelle Nötigung: Eine Person wird mit Drohungen gegen Leib und Leben, mit Gewalt oder durch Ausnutzen einer für das Opfer hilflosen Lage dazu genötigt, sexuelle Handlungen mit einer Person einzugehen, mit der sie das überhaupt nicht will.
  • Exhibitionismus
  • Beleidigung und Erpressung auf sexueller Grundlage
  • Kinderpornografie, Sex mit Kindern und Schutzbefohlenen

Gibt es Unterschiede zu früheren Jahren? Haben Sie mehr oder weniger zu tun?

Ich kann von den letzten beiden Jahren sprechen. 2014 hatten wir mehr Fälle als 2015, aber die Fälle im vergangenen Jahr waren zeitintensiver. Wir hatten zum Bespiel einige Fälle von Retraumatisierung, Frauen und Mädchen mit psychischen Traumata, also Posttraumatischen Belastungsstörungen. Die wurden dann oft mehrere Stunden lang betreut, das bindet natürlich Kräfte. Deswegen sind wir in diesem Jahr mit einer höheren Personalanzahl vor Ort. Aber es gibt da keine gravierenden Unterschiede, was die Zahlen betrifft.

In Zahlen: Wie sicher ist die Wiesn?

  • laut Polizei stagniert die Zahl der angezeigten Straftaten seit Jahren bei rund 2000, wovon rund 25 Sexualdelikte sind. Zwei Sexualdelikte pro Jahr sind leider Vergewaltigungen.
  • Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß allerdings niemand und kann auch nicht abgeschätzt werden. Laut Studien werden nämlich nur rund fünf Prozent aller Sexualdelikte angezeigt.
  • 2015 waren 197 Mädchen und Frauen beim Security Point, die meisten allerdings, weil sie ihre Begleitpersonen verloren haben oder weil sie ihr Handy, ihr Portemonnaie oder ihre Tasche verloren haben.

Wenn man hört, es gibt rund 25 Sexualdelikte pro Jahr bei bis zu 600.000 Besuchern auf der Wiesn pro Tag, klingt das ja erst mal recht wenig. Ist denn die Wiesn sicher für Frauen und Mädchen?

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Ich würde sagen: Die Wiesn ist sicher für Mädchen und Frauen. Es ist natürlich schwierig, wenn eine Vielzahl von Menschen aufeinander prallt. Aber ich persönlich denke schon – und gerade auch dieses Jahr mit den ganzen Sicherheitsmaßnahmen – dass die Wiesn im Rahmen der Großveranstaltung sicher ist und hierfür viel getan wird. Endgültige Sicherheit gibt es freilich nicht.

Allerdings laufen Frauen gerade auf dem Oktoberfest eher Gefahr von Victim Blaming betroffen zu sein. Dass Besucherinnen und Besucher wenig Verständnis für sie aufbringen können, weil sie waren ja doch so betrunken waren, so einen tiefen Ausschnitt oder so ein kurzes Dirndl anhatten oder haben sich eben eine Maß ausgeben haben lassen.

Ich habe mich auch mit einigen Wiesn-Besucherinnen unterhalten - deren Haltung ging oft Richtung Victim-Blaming. Die meisten haben gesagt: "Wenn was passiert, dann sind die Mädels selber schuld. Die haben zu viel getrunken oder ihr Dirndl war zu kurz." Ist das nicht viel zu einfach?

Dazu ist unsere Haltung glasklar: Der Täter trägt immer die Schuld, nie die Betroffene. Keine Frau kann dafür zur Verantwortung gezogen werden, sondern immer nur der Täter.

Gibt es denn viele Frauen, die sagen: "Ja mei, es ist halt die Wiesn. Da gehört es einfach dazu, dass man mal angegrabscht wird."?

Die Wiesn hat ein sehr spezielles Klima und ich persönlich würde auch sagen, das ist sexualisiert. Zusätzlich ist jede Menge Alkohol im Spiel. Es wird einfach gerne getanzt, geflirtet, geschunkelt. Das darf ja auch so sein. Von daher gibt es diese Einstellung bestimmt. Aber wir begrüßen sehr, dass jetzt auch zur Debatte rund um die Silvesternacht in Köln die Sensibilität für das Thema sexualisierte Gewalt an Frauen viel größer geworden ist und ermutigen da auch, darüber zu reden, Zivilcourage zu zeigen, Freunde und Freundinnen mit ins Boot zu holen und solche Taten nicht einfach hinter sich zu lassen und so zu tun, als wäre nichts passiert. Aber zwingen können wir dazu natürlich niemanden. Das obliegt jeder Frau und jedem Mädchen selbst, wie sie damit umgeht.

Glauben Sie, dass etwas Ähnliches wie in der Silvesternacht in Köln auch auf der Wiesn in München möglich wäre?

Auf dem Festgelände ist es für mich wirklich sehr schwer vorstellbar. Das Gelände ist so gut kontrolliert durch die Polizei und auch eigentlich bis in jeden Winkel kameraüberwacht. In den Zelten gibt es, soviel ich weiß, auch Überwachung. Was um das Gelände herum passieren kann, ist natürlich eine andere Frage. Natürlich gibt es große Besucherströme auf dem Oktoberfest. Deswegen gibt es voraussichtlich keine komplette Sicherheit, aber dass wirklich das Gleiche passiert wie in Köln, wo sich Tausende von Männern versammelt haben, das wäre auf dem Festgelände für mich eher undenkbar.

Der Security Point auf dem Münchner Oktoberfest

  • befindet sich im Servicezentrum hinter dem Schottenhamel-Zelt
  • hat jeden Wiesn-Tag von 18 bis 1 Uhr geöffnet
  • hat auch eine eigene, kostenlose App: „WiesnProtect“ zeigt zum Beispiel den eigenen Standort und den vom Security Point, kennt außerdem alle wichtigen Tipps für Mädchen und Frauen auf der Wiesn und beinhaltet einen Maß-Zähler.
  • alle weiteren Infos gibt’s dazu auf www.sicherewiesn.de

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