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Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung So läuft die Untersuchung nach einer Vergewaltigung ab

In der Münchner Opferambulanz kann man sich nach einer Vergewaltigung untersuchen lassen. Professor Randolph Penning erklärt, was dann passiert, warum oft keine Verletzungen zu finden sind und wann es in München besonders oft zu sexuellen Übergriffen kommt.

Von: Lisa Altmeier und Maximilian Osenstätter

Stand: 07.07.2016 | Archiv

Opferambulanz | Bild: BR

Die Münchner Opferambulanz gehört zur Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von innen sieht die Opferambulanz aus wie eine normale Arztpraxis. Wären da nicht die Utensilien zur DNA-Spurensicherung. Professor Randolph Penning arbeitet hier als Arzt, er untersucht Frauen und Männer, die Opfer von sexuellen Nötigungen oder Vergewaltigungen geworden sind. 

PULS: Wie schnell sollte man nach einer Vergewaltigung in die Opferambulanz kommen?

Professor Penning: Wenn es irgendwie geht, sollte man in den ersten paar Stunden nach der Tat zur Polizei oder zu uns kommen. Gerade im Zusammenhang mit K.O.-Mitteln ist es extrem wichtig, dass die Untersuchung zügig erfolgt. Da ist jede Stunde Verzögerung ein echtes Problem. Der Vorteil der Opferambulanz ist, dass Sie auch dann Beweise sichern lassen können, wenn Sie sich nicht sofort zur Polizei trauen oder sich nicht sicher sind, ob Sie überhaupt Anzeige erstatten wollen.

Also wenn ich vergewaltigt worden bin, muss ich zur Spurensicherung nicht zwangsläufig zur Polizei?

Häufig handelt es sich um eine Situation, in der Aussage gegen Aussage steht, das heißt der Mann sagt, da war nichts und die Frau sagt, da war was, und die Beweislage ist ausgesprochen dünn. Je zeitnäher die Beweismittel gesichert werden, desto besser lassen sich die Spuren nachweisen. Sie können sich also im Zweifel hier in der Opferambulanz untersuchen lassen und danach noch mal in Ruhe darüber nachdenken, ob sie zur Polizei gehen oder nicht. In der Regel kommen die Frauen aber zusammen mit der Polizei hierher.

Viele Opfer haben ja das Bedürfnis, sich nach der Tat schnellstmöglich zu reinigen, sich zum Beispiel zu duschen. Was hat das für Konsequenzen?

Psychologisch ist das natürlich nachzuvollziehen, aber für die Beweismittelsicherung ist das verheerend. Denn zum Beispiel Speichelspuren von Bissen und auch viele andere Spuren gehen dadurch verloren.

Gibt es eine Phase im Jahr, in der hier besonders viele Opfer auftauchen?

Ja, während der Oktoberfest-Zeit. Es gibt da so eine Masche, dass Leute mit dem Auto um die Festwiese kreisen und dann erkennbar schwer betrunkenen Mädchen anbieten, sie nach Hause zu bringen, sie dann aber in Wahrheit ganz woanders hinbringen. In dieser Zeit kommen dann schon sehr viele - vor allem junge Opfer.

In welchem seelischem Zustand sind die Frauen, die hierherkommen?

Das ist sehr unterschiedlich. Einige sind komplett aufgelöst, andere erstaunlich gefasst. Viele sind auch betrunken, denn bei der Kontaktanbahnung ist oft Alkohol im Spiel.

Wie läuft die Untersuchung ab?

Zuerst erzählt die Person, was ihr passiert ist. Dann überprüfen wir, ob es Verletzungen gibt, zum Beispiel an den Unterarmen oder an der Oberschenkelinnenseite.

Und dafür muss man sich dann vermutlich ausziehen?

Ja, man zieht sich bis auf die Unterwäsche aus, allerdings nicht alles auf einmal, sondern Körperregion für Körperregion, sodass das Opfer nie komplett frei unbekleidet ist, und dann wird eben nach entsprechenden Verletzungen geguckt. Häufig sind da keine oder nur minimale Verletzungen.

Weil sich Frauen im Regelfall nicht so stark wehren?

Weil solche Verletzungen einfach nicht so leicht entstehen oder das Opfer aufgrund von Angst oder Trunkenheit keine Gegenwehr bietet. Also wenn keine Verletzungen vorhanden sind, hat das überhaupt keinen Hinweiswert darauf, dass da nix gewesen ist. Die eigentliche gynäkologische Untersuchung sieht dann so aus, dass hier auf einem Gynäkologiestuhl die äußere Genitalregion untersucht wird.

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Was passiert dabei genau?

Die äußeren Genitalien werden angeschaut. Dabei wird dann noch mal nach Blutungen, Verletzungen und Kratzern geguckt. Mit dem Wattetupfer werden Abstriche aus den Körperöffnungen genommen, so dass man untersuchen kann, ob Sperma oder DNA-Spuren vorhanden sind. Es gibt auch Fälle, in denen kein Sperma da ist und trotzdem DNA gefunden wird. Man kann die Abstriche auch auf Kondom-Rückstände untersuchen. Es wird auch geschaut, ob beim Scheideneingang irgendwelche Verletzungen sind. Wenn jetzt beispielsweise gesagt wird, es war das erste Mal oder es ist mit Gegenständen gearbeitet worden oder der Fingernagel hat gekratzt, werden entsprechende Verletzungen dann dokumentiert.

Die inneren Genitalien müssen also nicht unbedingt untersucht werden? Es ist ja eine Horrorvorstellung für viele Frauen, dass die Untersuchung sehr unangenehm und detailreich ist.

Im Regelfall ist das nicht nötig und die gynäkologische Untersuchung dauert auch oft nur ein paar Minuten. Hat das Opfer aber Blutungen aus dem Vaginalbereich, dann muss die Untersuchung in einer Klinik erfolgen und nicht hier bei uns.

Sie meinten ja eben, dass es häufig keine Verletzungen gibt. Wie schwer ist es denn dann, eine Vergewaltigung vor Gericht nachzuweisen?

Wir bewerten nicht, was genau passiert ist, wir liefern den Richtern nur die Grundlage für ihre Bewertung. Darüber bin ich auch froh, ich beneide die Richter nicht. Wenn es zu einem Verfahren kommt, bin ich häufig als Sachverständiger vorgeladen. Zunächst erzählt im Regelfall der Angeklagte seine Sicht der Dinge. Und wenn man da zuhört, denkt man sich häufig:  “Oh nein, wie ist der arme Kerl nur in diese Situation gekommen?“ Aber wenn dann das Opfer ihre Version erzählt, sieht das Ganze wieder ganz anders aus. Und dann zu entscheiden, wer glaubwürdig ist, ist unglaublich schwierig. Ich kann nur das, was ich vorfinde, interpretieren, aber die Entscheidung, welche Version zutreffend ist, müssen die Richter fällen.

Kommen eigentlich auch männliche Opfer hierher?

Sie sind deutlich in der Minderheit, aber ja, hier werden auch Männer untersucht!

Kann man sich nicht auch einfach von seinem Hausarzt oder der Frauenärztin untersuchen lassen? Denen vertraut man ja vielleicht eher.

Das ist natürlich möglich, aber viele Hausärzte wissen zum Beispiel gar nicht, wie man Spuren optimal sichert und dann fällt die Dokumentation von Verletzungen nicht optimal aus oder wird vor Gericht möglicherweise gar nicht zugelassen. Sie haben meistens weder Erfahrung noch Grundkenntnisse in der Spurensicherung und können nur normale Urin- und Blutproben machen. Wir haben hier täglich mit solchen Fällen zu tun und sind dementsprechend geschult.

Gibt es irgendeinen fatalen Fehler, den ich begehen kann, wenn ich selbst zum Beispiel meine Kleidung aufbewahren will, nach der Tat?

Was viele nicht wissen: Sie sollten Unterwäsche auf keinen Fall in einer Plastiktüte lagern. Da kommt zwar von außen nichts dran, aber innen bilden sich Pilze und Bakterien, die die DNA-Spuren zerstören. Wenn man wirklich der Meinung ist, dass man selbst etwas lagern müsse, dann sollte man das in eine Papiertüte packen. Wenn Sie sich an das Hemd von Kaspar Hauser erinnern, da fand man nach Jahrhunderten noch Blut. In einer Plastiktüte wären die Spuren nach kurzer Zeit vernichtet gewesen.

Fünf Informationen für Vergewaltigungsopfer, die den Täter anzeigen wollen

  • Spurensicherung geht notfalls auch ohne Polizei. Bei der Opferambulanz.
  • Wer die 110 wählt und von der Vergewaltigung erzählt, wird von einem Streifenwagen abgeholt und zur Kripo gebracht. Das ist für viele leichter, als gleich persönlich vorbeizugehen.
  • Der Weiße Ring bietet außerdem an, Opfer zu begleiten. Zu Polizei, Behörden und auch vor Gericht.
  • Unabhängig von der Anzeige: Oft ist psychotherapeutische Hilfe nötig, um das Ganze zu verarbeiten.
  • Gerichtsverfahren kosten Geld. Unterstützung gibt es von der Opferentschädigungshilfe.


Hilfe und Seelsorge bekommt ihr unter anderem beim Frauennotruf und beim Weißen Ring.


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