Sport in Corona-Zeiten Warum Online-Workouts manchmal eher schaden als fit machen
Sixpack in 21 Tagen, kiloweise Gewichtsverlust und perfect in shape für den Bikini – Online-Workouts versprechen so einiges. Diese Hauruck-Aktionen sind aber gar nicht mal so ungefährlich. Wir erklären, wie‘s besser geht.
Corona hat Sportler in die Isolation geschickt: Fitnessstudios sind geschlossen, Yogakurse fallen aus, der Sportplatz ist gesperrt, in die Berge soll man auch nicht mehr fahren. Und bisher weiß kein Mensch, wann wir wieder ins Gym, in die Turnhalle oder in den Verein zurückkehren dürfen. Und die, die bisher noch keinen Sport getrieben haben, sehen endlich ihre große Chance, sich endlich mal die ein oder andere App runterzuladen und sich an der Bikinifigur abzuarbeiten.
Wer selbständig trainiert, sollte es ruhig angehen lassen und sich langsam steigern, um den Körper erstmal aus der Winterstarre oder auch der bisher lebenslangen Trägheit zu befreien. Weit problematischer sind Online-Workouts von selbsternannten Trainern im Netz, die gerade alle Timelines sprengen. Die fitten Mädels und Jungs legen die Latte meist ziemlich hoch und die Übungen bergen viele Fehlerquellen. Wer sie dann mehrere Woche lang falsch nach macht, kann sich einiges kaputt machen.
Je spektakulärer die Übung desto effektiver – not…
David Borsche ist Trainer im Mariposa Boxing Club in München und studiert Gesundheitswissenschaften an der TU München. Er zieht sich jeden Tag rein, was die "Kolleginnen" und "Kollegen" da so alles veröffentlichen und warnt: "Auch wenn man denkt, man macht die Übung so richtig, wie sie vorgezeigt wird, ist es oft nicht der Fall. Dann kann man sich verletzen, vor allem, wenn man es vorher noch nie gemacht hat." Seiner Meinung nach zählt in den Social Networks vor allem die Optik: Je spektakulärer die Übungen, desto sexier sieht‘s aus und desto besser "verkaufen" sich die Workouts. Wer will schon ein halbstündiges, vermeintlich langweiliges Warmup in seiner Story posten, geschweige denn nachturnen? Dabei wäre das so wichtig, sagt David Borsche.
Die Sport-Influencer vernachlässigen oft das Fundament des Trainings, was für einen gesunden Körper total wichtig ist: aufwärmen, mobilisieren, stretchen. Muskeln entwickeln sich relativ schnell, doch der Körper hat Schwachstellen: Gelenke, Sehnen und Bänder brauchen einen soften Einstieg und ein paar Wochen, bis sie sich an Belastung gewöhnt haben. Sonst sind sie schnell überlastet und entzünden sich.
Kniebeuge alias Squat
Was in den Stories oder auf YouTube oft schief läuft, lässt sich ganz einfach an einem Beispiel erklären: Super hip ist da gerade die Kniebeuge. Denn: Ja, auch im Sport gibt es Modeerscheinungen. Die Kniebeuge ist für den Menschen eigentlich eine sehr natürliche Position. Kleine Kinder beherrschen sie in Perfektion, weil sie sehr beweglich sind. Je älter ein Körper wird, desto schwerer tut er sich mit diesem Bewegungsablauf. Besonders gut verkauft sich die Kniebeuge derzeit als Squat – klingt weniger angestaubt. Richtig ausgeführt ist die Übung super effektiv für den Unterkörper: Sie trainiert vor allem Beine, Po, die Beinmuskulatur und den Rumpf, der bei der Übung viel Haltearbeit leisten muss. Doch auch wenn sie ganz einfach aussieht, ist sie laut David Borsche höchst komplex. Da kann man locker ein paar Wochen Zeit investieren, bis sie einigermaßen gelingt.
Die wichtigsten Punkte bei Squats:
1. Stelle die Füße so auf, dass die Zehen und Knie leicht nach außen rotieren. Der Abstand zwischen den Füßen ist etwa schulterbreit.
2. Stelle dich ganz bewusst gerade hin, spanne die Bauchmuskulatur an, ziehe die Schulterblätter nach hinten unten und schiebe die Brust ein wenig nach vorn raus.
3. Atme tief ein, baue einen Druck im Bauchinnenraum auf, indem du die Körpermitte anspannst, halte die Luft an und beginne, in die Knie zu gehen. Schiebe den Po nach hinten, so als würdest du dich auf eine Stuhlkante setzen wollen.
4. Komme nur so weit herunter, bis deine Fersen noch am Boden haften und du die Spannung in der Körpermitte halten kannst. Je tiefer die Kniebeuge, umso intensiver und effektiver. Muss aber nicht direkt beim ersten Mal klappen!
5. Unten angekommen kurz halten und kontrolliert wieder aufrichten, dabei vom kompletten Fuß abdrücken und aus dem Mund kräftig ausatmen.
Gerade bei dieser Übung ist ein Trainer oder eine Trainerin am Anfang eigentlich unerlässlich, um die Fehler zu korrigieren, schließlich sieht man sich nicht von außen. Weil das gerade nicht geht, gibt‘s ein paar Kompromiss-Lösungen:
Tipp vom Profi:
- Vor dem Spiegel trainieren, die Position seitlich und frontal überprüfen
- sich selber filmen
- Trainingstagebuch führen und dokumentieren, wo es zwickt und wie sich die Bewegung entwickelt
- In sich hören: Was ist Muskelkater? Was sind andere Schmerzen? Wenn sie über mehrere Tage anhalten, Trainer, Arzt oder Physiotherapeuten fragen
- Mit Coaches trainieren, die Übungen im Netz ausführlich erklären und langsam aufbauen
- Mit Trainer*innen trainieren, denen man während der Session auch Fragen in die Kommentare posten kann
David Borsche empfiehlt außerdem, sich nicht blind in ein vorgegebenes intensives Training zu stürzen, dass jedes Mal maximal auspowert. Lieber die viele Zeit jetzt nutzen, um sich sein eigenes Baukastensystem zusammenzustellen. Sprich, sich die Übungen und Sessions zusammenzusuchen, die einem gut tun und vor allem Spaß machen. Wichtig sollte sein, dass der Trainer oder die Trainerin die Gesundheit im Fokus hat und nicht ausschließlich auf ein optisches Ziel hinarbeitet. Und am besten eine Trainerfigur zu finden, die Ziele verfolgt, mit der sich der oder die Sportler*in identifizieren kann. Es bringt nichts, ein Bodybuilder-Training mitzumachen, wenn das Ziel eigentlich ist, nur ein paar Kilos loszuwerden.
Gute Kombis für Anfänger und Gelegenheitssportler, ausgehend von vier Trainingstagen in der Woche à 1,5 bis 2 Stunden Training pro Tag:
Mo: Krafttraining, zum Beispiel Basics: Kniebeugen, Klimmzüge, Liegestütze
Mi: Ausdauertraining, zum Beispiel Laufen oder Radfahren
Fr: Krafttraining
So: Beweglichkeitstraining, zum Beispiel Yoga, Stretching, Mobility und eventuell ein Spaziergang
Die Intensität und Art von Training je nach individuellem Zustand anpassen. Außerdem auch in sich reinhören und unterscheiden: Bin ich einfach nur faul oder ist der Körper überlastet? Am besten an eine Routine halten, die man später in den Alltag übernehmen kann.
PULS am 09.04.2020.