Phänomen "Fortnite" Der große Kampf ums Überleben
Schulbuben, Rapper, E-Sport-Nerds: Alle spielen "Fortnite". Im Battle Royale tritt jeder gegen jeden an, der letzte Überlebende gewinnt. Wir haben uns gefragt, warum die gesamte Gaming-Welt nur noch ein Spiel zu kennen scheint.
Beef belebt bekanntlich das Rap-Geschäft. Doch East-Coast, West-Coast, Deine-Mutter-Witze – das ist alles Schnee von gestern. Wie US-Rapper Logic letzte Woche in "The Ellen Show" bewiesen hat, passen sich auch die Punchlines der Zeit an. Am Ende seiner Performance des Songs "Everyday" lässt er noch einen Spruch in Richtung seines Rapper-Kollegen Drake los: "Sagt dem Boy Drake, er sollte sich lieber nicht mit mir in Fortnite anlegen!"
Logic beweist damit, was sich eigentlich schon seit Jahresbeginn in der Online-Gaming-Szene abzeichnet: "Fortnite Battle Royale" ist in der Popkultur angekommen - und wahrscheinlich jetzt schon das Spiel des Jahres.
Denn Logic ist bei weitem nicht der erste, der auf den Trend aufspringt. Jeder will im bunten Online-Kampf mitspielen, sich im virtuellen Kampf ums Überleben gegen 99 andere Spieler durchsetzen: Als Drake vor wenigen Wochen zusammen mit dem bekanntesten Fortnite-Streamer "Ninja" auf Twitch spielte, brachen die beiden alle Rekorde. Rund 635.000 Menschen guckten bei ihrer Session live zu. Die Skandal-Youtube-Brüder Jake und Logan Paul – sonst haben die nichts mit Gaming am Hut – zocken seit kurzem Fortnite. In der Sportschau Ende Februar wunderten sich die Kommentatoren über den seltsamen Jubel der Spieler des Karlsruher SC zum 2:0: Torschütze Daniel Gordon krabbelt auf allen Vieren über den Rasen, während Vorbereiter Marc Lorenz mit einer unsichtbaren Spitzhacke auf ihn eindrischt – eine klare Fortnite-Anspielung. Und seit es das Game fürs Handy gibt, beschweren sich reihenweihe Schulen und Lehrer. Denn ihre Schüler fechten unterm Pult aus, wer König im Battle Royale wird.
Dabei ist die Idee des Battle Royale in der Popkultur eigentlich nicht neu. In der "Tribute von Panem"-Trilogie nimmt Heldin Katniss an den Hungerspielen teil. Noch älter ist der japanische Film "Battle Royale" (2000). In einer Wirtschaftskrise in Japan verabschiedet die Regierung ein Gesetz: Jährlich wird eine Schulklasse auf eine verlassene Insel verfrachtet, wo sie sich gegenseitig abschlachten müssen. Jeder Schüler bekommt eine (nützliche oder total unbrauchbare) Waffe zugelost: Eine Armbrust, ein Fernglas oder eine Maschinenpistole zum Beispiel. Nur ein Schüler darf die Insel lebend verlassen, sonst lässt die Regierung nach drei Tagen alle übrigen töten. Der Film endet in einem Blutbad.
Das Battle-Royale-Prinzip ist wie gemacht für Computerspiele. Doch nicht etwa wegen der Brutalität, die der japanische Film zeigt. Vielmehr weil das Spiel von Beginn an für jeden spannend ist. Stirbt ein Spieler während der Runde, startet er einfach die nächste. Deshalb gibt es seit Jahren Battle-Royale-Mods für Spiele wie Minecraft, DayZ und H1Z1. Explodiert ist der Trend letztes Jahr mit "PlayerUnknown’s Battlegrounds" oder kurz PUBG. Rund 20 Millionen Mal haben die Entwickler das Spiel verkauft, im Early Access, also bevor es überhaupt eine fertige Version gab. Mittlerweile ist PUBG total 2017, der neue Trend heißt eben Fortnite.
Die Entwickler haben den Battle-Royale-Modus in Fortnite erst nachträglich hinzugefügt – also die PUBG-Idee eigentlich kopiert: Hundert Spieler treten alleine oder in kleinen Teams gegeneinander an. Sie werden mit einem fliegenden Bus über einer Insel abgeworfen, wo sie bis zum letzten Mann ums Überleben kämpfen. Auf der Insel finden sie alle möglichen Waffen, vom Raketenwerfer bis zur Spitzhacke, und Holz, aus dem sie sich zum Beispiel Bretterwände zur Verteidigung errichten können. Gerade diese Details machen Fortnite interessanter und vielseitiger als PUBG. Dazu ist Fortnite bunt und quietschig, der Kampf ums Überleben wird zum Spaß. Auch dank total unblutiger Waffen, wie zum Beispiel der Boogie-Bombe, die den Gegner zum Tanzen zwingt.
Fortnite und Co sind Darwinismus zum Nachspielen. Ohne jegliche Konsequenzen. Die Spiele kitzeln unseren Überlebenstrieb. Wie weit würden wir gehen? Rein virtuell natürlich. Im Gegensatz zu FIFA, League of Legends oder Counter-Strike zählt kein Spielstand in Form von Toren oder Kills. Es zählt einzig und allein, ob und wie lange wir überleben. Das ist auch deshalb so interessant, weil es wie in anderen Ego-Shootern zwar auch ums Erschießen von Mitspielern geht, man aber theoretisch genauso gut gewinnen kann, indem man sich versteckt. Eine kreisrunde Zone verkleinert von Minute zu Minute den Spielbereich, wer sich außerhalb bewegt, verliert. In gewisser Weise geben wir gegen unsere sonst alltägliche Logik ein Stück Kontrolle ab und bekommen dafür etwas Adrenalin zurück.
Und weil das ganze ohne Konsequenzen bleibt, ist es unheimlich unterhaltsam. Wir verwandeln unser Wohnzimmer temporär in eine Todeszone – und wenn wir keine Lust mehr haben, wieder zurück. Dafür müssen wir nicht mal selber spielen: Fortnite funktioniert genauso gut als Zuschauer – auf Twitch und Youtube. Das kann man gut am Erfolg von Ninja ablesen, dem Fortnite-Streamer, der im März zusammen mit Drake spielte. Seit Jahresbeginn hat sich seine Abonnentenzahl auf Youtube von einer Millionen auf sieben Millionen versiebenfacht. Für den vorläufig letzten Millionen-Meilenstein brauchte er gerade einmal neun Tage.
Das liegt auch daran, dass das Prinzip so simpel ist. Selbst Nicht-Gamer checken sofort, was auf dem Bildschirm abgeht. Wir fiebern mit: Schafft es unser Held? Setzt er sich gegen die 99 anderen durch? und vor allem: Wer hält länger durch – Logic oder Drake?
Sendung: Netzfilter, 07.04.2018 - ab 18.00 Uhr