Serien & Glaube Oh, meine heilige Serie!
Religion war lange Zeit ein Tabuthema für Serienmacher. Jetzt flimmert so viel Glaube wie noch nie über unsere Bildschirme. Warum das so ist, zeigt die Sci-Fi-Serie "The OA" ganz besonders gut. Vorsicht: Spoiler!
Sie ist von einer Brücke gesprungen, barfuß, in einem langen Nachthemd. Als sie im Krankenhaus aufwacht, ist sie noch nicht ganz wieder bei Sinnen:
"Wie ist Ihr Name, können Sie mir sagen, wo diese Narben her sind? - Ich bin OA."
The OA, Netflix
"The OA" - das sagt sie jedenfalls. Denn eigentlich heißt diese junge, zerbrechliche blonde Frau mit den stahlblauen Augen Prairie Johnson. Als vor sie sieben Jahren spurlos verschwunden ist, war sie noch blind – jetzt kann sie sehen. Wem das bekannt vor kommt: So ähnlich steht’s auch in der Bibel.
Schon die Prämisse von "The OA" ist durchtränkt von Mythologie: "OA", das steht einerseits für Omega, das Ende, und Alpha, den Anfang - und auch für "Original Angel", den Ur-Engel, so erklärt OA ihren Namen selbst. Das ist längst nicht alles. OA – so viel Spoiler muss sein – hatte mehrere Nahtoderfahrungen. Sie behauptet, den Weg in eine Zwischenwelt zu kennen, die man nur betreten kann, wenn man tot ist. Und sei es nur für einen kurzen Moment.
Christliche Motive neu verpackt
Wiederauferstehung, Erlösung, das Leben nach dem Tod - das sind klassische religiöse Motive, die vielen Geschichten zugrunde liegen, sagt der Theologe Markus Pohlmeyer von der Uni Flensburg:
"Das ist ein archetypisches Programm, das sich in antiken, mittelalterlichen und modernen Texten findet. Die haben einen sehr hohen Erkennungswert. Man muss sie aber sehen, um zu verstehen, wie eine Geschichte funktioniert. Sonst fehlen viele Ebenen einer Serie. Das was den Reiz ausmacht - zum Beispiel bei einer Serie wie Battlestar Galactica - nämlich Grundsatzfragen der menschlichen Existenz anzustoßen, das würde fehlen. Woher komme ich? Gibt es einen Schöpfer - oder mehrere? Was passiert, wenn wir die Erde verlassen und uns zum Kosmos aufmachen? Das sind die großen Menschheits- und Religionsfragen und das funktioniert immer."
Markus Pohlmeyer, Uni Flensburg
Markus Pohlmeyer forscht zu Religion in der Science Fiction. Denn gerade Science Fiction, sagt er, beschäftigt sich oft mit Sinnfragen und Ethik - und ist damit der Religion gar nicht so unähnlich. Aber anders als antike religiöse Texte behandelt Science Fiction aktuelle Themen und Probleme, wie Medizintechnik, Künstliche Intelligenz, Naturkatastrophen oder Raumfahrt. Und die sind uns viel näher, als die uralten archaischen Konflikte in der Bibel. Science Fiction fängt also da an, wo die Bibel nicht mehr weiter weiß.
"Science Fiction greift viele theologische Themen auf: Warum leiden wir? gibt es einen Sinn im Universum? usw., wo heute moderne Theologie scheinbar schweigt oder kaum einen Zugang zum Menschen findet."
Markus Pohlmeyer, Uni Flensburg
Science Fiction und Religion gehen Hand in Hand
Auch "The OA" ist zumindest auf den ersten Blick Science Fiction. Die Macher der Serie haben sich von Forschungsarbeiten zu Nahtoderfahrungen inspirieren lassen und stricken drum herum eine spirituelle Erzählung über Gemeinschaft, Glauben und den Tod.
The OA hat eine Mission und schart eine kleine Gruppe von Leute um sich, die sie von ihrer unglaublichen Geschichte überzeugen kann. Gemeinsam wollen sie etwas schlimmes verhindern – was das genau ist, weiß keiner. Und auch nicht, wie es sich verhindern lässt. Aber der Glaube daran verbindet diese fünf sehr unterschiedlichen Menschen.
Die Anhänger von The OA finden Halt in ihrem Glauben an ihre Auserwählte - allen Spöttern zum Trotz und auch gegen den Zweifel der Zuschauer. Denn – Spoilergefahr - auch die wissen bis zum Ende nicht, ob The OA wirklich ist, wofür sie sich ausgibt. Bedingungsloser Glaube, das zeigt "The OA", bietet viel Potenzial für Drama – zwischenmenschlich und innerlich. Denn wer glaubt, lotet ständig aus, wo sein Platz in der Welt und was der Sinn des Lebens ist.
"Auf der einen Seite gibt die Spiritualität den Charakteren ihre Menschlichkeit. Das ist ein Anknüpfungspunkt für die Zuschauer mit ihren Sehnsüchten, Fragen, der Angst vor dem Tod. Spiritualität macht einen Charakter aber auch interessant, wenn zum Beispiel im Hintergrund noch eine geheimnisvolle Institution oder eine Gottheit steht. Und das ist auch antikes Denken: Besondere Menschen haben Kontakt mit dem Göttlichen."
Markus Pohlmeyer, Uni Flensburg
So wie The OA. Und wie die Anhänger von The OA versammeln auch wir uns regelmäßig, um Geschichten von diesen besonderen Menschen zu hören und uns spirituellen Fragen zu stellen, die die Wissenschaft allein nicht beantworten kann. Nur machen wir das eben nicht mehr in der Kirche - sondern am Bildschirm.
Mehr Serien, in denen Religion eine Rolle spielt:
Sendung: Plus 1, 15. Mai 2017 - ab 14 Uhr