Asylpolitik 5 Begriffe, die jeder benutzt und keiner versteht - einfach erklärt
Dublin III? Sekundärmigration? Subsidiärer Schutz? Transitzentrum? In der Diskussion um Geflüchtete und Abschiebungen schwirren einige Begriffe durch die Nachrichten, die eigentlich keiner versteht. Hier gibt's die Erklärungen.
In den 8-Uhr-Nachrichten, S-Bahnen, an Stammtischen, auf Parteitagen und langen Autofahrten sprechen Menschen in Deutschland über Migration. Sie sprechen darüber, wer hierher kommen darf, wer nicht und wie das ablaufen könnte. Für viele neue Sachverhalte hat die Politik viele neue Begriffe erfunden: Transitzentrum, Sekundärmigration, Dublin III, subsidiärer Schutz, Duldung, sicheres Herkunftsland.
Aber was ist so eine Sekundärmigration eigentlich? Was meint Angela Merkel, wenn sie im Bundestag davon spricht, diese zu "stärken"? Was haben wir unter "Transitzentren" zu verstehen, für die Innenminister Horst Seehofer seine politische Karriere riskiert? Um zu wissen, wovon Politiker und Stammtisch-Kanzler momentan sprechen, erklären wir fünf der wichtigsten Begriffe aus dem Asyldiskurs einfach und verständlich.
1. Die Dublin-III-Verordnung
Die "Dublin-Verordnungen" sind das Fundament für den Umgang mit Flüchtlingen: Wenn ein Mensch beispielsweise aus Libyen über das Mittelmeer flüchtet und in Italien zuerst europäischen Boden betritt, muss er den Asylantrag auch in Italien stellen. Italien ist dann verpflichtet, ein Asylverfahren zu beginnen. Wird der Geflüchtete dann in einem anderen EU-Staat aufgegriffen, könnte er in das Einreiseland (also zum Beispiel Italien) zurückgeschickt werden. So will die EU sicherstellen, dass ein Asylantrag nur von einem Mitgliedstaat geprüft wird - das spart Arbeit. Theoretisch.
2015 hat sich das nämlich verändert. Deutschland und Österreich haben Geflüchtete aufgenommen, die Europa nicht in Deutschland oder Österreich zum ersten Mal betreten haben. Seitdem gilt die Dublin III-Verordnung. Darin ist explizit festgehalten, dass ein Land "in einer humanitären Notsituation" auch "fremde Asylverfahren" übernehmen kann.
Aktuell wird wieder eine neue Version, das Dublin-IV-Abkommen diskutiert. Dadurch sollen Länder wie Italien und Griechenland, die eigentlich für die Erstaufnahme zuständig wären, entlastet werden. Es geht darum, feste und bindende Verteilungsquoten für die Mitglieder der EU zu entwerfen. Das wäre die "europäische Lösung", die Kanzlerin Merkel bevorzugt. Kleines Problem an der Sache: Nicht alle europäischen Länder wollen Flüchtlinge aufnehmen. Ganz im Gegenteil.
2. Primär- und Sekundärmigration
Oft folgt in den Nachrichten auf die "Dublin-Verordnungen" der Begriff der "Sekundärmigration". Flüchten Menschen, wie oben beschrieben, aus Libyen nach Italien, spricht man von "Primärmigration". Italien, Malta, Frankreich, Griechenland, Spanien und die Türkei befinden sich an der europäischen Außengrenze, sie sind die ersten, die "primären" Länder Europas, die man über die Mittelmeerroute erreicht.
Auf der anderen Seite steht die "Sekundärmigration". Von der spricht man, wenn sich Geflüchtete von einem europäischen Mitgliedsstaat zu einem anderem bewegen. Sprich, wie im Falle von 2015, wenn Migranten in Griechenland ankommen und über Ungarn nach Deutschland reisen, um dort Asyl zu beantragen.
3. Transitverfahren
Um Geflüchtete genau an dieser Sekundärmigration zu hindern, haben CDU, CSU und SPD nach einem längeren Streit die umstrittenen "Transitverfahren" beschlossen. An der deutsch-österrreichischen Grenze sollen bestimmte Einrichtungen entstehen, in die die Geflüchteten direkt vor Deutschland gebracht werden. Die Theorie: Identität prüfen, wer noch keinen Asylantrag gestellt hat, darf nach Deutschland einreisen, wer bereits einen in einem anderen Land gestellt hat, muss dahin zurück. Maximal 48 Stunden soll es laut der Vereinbarung dauern, bis feststeht, ob ein mensch in Deutschland Asyl beantragen darf, oder ob er zurückgechickt wird.
Wie gesagt, die Vereinbarung ist umstritten. Erstens, weil Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland der Rückholung zustimmen müssten und die Regierungen damit faktisch wieder innereuropäische Kontrollen einführen würden - viele Europarechtler halten das für rechtswidrig. Zweites Problem: Jedem Asylbewerber, der deutschen Boden betritt, steht eigentlich ein reguläres Asylverfahren zu. Aber betritt er in einem Transitverfahren wirklich deutschen Boden?
Juristen und Politiker sprechen von "der Fiktion der Nichteinreise". Denn, und das ist der Trick: Bei den Transitverfahren wird juristisch wie in Transitzonen beim Flughafen vorgegangen - die Einrichtungen werden als neutrale Zonen behandelt, die weder zu Österreich noch zu Deutschland gehören. Geographisch in Deutschland, asylrechtlich... im Niemandsland. Weil sich die Menschen in den Einrichtungen für Transitverfahren also nicht wirklich in Deutschland aufhalten, können die Asylverfahren schneller durchgeführt werden - und mögliche Abschiebungen in andere EU-Länder damit auch.
4. Subsidiärer Schutz
Subsidiärer Schutz ist eine Schutzform im Asylverfahren. Er tritt dann ein, wenn einem Geflüchteten in seinem Herkunftsland ernsthafte Gefahr droht. Dazu zählen:
1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe
2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Wenn einer dieser Punkte zutrifft, erhalten die subsidiär Schutzberechtigten eine sogenannte Aufenthaltserlaubnis. Die gilt erstmal ein Jahr und kann im Anschluss verlängert werden. Nach fünf Jahren können Betroffene unter bestimmten Voraussetzungen letztendlich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten.
Genau wie Asylberechtigte können Menschen unter subsidiärem Schutz in Deutschland arbeiten, falls ihr Asylverfahren abgeschlossen ist. In den ersten drei Monaten in Deutschland gilt allerdings ein Arbeitsverbot. Seit 1. August dürfen Subsidiärer Schutzberechtigte auch wieder einen Antrag auf Familiennachzug stellen - das ging davor zwei Jahre lang nicht. Pro Monat dürfen maximal 1.000 Angehörige nach Deutschland kommen. In den ersten fünf Monaten sollen insgesamt 5.000 Visa erteilt werden.
5. Sicheres Herkunftsland
Ein "sicheres Herkunftsland" ist ein Land, in dem man ohne Gefahr für das eigene Leben leben können soll. Schwieriger Satz, schwieriges Thema. Denn wo fängt sichere Herkunft an? Für das BAMF zum Beispiel bei Flüchtlingen aus Albanien. Wenn deren Asylanträge in Deutschland nicht bewilligt wurden oder deren Duldung und subsidiärer Schutz abgelaufen sind, können sie momentan relativ schnell nach Albanien abgeschoben werden. Das geht, weil dort - aus Sicht des BAMF - politische Bedingungen herrschen, die für die Menschen dort ungefährlich sind.
In Deutschland gelten zur Zeit folgende Länder als sichere Herkunftsstaaten: die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, der Senegal und Serbien.
Diskussionen gibt es momentan, weil das Kabinett entschieden hat, auch Tunesien, Marokko, Georgien und Algerien zu "sicheren Herkunftsländern" zu erklären. Sollte der Bundestag zustimmen, könnten dadurch die Asylverfahren für Migranten aus diesen Ländern beschleunigt werden - und eben auch Abschiebungen. Viele Experten glauben aber, dass Asylbewerber, die in diese Länder zurückkehren müssen, keineswegs in Sicherheit leben können.
... und noch viele mehr
Sekundärmigration, Transitzentrum und subsidiärer Schutz sind natürlich nicht die einzigen Wortungetüme, die aktuell durch die Medien schwirren. Die Liste verwirrender Begriffe lässt sich endlos erweitern: Hartnäckiger Identitätsverschleierer, Folgeantrag, Duldung, EURODAC, Transferzentrum, Abschiebesaboteur, Ankerzentrum, Obergrenze, Mare Nostrum, Frontex und Zuwanderungskorridor.
Die Formulierungen von Politikern aller Lager versuchen sich in maximaler Vagheit jeden Spielraum offen zu lassen. Die sprachliche Verschleierungstaktik hält jede Möglichkeit offen, um auf neue Entwicklungen reagieren zu können - und erlaubt es in einer gespannten politischen Lage, Dinge zu beschließen, die man nicht offen benennen möchte.
Sendung: Filter vom 20.07.2018 - ab 15 Uhr