Interview mit Rechtsextremismusexpertin "Rassistische Parolen sind gesellschaftsfähig geworden"
Jeden dritten Tag wird in Deutschland ein Flüchtlingsheim angezündet oder ein Flüchtling bedroht, sagt die Autorin und Rechtsextremismus Expertin Andrea Röpke. Das scheint überraschend viel, wenn man bedenkt, wie wenig man vergleichsweise darüber hört. Das hat einen Grund: Gewalttaten an Ausländern werden von den Behörden oft nicht als rassistisch motiviert eingestuft.
Andrea Röpke ist Journalistin und beschäftigt sich mit Rechtsextremismus in Deutschland. Einfach nur den Dialog mit dem rechten Lager zu suchen, ist nicht genug, sagt Röpke. In ihren Recherchen geht sie auch persönliche Risiken ein um zu zeigen, wie präsent die rechte Szene in Deutschland ist. Deshalb taucht sie auch in die rechtsextreme Szene - dafür wurde sie schon mehrfach bedroht und angegriffen. Trotzdem macht sie weiter und hat jetzt das "Jahrbuch rechte Gewalt" veröffentlicht. Andrea Röpke sagt: Es passieren viel mehr rechtsmotivierte Taten als öffentlich bekannt wird. Denn einiges gehe an der Polizei vorbei.
PULS: Das Buch "Jahrbuch rechte Gewalt" will zeigen, wie es in Deutschland wirklich aussieht. Wie sieht das Land denn aus?
Andrea Röpke: Wir möchten darauf hinweisen, dass es neben dem islamistischen Terror, der gerade in aller Munde ist, auch den alltäglichen Terror von rechts gibt. Fast jeden dritten Tag wird statistisch ein Flüchtlingsheim angesteckt oder es wird jemand bedroht. Gewaltbereite Aktionen und der Rassismus der Gesellschaft sind leider zu sehr in Vergessenheit geraten. Gleichzeitig sind rassistische Parolen gesellschaftsfähig geworden.
Welche Rolle spielt die "Identitäre Bewegung", die einerseits deutschnational und patriotisch auftritt, andererseits aber auch wie eine popkulturelle Hipster-Bewegung daher kommt?
Dadurch, dass sie sich inszenieren, ihre Agitprop-Aktionen filmen und ins Internet stellen, suggerieren sie "Wir sind eine Bewegung, eine große Gruppe". Sie bekommen ja auch zigtausend Klicks auf Youtube. Sie sagen von sich selbst, dass sie keine Neonazis sind, kommen allerdings zum Teil aus der Neonazi-Szene und verschleiern ihre Ziele durch andere Begrifflichkeiten.
Ich halte die Identitären für sehr gefährlich, denn sie sind im digitalen Zeitalter groß geworden und haben sehr viel Rückhalt in der völkischen Bewegung. Sie sind großenteils Akademiker, finanzstark und haben ein großes Spendeneinkommen. Sie machen Stimmung, sind aber kaum greifbar.
Als Sie 2016 über ein Neonazifest und Rechtsrockkonzert in Thüringen berichten wollten, hat die Polizei Ihnen einen Platzverweis erteilt. Ist das für Sie Einschränkung der Pressefreiheit?
Ja. Wir erleben das leider immer wieder. Man möchte nicht, dass berichtet wird. Man möchte die Presse einschränken. Wir werden als Unruhestifter wahrgenommen. Man erlebt das auch bei den Pegida-Aufmärschen. Die Polizei hat oft die Wahrnehmung, dass Journalisten provozieren und nicht die, die wirklich Gewalt auf die Straße tragen, nämlich die rechten Provokateure. Und das ist natürlich eine Entwicklung, mit der man sich auch kritisch in den Sicherheitsbehörden auseinandersetzen muss.
Warum haben Sie sich bei Ihrer Recherche rechtsextremer Gewalttaten nicht nur auf die Strafverfolgungsbehörden verlassen?
Wir haben uns eigentlich fast ausschließlich auf Zahlen von Opferberatungsstellen und auf Aussagen engagierter Menschen verlassen, die sich tagtäglich mit den Opfern rechter Gewalt auseinandersetzen. Wir wollten auch Taten aufzeigen, die von den Behörden nicht als rassistisch motiviert eingestuft werden. Oft werden bei der Polizei solche Straftaten verharmlost als Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen oder als Taten unter Alkoholeinfluss. Dadurch tritt eine Verfälschung ein.
Sie zählen auch den Amoklauf in München im Juli zu rechter Gewalttat. Wenn auch als ungewöhnlich für rechte Gewalt. Warum?
Der junge Mann, der da Amok gelaufen ist, hat nach jetzigem Kenntnisstand seine Opfer aus rassistischer Motivation ausgewählt, seine Opfer waren überwiegend Migranten. Er selber hat zwar keine deutschen Wurzeln, hat sich aber als "Arier" gefühlt und rechtsradikale Ansichten vertreten. Auch das kann in Zukunft häufiger vorkommen – wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass Rassismus eine neue Gestalt annehmen kann. Auch solche Amokläufe müssen bei den Statistiken hinzugezogen werden.
Sie wünschen sich eine engagierte Zivilgesellschaft. Was soll die leisten?
Ich denke, wir kommen nur mit Toleranz, so wunderbar sie ist, nicht weiter. Wir haben es mit einer äußerst rassistischen, intoleranten Bewegung zu tun, die zum Teil nichts anderes fordert als die Abschaffung der Demokratie und des Gleichheitsprinzips, wie es ja im Grundgesetz steht. Wir sind da viel zu tolerant und ich glaube, wir müssen uns da ganz neu definieren. Wir müssen Selbstbewusstsein nach außen tragen und glaubwürdig erscheinen im Kampf gegen Rassismus. Mit Dialog und Diskussion ist es da nicht getan, wir können nicht daran glauben, dass wir fanatisch überzeugte Rassisten zum Umdenken bewegen können. Da brauchen wir neue, nachhaltige Konzepte. Dabei geht es nicht nur um die Neonazi Szene, rechte Parolen werden ja auch vom Nachbarn nebenan getragen. Das ist eine neue Qualität.