Interview // Freeriderin Nadine Wallner "Durch meine Verletzung hab' ich Ruhe gefunden"
Plötzlich im Freeride-Zirkus, zweimal in Folge Weltmeisterin, dann eine schwere Verletzung, jetzt wieder zurück – die vergangenen drei Jahre waren turbulent für Nadine Wallner. Vorm Start der Freeride World Tour blickt sie zurück.
Nadine Wallner war ganz plötzlich da auf dem Freeride-Parkett. Gleich bei ihrem ersten Auftritt bei der Freeride Word Tour 2013 wird sie Gesamtsiegerin. Auch 2014 staubt sie wieder den Weltmeistertitel im Freeriden ab. Eigentlich kommt sie aus dem Rennlauf. Doch wenn der eigene Vater als Bergführer im Powder-Paradies Arlberg arbeitet, ist eine Freeride-Karriere wohl fast unausweichlich. Im April 2014 verletzt sich Nadine bei Dreharbeiten in Alaska schwer. Diagnose: offener Schien- und Wadenbeinbruch. Nach eineinhalb Jahren Reha ist Nadine wieder fit genug, um bei der Freeride World Tour zu starten – die am 22.01 in Andorra los ging. PULS Playground hat sie vorher bei der Snow and Safety Conference in Zürs getroffen.
PULS Playground: Was sind deine Ziele für diese Saison nach deiner Verletzung?
Nadine: Skifahren so viel wie es geht und schauen wie weit ich bei der Freeride World Tour komme. Ich bin grad ganz gut auf dem Ski unterwegs und relativ schmerzfrei zum Glück – ich klopf‘ grad auf Holz – der Rest wird sich zeigen. Die Projekte von mir fangen dann im Frühling an. Die sind eher mountaineering-lastig, ein bisschen alpiner. Da freue ich mich auch schon drauf.
Was hast du gemacht, um wieder fit zu werden?
Am Anfang war das sehr komprimiert: Ich habe viel Reha gemacht und musste viel Indoor trainieren. Ich habe einen Trainer im Olympiazentrum in Innsbruck, der kennt mich auch außerhalb vom Training und vom Skizirkus. Er weiß, wie bergorientiert ich vom Herz her bin. Er hat geschaut, dass die Trainingsprogramme so gestaltet sind, dass ich so viel wie möglich draußen machen kann. Das hat mich schnell wieder ein bisschen hat aufleben lassen. Wir Freerider sind ja schon sehr unabhängige Geister, Freigeister, und es ist schon zach, wenn du einen strengen Trainingsplan von Montag bis Freitag hast.
Was war für den Reha-Prozess am Wichtigsten?
Viel auf sich selbst zu hören und ein gutes Netzwerk zu haben, das dich betreut. Leute, die deinen Bewegungsdrang auch ein bisschen in Zaum halten, damit du nicht zwei Wochen zurückfällst, nur weil du dich einmal überbelastest. Wenn das alles so zusammen spielt, dann funktioniert es recht gut. Ein Sportler hat einfach einen Bewegungsdrang, der will und mag unbedingt. Mein Arzt hat bei den Zeitangaben immer recht knackig kalkuliert, weil er mich kennt. Und wenn er sagt, sechs Wochen, dann muss es in sechs Wochen gehen. Man muss schon lernen, ein bisschen mehr auf seinen Körper zu hören, mehr Bewusstsein und Gefühl für den Körper zu kriegen und dem Ganzen die Zeit lassen zu heilen.
War das deine erste krasse Verletzung?
Ja, zum Glück. Wenn ich stürze, dann stürze ich krass. Mit 15 Jahren habe ich mir beim Rennlauf schon einen Milzriss geholt, aber da hatte ich noch nicht das Bewusstsein für mich, meinen Körper, das was ich mach und die Verletzung wie heute.
Hat deine Verletzung etwas geändert für dich?
Ich glaube schon, dass ich eine andere Bewusstseinsebene erlangt habe. Ich bin sensibler für alles was mein Körper macht und wie ich darauf reagiere. Im Moment bin ich noch sehr vorsichtig, baue langsam wieder Vertrauen auf. Es ist nach so einer Verletzung blöd zu sagen, dass es "gut" war. Aber in den vergangenen eineinhalb Jahren habe ich brutal viel gelernt – ganz unabhängig vom Sport, über mich selber, über meinen Charakter. Ich bin extrem dadurch gewachsen. Deswegen hat es einen Nutzen gehabt: Und wo kein Schaden ist, da kann auch kein Nutzen sein. Dieses Mal war es eben ein größerer Schaden – aber auch ein großer Nutzen.
Wie hat sich dein Charakter verändert?
Ich habe eine gewisse Ruhe in mir gefunden. Ich bin jetzt nicht mehr so gestresst, wenn ein geiler Tag ist, aber ich nicht Skifahren gehen kann. Auch wie ich durch‘s Leben gehe: Ich habe davor schon von mir gedacht, dass ich bewusst lebe und auf bestimmte Dinge achte. Das hat sich nochmal gesteigert. Wenn ich aus der Haustür rausgehe, schaue ich nicht engstirnig auf den Boden, sondern schaue mir auch die Umgebung an, nehme mir Zeit. Das habe ich zwar vorher auch gemacht, aber jetzt mit einem ganz anderen Bewusstsein. Bei mir ist das ja alles so schnell gegangen: ich habe mich für die Freeride World Tour qualifiziert, bin sie gefahren, habe gewonnen, bin nochmal Word Tour gefahren und habe schon wieder gewonnen. Für mich waren die eineinhalb Jahre so krass, ich musste erstmal realisieren, was überhaupt passiert ist die letzten drei Jahre. Dafür war die Verletzung gut: Das Ganze und mich selbst von außen zu betrachten und zu sehen, wo ich jetzt bin und was ich da mache.
Dein Herz gehört eher dem Mountaineering als dem Freeriding – warum?
Ach, ob Freeriding, Mountaineering oder Variantenfahren – im Prinzip sind das ja nur die Modeausdrücke der Zeit. Und im Prinzip geht es nur darum, dass man draußen in den Bergen und in der Natur unterwegs ist. Und dabei die Herausforderung sucht für sich selber und sich beweisen will – ein Selbstverwirklichungsdrang in Kombination mit Natur und Bergen. Wenn man einen Tag in den Bergen unterwegs ist, ist man zwar müde am Abend, aber man hat eine Energie und ein Strahlen im Gesicht, wie du es anders nicht bewirken kannst. Das ist einfach sensationell und das müssen wir uns bewahren, weil es eine Energiequelle ist, die wir selber nicht schaffen und auf die wir aufpassen müssen.