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Hörbuch der Woche "Der Gemeine Lumpfisch" von Ned Beauman

Zukunft und Humor sind zwei Begriffe, die in den gegenwärtigen Zeiten der nahenden ökologischen Katastrophe kaum miteinander vereinbar scheinen. Umso erfrischender wirkt da der Roman "Der Gemeine Lumpfisch": Eine Science-Fiction-Satire, angesiedelt in der nahen Zukunft, vom Typus her irgendetwas zwischen Roadtrip und Thriller. Natürlich kommt ein solcher schwarze Humor aus England, vom britischen Schriftsteller und Journalisten Ned Beauman. Der BR hat den Text für Sie zum Klingen gebracht: Alle 13 Folgen stehen als Podcast in der Mediathek zur Verfügung, gelesen von Stefan Kaminski.

Von: Julie Metzdorf

Stand: 26.09.2023

B5 aktuell: Das Hörbuch der Woche | Bild: colourbox.com/#257659; Montage: BR

Die Welt in nicht allzu ferner Zukunft: Die 2-Grad-Erwärmung offenbart ihre volle Wucht, Stürme, Dürren, Überschwemmungen und Brände gehören für die Menschen zum Alltag. Die Technik hat sich weiterentwickelt, es gibt schwimmende Inseln für Reiche und wer es sich leisten kann, verfügt über einen "persönlichen Assistenten" als Armbanduhr. Das hilft aber nichts bei Mückenplagen biblischen Ausmaßes oder gesichtsentstellendem Pilzbefall. Die Ausbeutung der Erde geht derweil munter weiter, der Ablasshandel der Zukunft bezieht sich allerdings nicht mehr auf CO2-Emmissionen, sondern auf das Artensterben: Firmen, die bei ihrem Raubbau der Erde eine Tierart ausrotten, bezahlen dafür mit einem Auslöschungszertifikat.

"Im Interesse von Wachstum und Wohlstand, ja auch nur damit 8 Mrd. Menschen weiterhin jeden Morgen aufstehen konnte, war es unumgänglich, dass eine minimale Anzahl anderer Arten jedes Jahr verloren ging, zum Beispiel die Pipistrelle, die kleinste Fledermaus Afrikas. Der kleine Scheißer machte zwar als Gegner nicht viel her, dennoch galt auf ziemlich nachvollziehbare Weise: er oder wir."

Zitat aus Hörbuch

Mark Halyard arbeitet als "Umweltverträglichkeitskoordinator" im Tiefseebergbau. Leider hat seine Firma gerade aus Versehen – "Computerfehler" – die intelligenteste Fischart des Planeten ausgerottet: den gemeinen Lumpfisch. Das interessiert den korrupten Halyard allerdings nur, weil er sich bei illegalen Leerverkäufen auf dem globalen Markt der Ausrottungszertifikate verspekuliert hat. Grundsätzlich ist "Ausrottung" ja ein dehnbarer Begriff: die DNA gefährdeter Arten ist in Gen-Datenbanken gespeichert, theoretisch könnte man sie jederzeit wiederbeleben. Leider wurden gerade alle Informationen durch einen Hacker-Angriff gelöscht. Um seinen Kopf zu retten, begibt sich Halyard auf die Suche nach einem überlebenden Exemplar des Fisches – ausgerechnet gemeinsam mit einer Tierschützerin. Deren Motivation, den Fisch zu finden ist ein ganz andere

"Damit die Menschen auch nur einen winzigen Bruchteil ihrer Schuld mit Blut bezahlten, musste man eine Spezies finden, die von den Menschen an den Rand der Ausrottung getrieben worden war, das auch begreifen konnte und sich rächen wollte."

Zitat aus Hörbuch

Bis in die kürzesten Nebensätze ist dieses Hörbuch von bissig-bösem Humor durchdrungen und natürlich steckt hinter der Maske der nahen Zukunft in Wahrheit die klar analysierte Gegenwart. "Der Gemeine Lumpfisch" ist ein Öko-Thriller der anderen Art, es geht weniger um Ökologie, als vielmehr um Ökonomie: alles hängt an den Märkten, das Artensterben begegnet uns als Big Business, das die Börse genauso antreibt wie Großunternehmer und Start-Up-Gründer, und das ist leider überhaupt nicht absurd, sondern nah dran an der real-existierenden Gegenwart.

"Halyard widmete sich wieder den jüngsten Auswirkungen der Biobank-Anschläge. Die weltweiten Aktienmärkte, erschüttert vom Hacken des Unhackbaren, fielen um ein Drittel Prozentpunkte, was in etwa gleichbedeutend war mit einem Schurkenstaat, der eine Atombombe testet. Oder mit einer Volkswirtschaft, die eine zart linksgerichtete Regierung wählt."

Zitat aus Hörbuch

Die Story ist voller überraschender Wendungen, der Text dicht, die Geschwindigkeit rasant. Stefan Kaminski liest den Roman kühl und pointiert und frei von jeglichen Sentimentalitäten. Aber was heißt da Lesen: er schlüpft so überzeugend in die unterschiedlichen Rollen, dass man am Ende nicht mehr sicher ist: War das wirklich ein einziger Sprecher oder nicht doch ein Hörspiel mit verschiedenen Stimmen?

"'Aber wenn dir die Moral so wichtig ist, solltest du dann nicht einfach...' - 'Mich sofort umbringen?' - 'Nein!' - 'Du kennst den Spruch doch: Die einzige Möglichkeit wirklich vegan zu sein ist, zu sterben.'"

Zitat aus Hörbuch

Ned Beauman: "Der Gemeine Lumpfisch", erschienen im Liebeskind Verlag in der Übersetzung von Marion Hertle. Für den BR eingelesen von Stefan Kaminski, in der Regie von Kirsten Böttcher. Alle 13 Folgen finden Sie kostenlos in der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.


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