Hörbuch der Woche "Elternhaus" von Ute Mank
"Elternhaus" ist der zweite Roman der Marburger Autorin Ute Mank. Wie in ihrem Debütwerk "Wildtriebe" handelt es sich auch hier um eine Familiengeschichte, in der Frauen die Hauptrolle spielen. Diesmal sind es die beiden Schwestern Sanne und Petra, die sich schon lange vollkommen entfremdet haben und gleichzeitig unlösbar miteinander verbunden sind.
"Petra stand mitten auf der Fliederstraße und starrte. Da wo das Haus gestanden hatte, war nur die Haustür, wie aus der Fassade ausgeschnitten. Das Haus war weit nach hinten in den Garten gerückt. Das Dach schwebte darüber, hatte keine Verbindung mehr zum Gemäuer. Auch der Schornstein hatte sich gelöst und baumelte über dem Nussbaum."
Zitat aus Hörbuch
Petras Elternhaus löst sich auf. Ihre Schwester Sanne hat das alte Haus geräumt und die Eltern in einer altersgerechten Wohnung untergebracht. Eine Tat, die das Leben aller Familienmitglieder entscheidend verändern wird.
"Einen alten Baum verpflanze man doch nicht. Das mit dem alten Baum hatte auch Kurt gesagt und bedenklich den Kopf dazu gewiegt. Sanne hatte die ganzen alten Nachbarn als lebendige Vorwürfe empfunden. War froh gewesen, als sie wieder verschwunden waren."
Zitat aus Hörbuch
Sanne ist die älteste von drei Schwestern. Wie ihre Eltern wohnt sie noch am gleichen Ort, hat Mann, Haus und Kinder. Petra ist die mittlere der Geschwister. Als einzige in der Familie hat sie das Gymnasium besucht und studiert. Kinderlos und allein lebt sie in der Großstadt. Wo Sanne anpackt und bestimmt, gerät Petra ins Grübeln und zuckt zurück. Zwei Charaktere, zwei Lebensentwürfe, zwei Stimmen, die sich klar unterscheiden. Sanne und Petra werden wunderbar interpretiert von Sandrine Mittelstädt und Meike Rötzer.
"Hing die Erinnerung nicht an konkreten Gegenständen, die man nur anschauen und befühlen musste, um die Gefühle wieder hervorzulocken? Sich ihrer zu versichern? Warum wusste Sanne nichts von solchen Dingen? Dachte immer nur praktisch, wie auch die Mutter immer nur praktisch gedacht hatte."
Zitat aus Hörbuch
Elternhaus ist eine Geschichte der Übergänge. Sanne erlebt schmerzhaft wie ihre eigenen Kinder flügge werden und sich ihre Ehe auflöst. Petra erfährt das Gegenteil – das Ende ihres Single-Daseins. Ihre Eltern gehen ihrem wohl letzten Lebensabschnitt entgegen, Sannes Tochter bricht auf und wird erwachsen.
"In solchen Augenblicken meinte Sanne diese Zeit nicht genug genossen zu haben, aber wie hätte sie auch wissen können, wie schnell sie verging? Wie schnell die Kinder einem entwuchsen. Wie schnell man sich neben ihnen uralt fühlen würde?"
Zitat aus Hörbuch
Keine der Figuren aus "Elternhaus" ist besonders ungewöhnlich. Doch ihre Geschichte besticht gerade darin, dass sie typische Familienkonstellationen, Verhaltensmuster und sozial geprägte Ansichten schnörkellos und ungeheuer lebensnah wiedergibt.
"Sonntage waren dumpfe, bewegungslose Tage gewesen. Sie waren erleichtert gewesen, wenn sie abends die Kleider ausziehen durften, die Mutter sorgfältig auf Bügel hängte, bis zum nächsten Sonntag."
Zitat aus Hörbuch
Gleichzeitig erzeugt Ute Mank eine raffinierte Spannung. Denn Sanne und Petra sehen sich nicht, sprechen nicht miteinander, wissen nichts voneinander und denken doch unaufhörlich über die jeweils andere Schwester nach, ziehen Vergleiche, stellen Hypothesen auf. Beim Zuhören möchte man die beiden Protagonistinnen am liebsten packen und zusammen bringen, damit sie sich endlich aussprechen. Gut möglich, dass die Autorin ein gewisses Vergnügen dabei empfand, eine Begegnung der beiden immer wieder hinauszuzögen und die Hörer zappeln zu lassen.
Zu ihrer eigenen Überraschung fand Petra sich vor Sannes Haus wieder. Dessen Fenster starrten wie blicklose Augen aus der Fassade. Nirgendwo brannte Licht. Petra stellte den Motor ab, blieb aber im Auto sitzen.
"Eltern" von Ute Mank – gelesen von Sandrine Mittelstädt und Meike Rötzer - ist auf 1 MP3-CD bei DAV erschienen.