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Gehirnerschütterung im Profisport Die unterschätzte Gefahr

Zusammenstöße, Checks und Kopf-Kollisionen sieht man im Profisport jede Woche: In Deutschland wird das Thema teilweise noch unterschätzt. Dabei besteht dringender Handlungsbedarf. Die Risiken sind groß.

Von: Sebastian Krause, Norbert Gobemier, Julian Ignatowitsch

Stand: 09.03.2021

Das war gerade erst wieder beim Bundesliga-Spiel zwischen Arminia Bielefeld und Union Berlin zu beobachten. Nach einem schweren Zusammenprall zwischen den Mannschaftskollegen Andreas Luthe und Julian Ryerson gab es zwar eine achtminütige Behandlungspause, anschließend spielten beide Spieler jedoch weiter, was Mediziner kritisch beurteilten: "Aus gesundheitlicher Perspektive hätte man beide Spieler vom Platz runternehmen müssen", sagte beispielweise Neurologe Ingo Helmich von der Sporthochschule Köln. Doch das passiert beim Fußball generell viel zu selten.

Verantwortungsloser Umgang mit Profisportlern

Nicht nur dort. Eishockey, Handball oder Basketball - es heißt nicht umsonst Kontaktsport, das gilt leider auch für den Kopf. Der Ex-Eishockeyspieler Tyler Haskins musste seine Karriere in Folge von mehreren Gehirnerschütterungen beenden. "Ich hatte Gedächtnisprobleme, es war eine ernste Sache", sagte Haskins gegenüber der ARD Radio Recherche Sport und schilderte: "Teilweise vergaß ich Dinge, wusste nicht mehr, wo ich war." Dass einige Verantwortliche die Spieler nicht schützen, weiß Andreas Eidenmüller, Therapeut an der Sport-Neuropsychologie in Würzburg, aus eigener Erfahrung:

"Einer der krassesten Fälle war ein Eishockey-Spieler. Er hat dann gespielt und zwar weil der Manager gesagt hat, der ist mit halbem Hirn immer noch besser als der Rest der Mannschaft."

- Neuropsychologe Andreas Eidenmüller

Eklatante Spätfolgen

Bei Knie oder Schulterverletzungen gibt es überall Spezialisten, bei Gehirnerschütterungen steht man als Sportler oft alleine da. Axel Gänsslen, Mannschaftsarzt von den Grizzlys Wolfsburg, setzt sich für mehr Bewusstsein für die Kopf-Verletzungen ein. Er geht von mindesten vier Gehirnerschütterungen pro Saison allein bei seinem Team aus und stellt klar, dass "diese Verletzung tatsächlich relevante Folgen mittelfristig haben kann." Neben den akuten Symptomen wie Kopfschmerzen und Schwindel kann eine mehrfach erlittene Gehirnerschütterung eklatante Spätfolgen haben, bis hin zu Alzheimer und Gedächtnisverlust.

"Ich habe auch bei mir selber gemerkt, dass man dann halt sagt: 'Jetzt komm', kennste ja, stell dich nicht so an, das wird schon'. Also geht man dann auch manchmal über die Symptome drüber, wenn man Kopfschmerzen hat und trotzdem weitermacht."

Handballer Michael Schulz

Pro BL-Spieltag fast eine Gehirnerschütterung

Nach Angaben des Deutschen Fußball-Bundes kommt es in der Bundesliga pro Spieltag zu fast einer Gehirnerschütterung. Doch im Gegensatz zum US-Sport gibt es in den deutschen Profi-Ligen keine verpflichtenden Protokolle bei entsprechenden Vorfällen, mit Ausnahme der Deutschen Eishockey-Liga. "Das Problem ist in der Breite in Deutschland noch nicht so angekommen, wie das in Amerika über den Highschool- und College-Sport etabliert ist", sagt Gänsslen. Seit 2019 schreibt die Deutsche Fußball Liga immerhin einen jährlichen Hirncheck vor. Dass ein Spieler wegen einer Gehirnerschütterung ausführlich durchgecheckt oder sogar ganz ausgewechselt wird, kommt aber quasi noch nicht vor. Auch nicht bei der brutalen Berliner Kopf-Kollision zwischen Luthe und Ryerson.


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