BR-München Kunst mit der Kettensäge
Unterwössen im Chiemgau – Voralpenland: Berge, Wälder Wiesen. Hier lebt der Holzbildhauer Andreas Kuhnlein. Von Weitem hört man ihn schon mit seiner Kettensäge.
Alte Eichen- oder Ulmenstämme lagern hinter seinem Haus. Wenn der Bildhauer arbeitet, fliegen die Fetzen. Seine Skulpturen sind Menschenbilder: zerrissen, zerklüftet. So manchen Betrachter mag das abschrecken – keine leichte Kost. Der Mann mit der Kettensäge will den Blick schärfen für das, was hinter der Fassade des Menschen steckt.
"Für mich steht dreierlei dahinter: zum einen die Brutalität, die im Menschen steckt, mit den Menschen und gegenüber der Natur; auf der anderen Seite aber auch die Zerbrechlichkeit, die Verletzbarkeit; und als Drittes, was letztendlich die zentrale Wahrheit unseres Daseins ist, die Vergänglichkeit."
Andreas Kuhnlein, Bildhauer
In seiner aktuellen Ausstellung hat Kuhnlein seine Holzarbeiten den Steinskulpturen aus der Antike gegenübergestellt, in der Münchner Glyptothek – radikale Gegensätze. Und doch sind Parallelen sichtbar, im Ausdruck, wie bei diesem Hund.
Andreas Kuhnlein ist Autodidakt: Er hatte Schreiner gelernt, war Landwirt und Polizist. Wachsam sein, genau hin sehen – das ist ihm wichtig. Sein "Imperator" hat Ecken und Kanten, ist verletzlich und keineswegs perfekt, so wie das antike Pendant. Der Museumsleiter sieht durchaus Ähnlichkeiten in den beiden Kunstwelten:
"Es wird immer versucht, allgemeine Fragen menschlicher Existenz zu stellen und im Idealfall auch zu beantworten, also die Endlichkeit menschlichen Lebens. Die ist natürlich durch das Material und durch die 'Zerschluchtung' in besonderer Weise greifbar bei Andreas Kuhnleins Holzskulpturen."
Florian Knauß, Direktor Glyptothek München
Auf seinem Grundstück in Unterwössen stehen etliche Skulpturen und verwittern langsam. Die Natur schafft eine ganz eigene Patina. Im Laufe von 20 Jahren hat Andreas Kuhnlein viele hundert Werke geschaffen. Meist sind es Menschen, denn die interessieren ihn am meisten. Oft steckt eine politische Botschaft dahinter: dann sägt er Soldaten aus den Bäumen oder gefallene Helden…
Der Bildhauer lässt sich von seinen Gefühlen leiten, auch wenn es um die eigene Familie geht:
"Als meine erste Tochter schwanger war, da habe ich wochenlang nur noch Schwangere gemacht. Das passiert auch."
Andreas Kuhnlein, Bildhauer
Wenn sich der Bildhauer einen Baumstamm vornimmt, geht es schnell und gezielt zur Sache: Er macht sich zuvor keine Zeichnung und kein Modell. Alles sägt er frei aus der Hand. Und jede Skulptur macht er nur einmal. Kopien? Gibt es bei ihm nicht. Meist braucht er nur einen Tag für das Stück. Für ihn ist die Kettensäge auch ein Werkzeug zum Abreagieren.
"Ich meine, der eine fängt zum Saufen an und ich hole meine Säge und richte mir einen Baum her und mache dann dementsprechend etwas daraus."
Andreas Kuhnlein, Bildhauer
Und fertig ist das Kunstwerk – diesmal ein Zitat der Meisterstücke der Antike. Geduld ist nicht Kuhnleins Stärke und Stein nicht sein Material.
"Der Stein ist zwar ein wahnsinnig interessantes Material, aber es geht mir zu langsam weil meine emotionalen Anfälle, die ich habe, da brauche ich mit dem Stein zu lange."
Andreas Kuhnlein
Aber der Effekt, den er erzielt, ist der gleiche.