Rai-Südtirol Eine Werkstatt fürs Leben
Geschickt arbeitet er mit seinen Fingern, geschmeidig wie eh uns je. Er ist 93 – die Arbeit ist ihm ein Genuss.Geschickt arbeitet er mit seinen Fingern, geschmeidig wie eh uns je. Er ist 93 – die Arbeit ist ihm ein Genuss.
"Ich bin ziemlich abgehärtet. Mit Acht musste ich bereits hart arbeiten, bei einem Bauern – und wurde regelrecht ausgenutzt. Später, als junger Mann, war ich Kriegsgefangener in Russland, dreieinhalb Jahre lang wieder harte Arbeit. Es war eine schwere Jugend. Aber ich bin zufrieden gewesen."
Martin Nössing, Galanteriespengler, Klausen
Mit 13 ist er vom Bauern weg und zu einem Spengler nach Bruneck zur Lehre. Bevor er 1943 an die Front musste, hatte er noch zwei Tage Urlaub. Den einen verbrachte er in Bozen, um seine Papiere in Ordnung zu bringen, und entkam um Haaresbreite den ersten Bomben; den zweiten Tag verbrachte er in Kastelruth, seinem Heimatdorf. Just an dem Tag herrschte große Aufregung, da ein junges Mädchen von Haus zu Haus ging, um die Ziehmutter zu suchen, die es hier einst gehabt hatte.
"Ich habe sie nur gegrüßt, natürlich. Doch dann kamen der Krieg und die russische Gefangenschaft. Ich habe an diese Begegnung kaum einmal gedacht. Doch wie das Schicksal so spielt: Ich kam zurück, das Waisenkind wurde meine Frau – und wir gründeten eine glückliche Familie."
Martin Nössing
Da ein jüngerer Bruder in der Zwischenzeit die Eisenwarenhandlung des Vaters übernommen hatte, ging Martin Nössing nach Bozen, arbeitete viel am Abend und in der Nacht, brauchte fast den ganzen Dienst für die Bezahlung der Fachschule, die er hier besuchte. Für seine spätere Frau fand er eine Arbeit in einem Kaffeehaus. Irgendwann haben sie erfahren, dass in Klausen dringend ein Spengler gebraucht würde. Vom Bürgermeister und Dekan wurde er zum Vorstellungsgespräch geladen und herzlich aufgenommen.
"An Arbeit hat es nicht gefehlt, im Gegenteil, weil die meisten Dächer zu reparieren waren. Sie waren wegen der nahen Flugabwehr im Krieg stark beschädigt."
Martin Nössing
Das Galanteriehandwerk, das Herstellen von Küchengeräten, hatte er in seinen Lehrjahren in Bruneck erlernt. Im Winter, wenn es draußen keine Arbeit gab, hieß es Töpfe und Pfannen herstellen. Und genauso begann er neben den Bau- und Spenglerarbeiten mit seinen zwei Angestellten im Winter Gießkannen herzustellen, um sie in der Zeit, in der sonst wenig anfiel, auch zu beschäftigen. Diese Gießkannen wurden landesweit zu seinem Markenzeichen. Viele Tausende hat er hergestellt.
Jetzt verkauft er nur mehr an Passanten, die sie im Schaufenster sehen, und an Menschen, die ihn gerade deswegen aufsuchen. Der Preis für eine Gießkanne steht in keinem Verhältnis zur Arbeit. Aber das zählt nicht. Unbezahlbar ist die Genugtuung, wenn er wieder eine fertig hat. Jeder Tag, an dem er arbeiten kann, ist ein Geschenk.
"Ich hatte Glück, hatte Arbeit und habe gute Kunden gehabt. Wir sind zufrieden gewesen."
Martin Nössing