Balkan Neue Zentren des IS
5. November - die A8 nahe Rosenheim: Schleierfahnder der bayerischen Polizei winken ein Auto aus Montenegro raus. Der Fahrer will nach Paris.
Im Auto finden die Fahnder ein Waffenversteck: Handgranaten, Sprengstoff und acht Kalaschnikow-Sturmgewehre. Acht Tage später richten Terroristen in Paris mit solchen Waffen ein Massaker an. 129 Unschuldige sterben. Gibt es einen Zusammenhang?
München: Bayerische Fahnder ziehen immer wieder Kriegswaffen aus dem Verkehr. Im LKA werden Exemplare für Gutachten aufbewahrt; darunter viele Varianten der in Paris benutzten Kalaschnikow.
"Jede automatische Waffe in solchen Szenarien ist brandgefährlich, weil sie mit vollautomatischen Waffen Dauerfeuer schießen und damit eine große Anzahl von Schüssen in kurzer Zeit abgeben können. Und wenn sie eine Menschenansammlung haben, die jetzt auch noch im Nahbereich ist, dann ist da tragischerweise nur schwer vorbeizuschießen."
Axel Manthei, Landeskriminalamt Bayern
Die Kalaschnikow AK-47: Ihr Erfinder, der Russe Michail Kalaschnikow wollte im Zweiten Weltkrieg ein Gewehr entwickeln, das es mit der Feuerkraft der deutschen automatischen Waffen aufnehmen kann. Aber erst nach dem zweiten Weltkrieg stellt die Rote Arme die AK-47 in Dienst. 100 Millionen Gewehre sollen von diesem Typ bis heute produziert worden sein. Mittlerweile ist sie auch die Waffe des Jihad. 2008 töten Islamisten in Mumbai 170 Menschen. Nach den Bombenanschläge in London und Madrid ist dies ein neues Muster des Terrors: Mit Granaten und Kalaschnikow und genauso verheerend.
Danach auch in Europe Attentate mit Sturmgewehren: 2014 schießt ein Terrorist im jüdischen Museum in Brüssel um sich. Im Januar der Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris. Und auch bei dem verhinderten Attentat auf den Thalys-Zug trug der Täter eine Kalaschnikow. Der Zugang zu den Waffen ist keine große Hürde, glaubt der Waffenexperte Lars Winkelsdorf. Der Schwarzmarkt floriert:
"Kalaschnikow-Sturmgewehre sind in Frankreich in unglaublich hoher Stückzahl verbreitet. Sie werden eingeschmuggelt über den Hafen von Marseille, stammen vom Balkan und werden zu Dumpingpreisen von 200 bis 300 Euro gehandelt."
Lars Winkelsdorf, Waffenexperte
Die Waffen kommen zum Beispiel aus Albanien. 1997: Proteste, Staatskollaps, Plünderungen. Abertausende Armeewaffen verschwinden einfach so. In gesamt Europa werden 67 Millionen illegale Waffen wie die Kalaschnikow vermutet. Davon alleine in den kleinen Balkanländern 3,86 Millionen. Und mit denen wird ein schwunghafter Handel betrieben. Eine weitere Schmuggelroute Richtung Westen ist der Landweg über Bayern, wo der Fahrer aus Montenegro geschnappt wurde. War seine Ladung für die Paris-Attentäter bestimmt?
Tatsache ist: der Balkan ist inzwischen Rekrutierungsgebiet für den islamischen Dschihadisten-Nachwuchs. Hier ein Propagandavideo des sogenannten IS, nicht auf Arabisch, sondern in albanischer Sprache.
Für den Osteuropaexperten Florian Bieber sind es Armut und Perspektivlosigkeit, die bei jungen Leuten einen idealen Nährboden für die Rekrutierung bieten:
"Aus dieser Benachteiligung oder Angst oder aus der Frustration heraus, aus dem der Islamische Staat seine Möglichkeiten schöpft. Und die bietet sich im Balkan an. Das heißt, der Balkan ist ein attraktiver Rekrutierungsboden für den Islamischen Staat."
Professor Florian Bieber, Universität Graz
Und für viele junge Menschen ist es aber auch schlicht der in ihren Augen üppige Sold, den der sogenannte IS bezahlt. Mit dem hoffen sie, der Armut zuhause zu entrinnen; nicht wissend, wie schrecklich der Krieg in Syrien und Irak tatsächlich ist.
Artan Haraqija ist Journalist. Seit Jahren berichtet er kritisch über die Islamistenszene in seinem Land. Mitverantwortlich für den Hass und die Rekrutierungen seien auch radikale Imame:
"Und dann siehst Du all diese Videos zum Beispiel von diesen Imamen im Kosovo oder irgendwo auf der Welt, in Bosnien oder Balkan oder Europa, die voller Hass sind für alle anderen Leute. Also die Vorbereitung beginnt in diesen anderen Ländern zum Beispiel im Kosovo oder in Bosnien oder Albanien oder irgendwo. Und dann, wenn die bereit sind, andere auch zu töten, dann werden sie nach Syrien oder in den Irak geschickt."
Artan Haraqija, Journalist
Und das Fernziel der Ideologen des sogenannten IS: In Zukunft sollen die rekrutierten Dschihadisten nicht mehr nur in Syrien und dem Irak eingesetzt werden, sondern auch zuhause und in den europäischen Ländern. Die Vision des Kalifats: der Balkan als Einfallstor nach Europa?