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Georgien Wie der tote Diktator das Land spaltet

Im kleinen Gori, der Geburtsstadt von Josef Stalin, soll eine Stalin-Statue aufgestellt werden. Im benachbarten Russland hat Stalin derzeit Konjunktur, obwohl unter seiner Diktatur Millionen Sowjetbürger ihr Leben lassen mussten. Ob die Statue in Gori bis zum 21.12. tatsächlich aufgestellt wird?

Von: Ralph-Jürgen Schoenheinz

Stand: 04.12.2016 | Archiv

Stalin-Statue | Bild: BR

Unterwegs zum geheimen Versteck: Irgendwo in diesem verwahrlosten Industriegelände soll der Bronzekoloss liegen. Das wissen die Journalisten aus Gori, die für uns nach der Statue suchen. Hier waren sie noch nie. Sie können sich aber noch gut daran erinnern, dass die sieben Meter hohe Statue früher im Stadtzentrum stand.

So im Dreck könnte er, der ehemalige kommunistische Diktator, einem fast Leid tun, hätte er durch seine Schreckensherrschaft nicht viele Millionen Menschenleben auf dem Gewissen.

Alexander Lursmanishvili

Im Juli 2010 war die Statue vor dem Rathaus von Gori in einer nächtlichen Aktion abgerissen worden, ohne vorher die Bevölkerung zu fragen. Viele in der Geburtsstadt von Stalin sind darüber immer noch verärgert, auch Alexander Lursmanishvili von der örtlichen kommunistischen Partei:

"Schade, schade. Dabei hat sie doch niemanden gestört. Wir kämpfen jetzt dafür, dass sie wieder dort aufgestellt wird, wo sie früher stand."

Alexander Lursmanishvili, Vorsitzender der Kommunistischen Partei in Gori

Dafür stehen die Chancen gut. Im letzten Jahr starteten die Kommunisten in Gori eine Bürgerinitiative, sammelten Unterschriften für die Rückkehr des Denkmals. Stolz will Lursmanishvili uns die Listen persönlich zeigen, führt uns in die "Parteizentrale" der Kommunisten. Auch wenn nur wenige in Stalins Geburtsstadt bei der letzten Parlamentswahl am 6. Oktober die Kommunisten wählten, so haben doch immerhin 20.000 unterschrieben, den einstigen kommunistischen Führer wieder im Stadtzentrum aufzustellen.

"Die Unterschriften zeigen, dass nicht nur ein Einziger das Denkmal will, sondern die Mehrheit unserer Stadt."

Alexander Lursmanishvili, Vorsitzender der Kommunistischen Partei in Gori

Im Stalin-Museum

Irgendwie sind viele Bewohner Goris wohl stolz auf den weltberühmten Sohn ihrer Stadt, auch wenn sein Erbe sehr umstritten ist. Man lebt schließlich hier von Stalin. Größter Touristenmagnet ist das 60 Jahre alte Stalin-Museum. Kommunist Lursmanishvili kommt gern hierher. Er genießt es, zu sehen, wie die vielen Besucher aus aller Welt sich für sein Idol Stalin interessieren.

Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Wie in der Sowjetunion wird Stalin positiv dargestellt, wird ihm verziehen, dass auch Hundertausende von Georgiern seiner Repression zum Opfer fielen.

Doch heute weht neben der georgischen Fahne auch in Gori die der EU, Symbol für das unterzeichnete Assoziierungsabkommen.

Zurab Jirkvelishvili

Goris Bürgermeister ist Mitglied der prowestlichen Regierungspartei "Georgischer Traum". Er kennt das Ergebnis der Bürgerinitiative und die Petition für die Wiederaufstellung der alten Stalinstatue.

"Nachdem wir uns die Freiheit von Russland erkämpft haben, sollten wir meiner Meinung nach nicht dahin zurückkehren, sondern uns in Richtung Europa entwickeln. Mit Europa verbinden uns mehr Werte als mit Russland. Georgiens Geschichte zeigt, dass wir zu Europa gehören."

Zurab Jirkvelishvili, Bürgermeister von Gori

In der Hauptstadt Tiflis wurde die dortige Lenin-Statue schon 1990 vom Freiheitsplatz entfernt. Rund zwei Drittel haben vor einem Monat prowestlich gewählt.

"Ich meine, dass die allermeisten im Volk eher nach Europa wollen und nicht nach Russland."

Eine Passantin

"In Gori, die Statue zurück? Ich sehe jeden Führerkult generell negativ und lehne einen Diktator als Kultfigur ab."

Eine andere Passantin

Viele Georgier lehnen Stalin natürlich politisch ab, wollen aber dennoch die Statue wieder aufstellen. Auch Lasha Bakradze würde sie nicht einschmelzen, rät lieber zur Auseinandersetzung mit dem schwierigen Erbe:

"Man könnte vielleicht dieses Stalin-Denkmal irgendwie ins Museum hineinbringen und das Denkmal zum musealen Gegenstand machen, zum Beispiel liegend im Eingang."

Lasha Bakradze, Direktor des Nationalen Literaturmuseums, Tiflis

Platz wäre hier im Stalin-Museum für den liegenden Diktator genug. Oder den berühmt-berüchtigten Georgier lieber draußen vor dem Museum auf den Sockel stellen, der vor ein paar Jahren eigens dafür gebaut wurde? Wenn es nach Stalinverehrer Lursmanishvili ginge, dann wieder vor das Rathaus, direkt vor die Augen und das Fenster des Bürgermeisters.

Der freilich meint, dass der Diktator zwar ein bedeutender Georgier aus Gori war, aber hier so nah nicht zur heutigen Politik in seinem Rathaus passe.

"Ich denke, auf diesem Platz wird er nie wieder stehen."

Zurab Jirkvelishvili, Bürgermeister von Gori

Bis zum 21. Dezember, Stalins Geburtstags, soll sich nun entscheiden, was mit der Statue passiert.


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