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Griechenland Aufklärer im Fadenkreuz der Justiz

"Du erschießt nicht den Überbringer von schlechten Nachrichten.", sagt Andreas Georgiou, ehemaliger Chef des griechischen statistischen Amtes. Doch Georgiou wird Opfer politischer Rache.

Von: Ellen Trapp

Stand: 26.11.2017 | Archiv

Griechisches Parlament | Bild: BR

Andreas Georgiou

Es ist eine große Ausnahme, dass Andreas Georgiou mit uns spricht. Das, was ihm widerfahren ist, kann er noch immer nicht fassen:

"Wir hatten nicht nur viel Arbeit vor uns, mein Team und ich, diese Statistikbehörde aufzubauen und zu reformieren. Aber ich musste sofort versuchen zu retten, was noch zu retten ist gegen Menschen aus dem 'alten System', die uns zu Fall bringen wollten."

Andreas Georgiou

Der Reihe nach – 2009: Die Sozialdemokraten gewinnen mit über 40 Prozent die Wahlen. Feierlaune ohne Ende – doch die Freude hält nicht lange an. Schnell wird klar: Griechenland steht kurz vor dem Bankrott. Was so richtig niemand wissen wollte, erinnert sich der Journalist Pavlos Tsimas:

"Ein klares Bild konnte die neue Regierung bestimmt nicht haben, denn die vorherige hat alles getan was sie tun konnte, um das Ausmaß des Problems zu vertuschen."

Pavlos Tsimas

Giorgos Papaconstantinou

Finanzminister dieser neuen Regierung: Giorgos Papaconstantinou. Er versuchte Licht ins Dunkel zu bringen, erklärt er heute: Geschönte Statistiken, Ausgaben, die nirgends verbucht wurden, Verschwendung im großen Stil. Schreckensnachrichten ohne Ende:

"Zu Beginn der Krise hatten wir die Hoffnung, dass die Krise selbst auch als ein Weckruf gesehen werden könnte, als Chance. So haben wir es auch gesagt. Aber das ist nicht geschehen."

Giorgos Papaconstantinou

Und deshalb will er Ordnung geschaffen, holt dafür seinen Landsmann Andreas Georgiou vom IWF in Washington. Frisch im Amt erklärt dieser, Griechenlands Haushaltsdefizit sei deutlich höher, als bisher vermeldet. Statt sechs Prozent sind es ein Jahr später 15,4 Prozent. Im Haushalt fehlen 36 Milliarden Euro. Die Zahlen – ein Schock. Aber dass er dafür persönlich verantwortlich gemacht werden könnte, damit hat er nicht gerechnet.

"Du erschießt nicht den Überbringer von schlechten Nachrichten. Du versuchst doch eigentlich zu begreifen, was falsch gelaufen ist, übernimmst Verantwortung und du versuchst weiter zu machen und dankst dem Überbringer. Nur auf dieser Basis kannst Du weiterarbeiten, sonst wiederholst Du doch die gleichen Fehler wieder."

Andreas Georgiou

Doch der Bote der schlechten Nachrichten kommt auf die nationale Anklagebank. Die Griechen werfen ihm vor, mit seinen Zahlen die Gläubiger erst ins Land geholt zu haben. Damit habe das Drama erst begonnen.

Andrea Georgiou

2012: Ein Untersuchungsausschuss beschäftigt sich im Parlament mit vermeintlich gefälschten Statistiken. Die Opposition versucht Andrea Georgiou in die Ecke zu drängen.

"Ziel ist die Wiederherstellung des Vertrauens auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene in die offiziellen Statistiken Griechenlands."

Andreas Georgiou

"Mit vielen Gesetzesänderungen wurde der existierende Vorstand abgeschafft. Nur haben wir nun die Autorität eines Mannes. Eine meiner Fragen: Wo geben sie wem eigentlich Rechenschaft ab, Herr Georgiou? An den Wirtschaftsminister? An Eurostat?"

Samoilis Stefanos, Syriza

"Die griechische Statistikbehörde wird vom Parlament gemäß dessen Verordnung geprüft. Deshalb ist es auch meine Pflicht und Freude, vor ihnen zu stehen und sie zu informieren. Sie wird für jeden einzelnen Schritt auch von der Europäischen Statistikbehörde geprüft."

Andreas Georgiou

Das wollen seine Gegner, unter anderem die politische Opposition nicht hören. Der Vorwurf bleibt: Georgiou puscht die Zahlen künstlich in die Höhe und treibt Griechenland in den Bankrott. Aber es bleibt nicht bei Vorwürfen: Georgiou wird vor Gericht gezerrt. Das Urteil: Zwei Jahre auf Bewährung wegen angeblichen Verstoßes gegen Amtspflichten und weitere Gerichtsverfahren stehen noch aus. Die politischen Gegner suchen Schuldige, so Tsimas. Und die Justiz spielt mit:

"Ich glaube, der Fall von Herrn Georgiou ist der klassische Fall eines Sündenbocks. Alle Anklagen gegen ihn basieren auf Absurditäten. Als er Vorsitzender des griechischen Statistikamts wurde, hatte Griechenland schon längst das Sparprogramm unterschrieben."

Pavlos Tsimas

Das Europäische Statistikamt stellt sich schützend vor Georgiou, ebenso der Chef der Eurogruppe: Dijsselbloem appellierte jüngst beim Gipfel in Tallin an die griechische Regierung:

"Lassen sie mich unterstreichen, dass es in der Eurogruppe große Bedenken gibt bezüglich dieser Gerichtsverfahren und der Auswirkungen, die es international auf das Vertrauen in Griechenland und den Prozess der Modernisierung, inklusive des Vertrauens in die Unabhängigkeit von Elstat selbst hat."

Jeroen Dijsselbloem, 15.09.2017

Heute lebt Georgiou wieder in Washington, mit seiner Tochter, voll bitterer Zweifel an Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Griechenland. Warum das alles, fragt er sich.

"Heute werden die Statistiken in Griechenland nach unserer Methode erstellt – wenn diese Methode also als falsch betrachtet würde, im juristischen Verfahren, dann müsste es neue Kalkulationen für die derzeitigen geliehenen Anforderungen geben."

Andreas Georgiou

Und so bleibt Georgiou im fernen Washington vor allem die Frage nach der Glaubwürdigkeit und politischen Unbestechlichkeit in Justiz in seinem Heimatland. Er wollte Vertrauen schaffen in der Welt und weiß nicht, wem er selbst noch vertrauen kann. Ein weiteres Kapitel im griechischen Drama.


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