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Großbritannien Wie Osteuropäer schikaniert werden

Für EU-Bürger wächst der Druck - vor wenigen Jahren noch willkommene Arbeitskräfte, steigt nun mit der aufgeheizten Diskussion über den Brexit auch die Zahl der Anfeindungen gegen sie.

Von: Frank Hofmann

Stand: 28.01.2018 | Archiv

Überwachungskamera | Bild: BR

Diese Überwachungskameras wurden nicht gegen Diebe installiert, sondern wegen der polnischen Nachbarn gegenüber. Sie zielen geradewegs ins Kinderzimmer:

"Hier sind Kameras zu sehen. Dort ist eine weitere, die weiße und dort die schwarze. Und nochmal eine dort, sehen Sie?"

Dorota Darnell, Einwanderungsberaterin

Dorota Darnell

Ausgerichtet gegen die polnische Familie, weil die EU-Bürger sind. Es ist mehr als ein bizarrer Nachbarschaftsstreit in der Gemeinde Great Yarmouth im Osten Englands, der sich gegen die polnische Familie P. richtet, sagt Dorota Darnell, während die Nachbarin mit dem Auto wegfährt.

Darnell berät die betroffene Familie. Sie ist einmal selbst aus Polen nach Großbritannien gekommen; ein Job als Bankangestellte hatte sie angelockt. Heute ist sie selbständig und hilft Landsleuten, die ganz besondere Probleme haben wie die Familie P. Mutter Agnezska will ihr Gesicht nicht zeigen; sie fürchtet, dass die Attacken noch heftiger werden.

"Sie hat Angst, auf der Straße erkannt zu werden, denn es ist eine kleine Stadt hier. Wenn sie rausgeht und Leute erkennen sie wieder, dann fürchtet sie, dass sie noch mehr Ärger bekommt. Sie hat fünf Kinder und möchte die und sich selbst schützen!"

Dorota Darnell

Anfangs hat Dorota Darnell nur polnische EU-Bürger bei ihren Aufenthaltsanträgen beraten, nachdem sie sich selbst durch die britische Bürokratie gekämpft hatte. Doch jetzt hilft sie auch beim Gang zur Polizei, wenn Familien bedroht werden, einfach weil sie EU-Bürger sind. Und immer mehr brauchen Hilfe. Die Kameraüberwachung von Agnezska P. ist ein weiterer fremdenfeindlicher Fall.

"Die Nachbarin hat das gemacht, um uns einzuschüchtern. Sie will zeigen, dass sie die Kontrolle hat. Sie hat die Kameras installiert, manchmal nehmen sie auf, manchmal nicht. Sie hat uns auch bei Facebook eingeschüchtert. Sie hat uns angeschrien:,Ich sehe Euch - die ganze Zeit!'"

Agnezska P., Mobbing-Opfer

Agnezska und ihre Familie leben seit vier Jahren in der Straße. Erst vor zwei Jahren sei die britische Nachbarin hergezogen. Die Drohungen begannen mit dem Brexit 2016 - und das nicht nur durch die eine Nachbarin.

"Zuvor hatte ich nie Probleme beim Arzt oder mit der Schule. Jetzt haben sie den Kindern Schimpfnamen gegeben. Und Kinder sprechen ja nach, was sie zu Hause bei ihren Eltern hören! Ich habe Angst auf der Straße Polnisch zu sprechen, weil ich schon beschimpft worden bin."

Agnezska P.

Ein Polizist soll gesagt haben, sie könnten ja wegziehen. Mehr als 70 Prozent haben in Great Yarmouth für den Brexit gestimmt. Das Seebad an der Nordsee gehört zu den Anti-EU-Hochburgen der Insel. In den Bars und Restaurants arbeiten viele aus osteuropäischen EU-Staaten, noch mehr auf den Feldern der Landbetriebe außerhalb. Die Brexit-Befürworter schüren wohl auch deshalb die Stimmung gegen die Migranten.

"Ich habe nichts gegen ausländische Arbeiter, die ausgebildet sind. Aber hierherkommen ja Leute ohne Abschlüsse und arbeiten für weniger Geld. Das stört mich!"

Eine Frau

"Ja, es geht um die Immigration: Ich habe persönlich keine Panik deshalb, aber es gibt schon ganz schön viele mittlerweile in Great Yarmouth. Ich komme mit denen zurecht und sie mit mir, aber jeder für sich selbst!"

Ein Mann

Doch so einfach ist es nicht. Teatime im 200 Kilometer entfernten Birmingham. Wie überall in Großbritannien treffen sich mittlerweile regelmäßig EU-Bürger, um über Brexit-Probleme zu sprechen. Sie haben sich zusammengeschlossen in einer Bürgerinitiative mit dem Namen "die drei Millionen" - so viele EU-Bürger leben auf der Insel: Deutsche, Franzosen, Polen wie Kassia Talbot: sie hat in Polen ihren britischen Mann geheiratet; gemeinsam sind sie umgezogen.

"Plötzlich nach dem Brexit musste ich mir Sorgen machen, dass die Tatsache, dass ich Europäerin bin, nicht mehr ausreicht. Ich muss mich um meine Papiere kümmern, damit ich hierbleiben kann."

Kassia Talbot

Gemma Hayle

Zum Schulende holt Kassia Talbot ihren Sohn ab; ihre beiden Kinder wurden in Großbritannien geboren, in einem kleinen Ort im Großraum Birmingham - eigentlich bekannt für seine Offenheit auch gegenüber Zugezogenen aus Europa. Doch damit ist es schon im Fish und Chips-Laden an der Einkaufsstraße vorbei:

"Sie sollten gehen. Darum ging es doch auch immer beim Brexit: Um unser Geld und solche Sachen. Ich denke, je mehr Leute herein gelassen werden, umso mehr Geld geht hinaus. Darum geht es doch!"

Gemma Hayle, Imbissverkäuferin

Sie meint vor allem: EU-Bürger aus Osteuropa.

James und Kassia Talbot

Kassia Talbot hat mittlerweile den britischen Pass angenommen. Sie konnte mit der Unsicherheit, am Ende als EU-Bürgerin abgeschoben zu werden, nicht leben. Obwohl er als Pfarrer arbeitet und seine ganze Autorität eingesetzt hat, meint Ehemann James, war es eine Tortur mit stundenlangen Telefonaten:

"Solange Du nicht dieses eine Papier hast, kann mir keiner sagen, dass schon alles gut gehen wird mit dem Brexit. Die Leute müssen nicht durchmachen, was wir durchgemacht haben. Sie fühlen nicht den Druck, den wir aushalten mussten..."

James Talbot

Wie die polnische Familie P. in Great Yarmouth. Ohne die Hilfe von Dorota Darnell wären sie alleine: Mit den Kameras und der antipolnischen Nachbarin. Wir versuchen zum Abschied mit der Frau zu reden, klingeln an der Tür. Drinnen hören wir Geräusche, doch niemand macht auf.


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