BR Fernsehen - EUROBLICK


2

Großbritannien Pocket-Living in London

Wer heutzutage in einer Großstadt wie London wohnen will, muss meistens tief in die Tasche greifen. Die britische Hauptstadt gilt bezogen auf die Haus- und Wohnungspreise als teuerste Metropole Europas.

Von: Hendrik Welling

Stand: 18.09.2016 | Archiv

Pocket-Wohnungen | Bild: BR

Georgie Lister-Fell

Ein Haus im angesagten Londoner Stadtteil Hackney. Eigentlich könnte sich Georgie Lister-Fell hier keine Wohnung leisten. Doch mit diesem Apartment im Miniformat ist das anders. Der Grund: Die Illustratorin muss sich mit 38 Quadratmetern Wohnfläche begnügen. Für die 29-Jährige kein Problem. Die Wohnung wirkt größer und bietet Platz für Bad, Schlafzimmer und Wohnraum. Für sie ist die Lage der Luxus.

"Am liebsten mag ich an meiner Wohnung, dass sie in meiner Lieblingsgegend liegt, wo ich auch schon ein paar Jahre vorher gelebt habe, da, wo alle meine Freunde leben. Und ich brauche nur eine Viertelstunde bis zur Arbeit. Und für mich ist klar: hätte es dieses Bauvorhaben nicht gegeben, hätte ich absolut keine Möglichkeit gehabt, in dieser Gegend zu leben. Daher bin ich sehr glücklich."

Georgie Lister-Fell

"Pocket" - Wohnungen im Taschenformat

Russ Edwards

Der Londoner Immobilienmarkt gilt als überhitzt. Selbst einfache Reihenhäuser und Wohnungen kosten oft mehr als eine Million Euro. Damit Normalverdiener nicht weiter aus der Stadt gedrängt werden, hat Russ Edwards von der Firma "Pocket" bislang rund 400 Wohnungen im Taschenformat entworfen. Sie werden für bis zu 40 Prozent unter Marktwert verkauft: ab 200.000 Euro. Das Geheimnis: Kostensparende Bauweise und ein funktionaler Designcode.

"Ein Merkmal unserer Wohnungen sind die bodentiefen Fenster. Wir wollen möglichst viel Tageslicht reinlassen. Und wir lassen die Heizkörper weg. Die meisten Wohnungen haben eine Fußbodenheizung, so dass die Heizkörper nicht vorschreiben, wo man die Möbel hinstellen soll."

Russ Edwards, Designchef bei Pocket

Außerdem muss immer Platz für ein Doppelbett und für einen Schreibtisch sein. Einbauschränke sorgen dafür, dass der Raum optimal genutzt wird und unansehnliche Platzfresser wie Waschmaschinen unauffällig verstaut werden können.

"All diese kleinen Aspekte tragen dazu bei, dass die Wohnung größer wirkt. Das Tageslicht, die Sonne, die Deckenhöhe leicht über dem Normalmaß, die guten Proportionen, dass kein Platz verschwendet wird. Jeder vorhandene Raum wird optimal genutzt und sorgt für das Raumgefühl."

Russ Edwards, Designchef bei Pocket

Schutz für die Menschen des Viertels

Doch nicht jeder kann hier einziehen. Der Käufer darf nicht mehr als rund 100.000 Euro pro Jahr verdienen und muss schon in der Gegend wohnen oder arbeiten.

"Wir sind davon überzeugt, dass eine Stadt nur funktioniert, wenn Menschen auch dort leben können, wo sie arbeiten. In London ist das derzeit aber nicht gegeben, die Leute können sich das nicht mehr leisten. Wir helfen, diese Lücke zu schließen."

Russ Edwards, Designchef bei Pocket

Das Projekt wird von Stadtplanern und Stadtsoziologen mit Interesse verfolgt. Paul Watt erforscht den Londoner Immobilienmarkt seit mehr als 20 Jahren.

"Die Krise auf dem Immobilienmarkt besteht darin, dass viele der zum Verkauf stehenden Neubauten in London nicht für Eigenheimbesitzer gebaut wurden, vor allem nicht für Erstkäufer. Sondern für zahlungskräftige Vermieter. Wir haben hier also einen Immobilienmarkt, in dem Häuser vornehmlich als Investment gebaut werden und nicht für den Zweck, dass dort Menschen leben können."

Paul Watt, Birkbeck-Universität London

Hufeisensiedlung in Berlin

Schon vor rund 100 Jahren waren die Städte mit ähnlichen Problemen konfrontiert. In Deutschland entstanden in der Folge Projekte wie die Hufeisensiedlung in Berlin, die unter dem Eindruck von “Bauhaus” und “Neues Bauen” errichtet wurden. Mit ihrer Formsprache, dem funktionalen Design und ihrer Grünflächen waren sie konsequent auf die Bedürfnisse ihrer Bewohner zugeschnitten.

Profit und Sozialorientierung

In London ist Russ Edwards immer auf der Suche nach passenden Grundstücken für die "Pocket"-Wohnungen. Natürlich will die Firma damit Geld verdienen. Doch den sozialen Gedanken verlieren sie dabei nicht aus den Augen.

"Wir halten Ausschau nach unbeliebten Grundstücken, die übrig geblieben sind und sich oft in öffentlicher Hand befinden. Mit dem neuen Haus sorgen wir dafür, dass Gegend belebt wird. Dabei achten wir immer auf gutes Design und wollen so einen positiven Einfluss auf den Stadtteil ausüben."

Russ Edwards, Designchef bei Pocket

Zurück in der Wohnung von Georgie Lister-Fell. Ein weiteres Merkmal der Pocket-Wohnungen sind die Gemeinschaftsflächen, begrünte Höfe und Dachterrassen. Georgie Lister-Fell ist mittlerweile mit vielen ihrer Nachbarn befreundet. Doch für immer wird sie hier nicht wohnen bleiben können.

"Es macht mir ein bisschen Angst, dass ich in Zukunft an den Stadtrand ziehen muss, wenn ich eine Familie gründen will oder einfach mehr Platz brauche."

Georgie Lister-Fell

Bei Pocket denken sie natürlich auch an die Zukunft. Die ersten Familienapartments sind bereits in Planung.


2