Italien Hoffnung auf einen Job
Bei Busreisen denken viele an Urlaub. Die Fahrt mit diesem Bus aber, wird damit nichts zu tun haben. Bewerber auf eine feste Arbeitsanstellung machen sie auf den Weg in den Norden.
Salerno, südlich von Neapel – Mezzogiorno. Es ist 16 Uhr nachmittags. 27 Fahrgäste steigen ein. Wie Zehntausende zuvor schon machen sie sich auf eine sogenannte "Reise der Hoffnung". Sie wird durch fast ganz Italien nach Turin führen. Dort hat ein Krankenhaus fünf feste Stellen für Krankenpfleger ausgeschrieben. Insgesamt 5000 werden sich darum bewerben. Der Trip, der von ihnen liegt, er wird 30 beschwerliche Stunden dauern.
"Die Nachfrage nach den von uns angebotenen Reisen ist groß, obwohl unser Service nicht wirklich bequem ist. Unsere Kunden können mit uns ohne Umsteigen rechtzeitig zu ihren Auswahlverfahren gelangen, weil wir sofort danach zurückfahren, sparen sie sich die Übernachtungskosten!"
Raffaele di Sieno, Busunternehmer
Fahrtantritt in der Dämmerung: Ein Großteil der Reise quer durchs Land wird im Dunkeln stattfinden. Insgesamt 1500 Kilometer liegen vor ihnen – eine Nachtfahrt ohne Komfort. Doch am Zielort, beim Auswahltest, müssen sie in Höchstform sein. Die Fahrt hin und zurück kostet 70 Euro und das Risiko, dass das Geld am Ende hinausgeworfen ist, ist groß, Jeder weiß: Die Chancen stehen rechnerisch bei gerade Mal 1:1000.
"Wenn ich ankomme, werde ich sehr müde sein. Beim letzten Mal war ich entspannter, weil ich Bahn gefahren bin und übernachtet habe. Aber: Ich kann nicht jedes Mal 200 Euro ausgeben, nur um an einer Prüfung teilzunehmen!"
Fiorella Talo
Auf der Strecke werden immer wieder weitere Bewerber aufgenommen, so auch in Torre del Greco: hier stößt der 24-jährige Giuseppe Adinolfi zu uns. Auch er träumt von einer Festanstellung im Norden Italiens. Bereits 2006 hat er seinen Abschluss als Krankenpfleger gemacht. Derzeit fährt er freiberuflich in einem Ambulanzwagen, eine Tätigkeit, die ihn aber belastet. "Reisen der Hoffnung" wie diese, sie machen deutlich wie schwer, ja fast aussichtslos es ist, in Süditalien zu einem festen Job zu kommen.
"Arbeit mit einem festen Vertrag, das würde für mich bedeuten zu bekommen, was ich jetzt nicht habe: Zum Beispiel bezahlten Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – all die Rechte eben, die Arbeitnehmern eigentlich zustehen sollten!"
Giuseppe Adinolfi
Italien im Jahre 2018: Diese besondere Art von Tourismus ist inzwischen zum Alltag geworden. Sie alle haben nur einen Wunsch: Einen festen Job!
Turin am Morgen: 5000 Übernächtigte und Weitgereiste haben sich eingefunden. In einer angemieteten Turnhalle beginnt der Kampf um die gerade mal fünf ausgeschrieben Jobs. Innerhalb von wenigen Stunden müssen zwei Prüfungen absolviert werden. Im Süden Italiens ist fast jeder zweite Jugendliche arbeitslos. Das treibt viele aus dem Mezzogiorno hierher.
Die Testergebnisse für die zweite Prüfung werden die Bewerber erst in einigen Tagen erfahren. Wer nicht bereits in der ersten Prüfung ausgeschieden ist, wird deshalb seine Rückreise in Ungewissheit antreten müssen!
"Es war diesmal schwerer als sonst! Es gab zwei Prüfungen. Die erste habe ich nicht geschafft, die zweite habe ich dann gar nicht erst abgeschlossen!"
Giuseppe Adinolfi
16 Uhr am Nachmittag: Bis zu 800 Kilometer Rückreise liegen nun vor den Fahrgästen. Fast 30 Stunden wird diesmal ihr Kampf um einen festen Job gedauert haben. Und am Ende wird in den allermeisten Fällen alles vergeblich gewesen sein. Viele sehen deshalb nur noch den Ausweg, das Land zu verlassen.
"Viele meiner Kollegen gehen ins Ausland, um einen Job zu finden. Sie haben genug von all dem hier! Du verbrauchst viel Geld und Zeit und bist dauernd gestresst! Dabei willst Du doch eigentlich nur arbeiten!"
Antonella Jovine
200.000 Italiener sind allein im letzten Jahr ins Ausland gegangen. Antonella Jovine will das nicht. Ihr stellen sich die gleichen Fragen, wie ihren übermüdeten Mitreisenden: Soll man irgendwann aufgeben oder einfach weiter machen? Wird es irgendwann endlich in ihrer südlichen Heimat besser werden?
"Ich würde gerne sagen, dass ich so eine Fahrt nicht mehr machen werde! Aber vermutlich wird mir keine andere Wahl bleiben, als es immer wieder zu machen!"
Antonella Jovine
"Reisen der Hoffnung", die in Wahrheit auch Ausdruck von Verzweiflung sind. Wer sie erlebt versteht ein wenig das Ergebnis der Parlamentswahlen vom März diesen Jahres – den Massenprotest vieler Italiener, die Veränderung wollten, fast um jeden Preis…