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Italien Die Meerseiden-Spinnerin auf Sardinien

Es fühlt sich an wie am Ende der Welt, im Südwesten Sardiniens, auf Sant’Antioco. Sie lebt hier – eine einzigartige Frau mit einer einzigartigen Geschichte, die mit dieser Küste verbunden ist, wo ein ganz besonderes Tier zu finden ist.

Von: Ralph Gladitz

Stand: 09.09.2018 | Archiv

Eine Bucht auf Sant’Antioco | Bild: BR

"Diese schöne Frau heißt Pinna Nobilis. Sie lebt bis zu 25 Jahre und kann ein Meter zehn groß werden. Es ist die größte zweischalige Muschel des Mittelmeeres. Sie benötigt ganz besondere Lebensbedingungen: Wasser mit viel Sauerstoff, wenig Meereslärm, vier Prozent Salzgehalt und eine Temperatur zwischen 19 und 21 Grad. Sonst pflanzt sich dieses Tier nicht fort."

Chiara Vigo

Chiara Vigos ganzes Leben dreht sich um diese besondere Muschel. Keiner kennt sie so wie sie, keine hat eine solch innige Verbindung zu ihr.

Inzwischen hat Signora Vigo ihr eigenes kleines Museum aufgebaut, wo sie jedem, der kommen will, von dieser besonderen Steckmuschel erzählt – und von einem Jahrtausende alten Handwerk, das mit der Muschel verbunden ist und das solche Kunstwerke hervorbringt. Der Stoff dazu kommt aus dem Inneren der Pinna Nobilis.

"Die Pinna hat einen sehr großen Feind: den Tintenfisch. Wenn er die Muschel beim Sonnenuntergang offen findet, frisst er die Innereien mit seinen Fangarmen und baut sein Haus damit. Die Pinna schützt sich dagegen mit einer seidenartigen Drüse. Wenn der Tintenfisch angreift, hält sich die Pinna mit ihrer Spucke bereit und schließt ihre Öffnung. Im Morgengrauen wirft sie die Spucke raus. Sobald sie das Meereswasser berührt wird sie fest, und daraus wird dieses pure Gewebe – das Bisso."

Chiara Vigo

Chiara Vigo

Um 350 Gramm dieses groben Muschelgewebes zu erhalten, musste man rund hundertmal tauchen. Einen Monat lang wird es im Süßwasser entsalzt. Dann beginnt das Bürsten und Kämmen – bis sich endlich der Seidenfaden entspinnt. Für Signora Vigo ist das mehr als eine Arbeit, es ist ein Ritual, eine spirituelle Handlung. Die Fäden stickt und verwebt sie in Leinenstoffe, alles per Hand, ohne Vorlagen, nur der eigenen Intuition und Kreativität folgend. Chiara Vigo ist die letzte Meeresseidenspinnerin – weltweit, eine uralte Familientradition:

"Ich habe im Alter von vier Jahren angefangen zu spinnen und mit zwölf fing ich an zu weben. Meine Oma hat das Weben über 65 Jahre erlernt und ihre Oma vor ihr, und die Oma vor ihr und so weiter. In meiner Familie gibt es 28 Meister vor mir. Der Verarbeitungsprozess hat hebräischen Ursprung."

Chiara Vigo

Inzwischen sind ihre mit Meeresseide gewobenen und gestickten Werke in vielen Ausstellungen und Museen zu bewundern. Von Beginn an geht es Chiara Vigo dabei nicht nur um das Handwerk. Die Steckmuschel Pinna Nobilis ist für sie das Symbol im Kampf um die Erhaltung der Meere, der Natur:

"Das Erhalten dieses Tieres und des Materials ist das Wichtigste. Tagtäglich kämpfe ich darum, dass hier ein Meeresschutzgebiet ausgewiesen wird. Immer noch fischen viele mit Schleppnetzen, was den Muscheln, die auf dem Meeresboden stehen, schwer schadet."

Chiara Vigo

Auch um Sardinien gibt es immer weniger Fische, sterben die Pflanzen, weil das Mittelmeer überfischt und verschmutzt ist. Auch der Massentourismus trägt seinen Teil dazu bei. Chiara Vigo holt kein Muschelgewebe mehr aus dem Meer. Sie webt mit Muschelwolle, die ihre Großmütter hinterlassen hatten; die wenigen verbliebenen Pinna Nobilis sollen überleben können, die sie mit all ihrer Kraft beschützen will.

"Ich könnte ohne das Meer nicht leben. Mein Verhältnis zum Wasser ist Gebet. Und ich habe diese Beziehung ausgewählt. Ich habe mein Leben selbst gestaltet und es gefällt mir so, wie es ist. Und ich habe nicht vor mein Leben zu verändern."

Chiara Vigo


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Rainer Pauli, Mittwoch, 12.September 2018, 20:03 Uhr

1. Chiara Vigos Märchenstunde

Schade, dass nun auch der BR der genialen Selbstvermarkterin Chiara Vigo auf den Leim gegangen ist. Nahezu JEDE der selbstbeweihräuchernden Aussagen dieser Person ist einfach nur grober Unfug und eine Beleidigung für alle, die sich um den Erhalt dieser Webtradition in Sant'Anioco verdient gemacht haben - wie z.B.im vergangenen Jahhundert Italo Diana, nach dem der Platz vor dem Rathaus von Sant'Antioco benannt ist. Das soll jetzt keine unmässige Kritik am BR sein, schliesslich befindet er sich in guter Gesellschaft, denn nicht nur die BBC und andere namhafte Sender und Medien plappern Chiara Vigos Märchenerzählungen ungeprüft nach, sondern z.B. auch die sardische Schriftstellerin Michela Murgia.

Für einen seriösen Zugang zum Thema kann ich z.B. das Muschelseideprojekt von Felicitas Maeder empfehlen und dort speziell den Abriss der Geschichte der Byssusweberei auf Sardinien: http://www.muschelseide.ch/de/geschichte/20--Jahrhundert.html