Karibik Paradies in Trümmern
Wirbelstürme sind ein Wetterphänomen, mit dem sich die Bewohner der Trauminseln in der Karibik arrangieren müssen. Diese Saison war besonders heftig. Vor allem Hurrikan Irma, ein Sturm der höchsten Kategorie, hat schwere Verwüstungen hinterlassen.
Am 6. September 2017 zieht "Irma" über die nördlichen Antillen hinweg. Der schwerste Tropensturm, der jemals registriert wurde, erreicht Spitzen-Windgeschwindigkeiten von knapp 300 Kilometern pro Stunde. Saint-Martin wird dabei fast vollständig verwüstet, jedes zweite Gebäude beschädigt, mindestens 14 Menschen sterben.
"Das war eine ziemlich schmerzhafte Erfahrung. Ich war mit meiner Familie in unserer Wohnung. Eines der Zimmer ist buchstäblich explodiert."
Inès Noreskal, Lehrerin Collège du Mont des Accords
"Ich hatte Angst: Wir waren in einem kleinen Saal eingeschlossen."
Katreinka Yéponde, Schülerin Collège du Mont des Accords
"Ich war bei meinen Gästen im Hotel. Das war ein schwieriger Moment."
Patrice Seguin, Direktor le Beach Hotel
Saint-Martin knapp drei Monate später – die Wunden, die Irma geschlagen hat, sind immer noch zu sehen. Nur sehr langsam kehrt hier der Alltag wieder ein. Die meisten Haushalte haben aber immerhin inzwischen wieder Wasser und Strom.
Die Wirtschaft der kleinen Insel hängt fast vollständig vom Tourismus ab. Eigentlich wäre jetzt Hauptsaison, doch es sind fast keine Gäste hier, nicht einmal am Oriental Beach, dem einst schönsten Strand der Insel – vor Irma das Saint-Tropez der Karibik. Bis wieder Boote vom zerstörten Hafen in See stechen können, wird es noch viele Monate dauern. Auch das Beachhotel in Marigot, eines der besten am Platz, hat schwer unter Irma gelitten.
Hoteldirektor Patrice Seguin macht eine Bestandsaufnahme: Er schätzt, dass es mindestens zwei Jahre dauern wird, bis er den normalen Hotelbetrieb wieder aufnehmen kann. Die meisten Zimmer sind unbewohnbar, die wenigen verfügbaren von Wiederaufbauhelfern belegt. Das Beach-Hotel soll - schon wegen seiner einmaligen Lage - wiederauferstehen und sogar noch schöner werden als zuvor. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg:
"Wir sind nicht mehr in der Lage Touristen zu empfangen. Und übrigens haben eine ganze Reihe von Flug- und Reiseunternehmen Saint-Martin sofort aus dem Programm genommen. Wir können die Gäste nicht mehr angemessen unterbringen. Das heißt, dass sehr viele Menschen ihre Arbeit verloren haben. Für die Dauer von einem Jahr werden die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sehr gravierend sein."
Patrice Seguin, Direktor le Beach Hotel
Die Unterlagen sind inzwischen wieder trocken und Patrice Seguin hat sein Büro provisorisch in einem Hotelzimmer eingerichtet. Von seinen 25 Angestellten kann er momentan nur fünf beschäftigen.
Die Folgen von Irma spitzen die soziale Lage auf Saint-Martin weiter zu. Die Arbeitslosigkeit und die Zahl der Sozialhilfeempfänger lagen schon zuvor über dem französischen Durchschnitt. Und ausgerechnet in den Armenvierteln, wie hier in Sandy Ground, hat der Hurrikan besonders stark gewütet.
Auch viele Schulgebäude wurden schwer beschädigt. Zwei Monate konnte gar kein Unterricht stattfinden. Seit Anfang November wurde der Schulbetrieb zumindest provisorisch wieder aufgenommen. Doch es mangelt an Lehrkräften: viele Lehrer der Insel stammen vom französischen Mutterland und haben Saint Martin nach dem Hurrikan verlassen. Ein Teil von ihnen ist bis heute nicht zurückgekehrt. Mathematiklehrerin Inès Noreskal ist eine einheimische Lehrkraft. Sie konnte nirgendwohin fliehen. Ihre Wohnung wurde während des Wirbelsturms zerstört. Mit ihrer Familie hat sie bei Bekannten Zuflucht gefunden.
"Ich kann die Position meiner Kollegen verstehen, die sich dafür entschieden haben im französischen Mutterland oder woanders zu bleiben. Nach St. Martin zu kommen, um zu arbeiten, ist eine Sache. Aber wenn man kommt, dann braucht man eine Unterkunft. Und wenn es dafür keine Lösung gibt... Dass man irgendwo wohnen kann, ist das mindeste, um mit voller Kraft unterrichten zu können."
Inès Noreskal, Lehrerin, Collège du Mont des Accords
Bis zu den Sommerferien werden keine Noten vergeben. Die Schüler sind traumatisiert. Auf Saint-Martin spricht man schon von der "Generation Irma". Die Furcht, dass sich so etwas wiederholt, ist groß.
"Ich habe Angst. Nachdem, was bei uns passiert ist, mit Irma, habe ich nichts mehr."
Kévin Delaney, Schüler, Collège du Mont des Accords
"Ich habe große Angst. Und wenn so etwas noch einmal passiert, gehe ich weg."
Katreinka Jéponde, Schülerin, Collège du Mont des Accords
Eine Reihe von Restaurants in Marigot, dem Hauptort des französischen Teils, hat inzwischen wieder eröffnet. Die Menschen auf St. Martin haben sich an den Wiederaufbau gemacht und hoffen, dass die Touristen ihre "Insel des Lächelns" inzwischen nicht vergessen werden.