Kosovo Frauen ohne Rechte
Seit neun Jahren ist Agime eingesperrt hier, im Frauengefängnis von Pristina, wegen Mordes an ihrem Ehemann. Ihren wirklichen Namen dürfen wir nicht nennen. Ihre Ehe dauerte nur ein Jahr – ein Martyrium. Ihr Mann trank, immer wieder Schläge, einmal brach er ihr den Arm.
"Ich bin so oft zur Polizei gegangen. Einmal sogar mit einer Pistole, die mein Mann gekauft hatte, um mich umzubringen, wie er sagte. Ich fühlte mich bedroht, aber die Polizei hat nichts unternommen. Ich erinnere mich nicht an ihre Namen, aber an ihre Gesichter. Einer sagte mir: 'Wenn du meine Frau wärst, hättest Du erst gar keine Chance gehabt, hierher zu kommen, denn ich hätte Dich mit dieser Pistole getötet.' Wenn Dir ein Polizist so was sagt, dann kannst Du nichts mehr machen. Du willst nicht mehr leben und Du glaubst an nichts mehr."
Agime
Sie verlässt ihren Mann, aber er bedroht sie weiter. Sie hat Angst, steckt irgendwann ein Küchenmesser ein. Wenig später eskaliert der Streit in seinem Auto. Sie ist nur eingestiegen, weil ihr Bruder dabei ist. Der will vermitteln. Ihr Mann aber beleidigt sie und droht ihr wieder. Da sticht sie zu. Sie versucht erst gar nicht, zu fliehen.
12 Jahre Haft wegen Mordes, lautet das Urteil. Die Umstände, die zu der Tat geführt haben, zieht das Gericht kaum in Betracht. Dass niemand ihr geholfen hat – ein Jahr lang! – auch nicht.
"Das ist ein hartes Urteil! Zwölf Jahre, obwohl mir in meiner Ehe Gewalt angetan wurde. Es ist doch nicht das gleiche, ob Du bei der Polizei vergeblich Hilfe suchst und aus Notwehr handelst oder jemand vorsätzlich aus Eifersucht tötest. Offen gestanden: ich glaube nicht an Gerechtigkeit im Kosovo, absolut nicht!"
Agime
Agime kommt aus diesem Dorf, eine knappe Stunde von Pristina entfernt. Die Menschen hier halten an ihren Traditionen fest. Die Männer haben das Sagen. Viele hier erinnern sich noch an die Geschichte.
Agimes Bruder musste nach der Tat jahrelang den Kanun, das mittelalterliche Gesetz der Blutrache, fürchten. Vor ein paar Wochen hätte er wohl noch nicht mit uns gesprochen: zu gefährlich. Doch jetzt haben sich die Familien sich geeinigt – endlich. Und er erinnert sich:
"Wir waren am Boden zerstört. Das war etwas, das wir nicht erwartet haben! Keiner konnte sich das vorstellen! Wir wollten nicht, dass uns so was geschieht. Aber im Leben kann alles passieren!"
Agimes Bruder
Vor allem den Frauen im Kosovo, denn in dieser traditionellen Männergesellschaft werden sie noch allzu oft als Menschen zweiter Klasse behandelt und haben nicht die gleichen Rechte:
"Wir sind dafür, dass Frauen die gleiche Rechte bekommen. Aber die Frau soll wissen, dass sie mir gehört und niemandem anderen. Das muss klar sein."
Ein Mann
In der Verfassung des Kosovo steht, dass sich die Rechtsprechung an internationalen Menschenrechten orientieren muss. Doch weil der Kosovo auch zehn Jahre nach seiner Gründung immer noch nicht international anerkannt ist, ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg nicht zuständig für die misshandelten Frauen.
"Kosovo ist im Grunde so etwas wie ein schwarzes Loch im Balkan, denn es ist der einzige Staat Europas, in dem die Bürger den Europäischen Menschengerichtshof nicht anrufen können, wenn staatliche Organe sich der Verletzung von Menschenrechten schuldig machen."
Hilmi Jashari, Ombudsmann Kosovo
Hätte die Polizei ihr geholfen, wäre das Alles nie passiert, glaubt Agime. Neun Jahre hat sie abgesessen, ihre besten. Jetzt ist sie 30. Wenn sie hier rauskommt, will sie ins Ausland. Im Kosovo, sagt sie, hat sie keine Zukunft.
"Ich möchte ein glückliches Leben haben, wenn ich hier rauskomme, eine Familie wie jede andere Frau und Mutter werden, eine Mutter, die ihr Kind liebt."
Agime
Sie träumt davon, die schrecklichen Jahre hinter sich zu lassen.