Kroatien Unhaltbare Zustände in Tovarnik
Wenn es hier draußen zu heiß ist, dann bleiben die Rucksäcke und Reisetaschen der vielen Flüchtlinge immer unbeaufsichtigt: Es macht auch keinen Sinn, hier mit Gepäck anzustehen, auf den nächsten Zug oder Bus zu warten.
Kommt ja doch viel zu selten, denken viele hier, um aus Tovarnik weggefahren zu werden. Wie alle anderen will Ahmed auch nicht hier bleiben. Sondern nach Deutschland. Dort war er schon mal, als gewöhnlicher Tourist:
"Das ist meine Tasche. Aber wo meine Gruppe ist, weiß ich nicht."
Ahmed
Seine Freunde können sowieso nicht weit sein, denn die vielen Flüchtlinge sitzen alle hier fest, rund um den Bahnhofsplatz in Tovarnik. Sie wissen nicht, wie es für sie weitergeht.
"Das ist meine Gruppe."
Ahmed
Sie alle wollen nach Deutschland. Die Frau sagt zu uns sofort, dass sie nicht erkannt werden will, bittet unseren Kameramann, sie nicht von vorne zu filmen, weil sie Angst hat, vielleicht doch eines Tages abgeschoben zu werden nach Afghanistan, sollte sie in Deutschland nicht bleiben können:
"Deutschland akzeptiert nur die Menschen aus Syrien. Warum nur sie? Warum nicht auch aus anderen Ländern? Wie ich aus Afghanistan. Das ist falsch." Eine Frau
Mögliche Abschiebungen, soweit denken die meisten hier in Tovarnik noch gar nicht. Ihre größte Sorge jetzt: Wie komme ich bloß hier raus? Aus diesem Alltag, schon seit sechs Tagen, ohne ein Bett, ohne ein bisschen Privatsphäre. Selbst Haare waschen ist nur möglich dank der örtlichen Feuerwehr. Kroatien ist überfordert: Die Schließung der Grenzübergänge zum Nachbarland Serbien, von wo die Flüchtlinge ins Land kamen, brachte auch nichts, denn die Fliehenden steuern einfach die grüne Grenze an und kommen dann hierher an, in Tovarnik. Einige wurden schon weggefahren, konnten sogar Kroatien verlassen. Ob die vielen Verbliebenen irgendwann auch weg können aus Tovarnik? Genau weiß das niemand.
Besonders verzweifelt sind Eltern, wissen nicht, wie lange ihre Kinder das mitmachen. Denn meist sind sie ihretwegen geflohen, wollen ihre Kinder am liebsten in Deutschland aufwachsen sehen. Diese Hoffnung hat auch Enes Ramada. Er war Englischlehrer in Syrien, hatte Angst, seine kleine Tochter könnte entführt werden, wie es schon anderen Mädchen und Jungen in der Heimat passiert ist. Tausende Kilometer war er mit seiner Frau und seinen Töchtern unterwegs:
"Die Kinder sind sehr nervös. Wir sind unglaublich viel gelaufen. Jetzt sitzen wir aber hier fest, haben keinen Bus erwischt, schon seit Tagen. Ich verstehe nicht, warum uns niemand was sagt, hier in Kroatien."
Enes Ramada
Die vielen Väter und Mütter, er versteht sie sehr gut: Mohamed Karbouj ist Psychiater, ebenfalls aus Syrien:
"Das Schlimme für Kinder ist, wenn sie sehen, dass ihre Eltern Angst haben, wenn die Eltern weinen oder schreien müssen, sich durchbeißen müssen. Auch wenn die Kinder im Moment um uns herum spielen, fröhlich erscheinen, so glaube ich, wird all das für die Kinder viele Langzeitfolgen haben."
Mohamed Karbouj, Psychiater aus Syrien
Mohamed Karbouj weiß aber auch, dass besonders die Kleinen viel aushalten. Wichtig ist, sagt er: die Zeit zum Spielen, egal wo.
"Wir kennen das doch schon aus Syrien: Die Straßen bei uns sind überall schmutzig. Kinder spielen so im Dreck. Wissen Sie, mittlerweile kennen wir auch nur verschmutztes Wasser in Syrien, was getrunken wird." Mohamed Karbouj, Psychiater aus Syrien
Viele Eltern bringen ihre Kinder weg nach Europa noch aus einem anderen Grund: Denn in Syrien hätten die Kinder in die Hände der Terrormiliz des Islamischen Staats fallen können, gut möglich missbraucht etwa als Selbstmordattentäter. Der elfjährige Syrer Ahmed kennt auch die Terrormiliz IS, hatte Glück, nicht entführt zu werden. Doch sein Vater wurde von IS Leuten getötet. Wir treffen ihn mit seiner Mutter, während sie auf den nächsten Bus warten, der sie eigentlich aus Kroatien rausbringen soll, aber noch immer nicht da ist.
Sein T-Shirt bringt dann irgendwie vieles auf den Punkt. Noch in Syrien hat er es gekauft. Dann merken wir, Ahmed und seine Mutter verstehen gar nicht, was drauf steht. Ein Übersetzer erklärt es ihnen.
Bleiben in Tovarnik kann jedenfalls niemand von ihnen, denn die 3000-Seelen-Gemeinde kann sie nicht aufnehmen. Doch es werden mehr Menschen kommen – die grüne Grenze von Serbien nach Kroatien ist nur einen Kilometer weit weg.