Norwegen Rentiere in Gefahr?
Der Klimawandel bedroht auch Europa: in Norwegen steht die Rentierzucht vor großen Herausforderungen, denn die Tiere bekommen nicht mehr genug Futter.
Rentierzüchter Reiulf Alexandersen weiß nicht, wie oft er hier seine Herde noch zusammentreiben kann. Einige seiner Tiere haben noch keine Markierung. Das will der 38-jährige heute nachholen. Im Frühjahr wird er einen kleinen Schnitt ins Ohr machen, jetzt im Winter kennzeichnet er die Tiere nur provisorisch:
"Ich ritze einfach den Namen hier ins Fell: Alexandersen."
Reiulf Alexandersen, Rentierzüchter
In der Arktis vollzieht sich der Klimawandel schneller als irgendwo sonst auf der Erde. Seit ein paar Jahren macht Reiulf Alexandersen deshalb etwas, was Rentierzüchter hier nie getan haben: Er füttert seine frei in der Wildnis lebende Herde, um sie für den langen Winter an Trockenfutter zu gewöhnen:
"Wenn die Natur nicht dafür sorgt, dass die Tiere das ganze Jahr über Nahrung bekommen, dann müssen wir Futter auslegen, damit wir am Ende selbst davon leben können. Aber eigentlich ist das verrückt. Kraftfutter, damit wir Fleisch essen können. Das macht keinen Sinn. Aber wir haben keine andere Wahl."
Reiulf Alexandersen
Jahrtausende lang haben Rentiere hier in den Bergen genug zu fressen gefunden, denn sie können selbst unter meterdickem Schnee Flechten und Moose aufspüren.
So paradox es klingt: Der Klimawandel sorgt dafür, dass die Rentiere im Winter immer schwieriger an Nahrung kommen. Reiulf Alexandersen versucht, das Problem zu erklären:
"Hier kann man das sehen: hier sind wir direkt am Boden. Der Schnee ist ungewöhnlich nass und die Erde müsste eigentlich gefroren sein. Aber man kann hier einfach den Finger hineinstecken und ein Stück Erde herausholen. Das ist alles andere als normal."
Reiulf Alexandersen
Wenn es im Winters kälter wird, bildet sich aus dem nassen Schnee eine Eisschicht so hart wie Beton und verschließt den Boden – unmöglich für die Rentiere, da durchzukommen.
Und noch etwas bedroht die Tiere: Mitten in seinem Weidegebiet entsteht einer der größten Windparks Europas. Auch das macht Reiulf Alexandersen Sorgen.
Zuhause bei den Alexandersens: Mutter Risten stammt aus einer alten Sami-Familie. Der Alltag sieht bei ihnen aber so aus wie in vielen Familien in Norwegen: Sohn Ulf Isak verbringt die Zeit am liebsten vor der Spiele-Konsole. Gerade im Winter, wenn es kaum noch hell wird, sind die Alexandersens viel zu Hause. Die traditionelle Sami-Tracht wird nur zu besonderen Anlässen getragen. Aber bis heute dreht sich alles um die Rentiere:
"Ich bin es gewohnt, dass sich unser ganzes Leben danach ausrichtet, wo die Herde sich aufhält. Wenn sie zur Küste zieht, dann ziehen wir im Sommer hinterher. Wenn sie zum Winterlager gehen, dann tun auch wir das."
Risten Turi Alexandersen
Aber diese Lebensweise ist wegen des Windparks bedroht. Morgen trifft sich Reiulf deswegen mit einem Vertreter der Kommune und dem Windparkbetreiber.
Neben seinem Schneemobil nimmt Reiulf mittlerweile auch jedes Mal Futter mit, wenn er in die Berge fährt. Fast 50 Kilometer Wege und viele Fundamente für den Windpark sind schon fertig.
"Die Wege sind das eine, die Windräder aber vertreiben die Rentiere, die Vögel, überhaupt die Tiere. Ich kann keinen Sinn darin erkennen, etwas für die Umwelt zu tun, in dem man Natur zerstört. Welchen Sinn macht das?"
Reiulf Alexandersen
Von Freunden in Schweden weiß er: wo Windparks entstanden sind, verschwinden nach und nach die Rentiere. Reiulf kann den Park nicht mehr verhindern. Daran hat auch sein heutiges Treffen nichts geändert.
"Für uns in der Verwaltung geht es nun darum, dass wir jetzt, da es eine Konzession gibt und die Anlage gebaut wird, einen Weg finden, damit die Menschen hier Seite an Seite mit dieser Anlage leben können."
Øystein Ballari, Rentier-Beauftragter
Seine Rentiere Seite an Seite mit den Windrändern? Reiulf glaubt das nicht:
"So kann man doch keine Rentiere halten. Wenn die Rentiere nicht genug zu fressen haben, wenn man keinen Platz hat, sie zusammenzutreiben. Für mich gilt: Nur wenn es den Rentieren gut geht, dann geht es auch mir gut."
Reiulf Alexandersen
Noch hofft Reiulf, dass er seine Herde irgendwie retten kann, denn er ist überzeugt: Wer die Hoffnung verliert, der hat schon längst aufgegeben.