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Polen Richter im Visier

Lubaczów - eine Kleinstadt im Südosten Polens. Die Gegend nahe der ukrainischen Grenze ist eine Hochburg der rechtsnationalen Regierungspartei PIS. In der armen Region kommen die Sozialmaßnahmen der Regierung, zum Beispiel die Einführung eines großzügigen Kindergeldes, gut an.

Von: Manuela Roppert

Stand: 12.11.2017 | Archiv

Artur Broš verlässt Gerichtsgebäude | Bild: BR

Lubaczów - eine Kleinstadt im Südosten Polens. Die Gegend nahe der ukrainischen Grenze ist eine Hochburg der rechtsnationalen Regierungspartei PIS. In der armen Region kommen die Sozialmaßnahmen der Regierung, zum Beispiel die Einführung eines großzügigen Kindergeldes, gut an.

Artur Broš

Artur Broš ist Richter in Lubaczów. Und noch vor einigen Wochen war er Präsident des örtlichen Amtsgerichts, bis ihn der polnische Justizminister aus dieser Funktion abberief. Seit Mitte August die umstrittene Justizreform zumindest teilweise in Kraft getreten ist, hat er dazu die Macht:

"Ich denke, ich habe meine Pflichten immer erfüllt. Es ist ein seltsames Gefühl, denn die Gründe für meine Absetzung kenne ich nicht. Ich kann sie nur erahnen."

Artur Broš

Der Minister muss seine Entscheidung nicht rechtfertigen. Über die Motive kann man nur spekulieren. Der Nachfolgerin von Broš werden gute Verbindungen ins Justizministerium nachgesagt.

"Ich war sehr überrascht von der Abberufung. Und ich denke, dass das eine rein politische Entscheidung war."

Artur Broš

So wie Artur Broš mussten auch schon einige andere Vorsitzende von ordentlichen Gerichten in Polen ihren Posten räumen. Kritiker sehen das als Versuch der jetzigen Regierung, die Rechtsprechung unter ihre Kontrolle zu bringen.

Zbigniew Ziobro

Während des Kommunismus war Broš noch kein Richter. Er hatte gerade erst Abitur gemacht, als die Wende in Polen kam. Die Regierung in Warschau aber begründet die Notwendigkeit der Justizreform unter anderem damit, dass ein beachtlicher Teil der heutigen Richterschaft in Polen mit dem kommunistischen System kooperiert hätte:

"Viele dieser Richter wurden nicht zur Verantwortung gezogen, wurden nicht konkret sanktioniert. Und die polnische Regierung hat bisher jede Möglichkeit blockiert, diese Richter zur Verantwortung zu ziehen."

Zbigniew Ziobro, Polnischer Justizminister

Polen hat einen heißen Sommer hinter sich. Tausende haben gegen die Justizreform demonstriert, deren Ziel es offenbar ist, die Richterposten im Land neu zu besetzen. Ursprünglich hatte die Regierung sogar geplant, dass der Justizminister auch die Richter des Obersten Gerichts abberufen kann. Und über die Zusammensetzung des Landesrichterrates sollte künftig das Parlament entscheiden statt wie bisher die Richterselbstverwaltung. Doch gegen diese beiden Gesetzentwürfe hat der polnische Präsident Duda überraschend sein Veto eingelegt. Später hat Duda selbst Reformvorschläge gemacht. Aber auch sie würden, so Kritiker, die Gewaltenteilung unterlaufen. Denn nun wäre es der Präsident, also er selbst, der bei der Abberufung und der Ernennung der Richter das letze Wort hätte.

Der Landesrichterrat soll über die Unabhängigkeit der polnischen Justiz wachen. Sein Sprecher Waldemar Żurek ist in diesen Tagen ein gefragter Mann. Immer wieder kritisiert er in der Öffentlichkeit die geplante Justizreform und macht sich damit nicht gerade beliebt. Häufig, so berichtet er, erhält er Drohanrufe, hat Angst um seine Familie:

"Es wird nicht mehr wichtig sein, ob jemand ein guter Richter ist, ob er sich gut auskennt, ob seine Karriere makellos ist, ob seine Moral einwandfrei ist. Wenn er der Politik gegenüber Widerstand leistet, dann muss er eben weg! Das, was jetzt gerade in Polen passiert, ist wirklich dramatisch. Vor unseren Augen wird die Gewaltenteilung abgeschafft. Das ist ein Anschlag auf den Rechtsstaat."

Waldemar Żurek, Sprecher Landesjustizrat

Ewa Rutkowska

Nach der Verabschiedung der Gesetzentwürfe im polnischen Parlament hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land eingeleitet. Bislang zeigt man sich davon in Warschau unbeeindruckt. Eine Gruppe von polnischen Juristen will aber die Gewaltenteilung nicht einfach kampflos aufgeben. Ehrenamtlich leistet sie Aufklärungsarbeit an polnischen Schulen, so wie Ewa Rutkowska in der achten Klasse eines Warschauer Gymnasiums. Die Zeit nach dem Kommunismus war offenbar zu kurz, um den Gedanken der Gewaltenteilung als unverzichtbarer Bestandteil eines demokratischen Rechtsstaates im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern.

"Wir sind eine junge Demokratie, die nur wenig älter als 25 Jahre alt ist. Das Entwickeln einer demokratischen Haltung ist für uns absolut wichtig und von größter Bedeutung."

Ewa Rutkowska, Anwältin

Die Unabhängigkeit der polnischen Justiz ist in großer Gefahr. Der Rückhalt in der Bevölkerung für die Regierung in Warschau ist nach wie vor groß. Jüngsten Umfragen zufolge käme die PIS-Partei auf 40 Prozent - genauso viel wie die vier Oppositionsparteien zusammen.


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