Mazedonien Die "verkehrte Welt" von Gevgelija
Mazedonien in den vergangenen Tagen - der Zaun, mit dem das Land die Grenze zu Griechenland hin schützt, wird weiter ausgebaut. Alle Vorkehrungen für eine komplette Schließung sind getroffen.
Nur noch wenige Menschen passieren inzwischen den Grenzübergang bei Gevgelija. Doch auch, wenn sich ihre Zahl drastisch verringert hat, ihre Verzweiflung ist die gleiche geblieben.
"Ich bin mit meiner Familie unterwegs. Wir haben uns gesagt: 'Entweder wir ertrinken zusammen oder wir schaffen es zusammen: meine Schwester, mein Vater, meine Mutter.'"
Mohammed, Flüchtling
Nur mit dem nackten Leben sind viele dieser Menschen davon gekommen.
So mag es für Flüchtlinge, die es bis hierher geschafft haben, in der Tat schon paradox anmuten, was sie da, nicht weit vom Grenzzaun entfernt, sehen: Glamour, Spiel und Zeitvertreib – Casinos sind der bedeutendste Wirtschaftszweig Gevgelias. Angegliedert sind Luxushotels – Rundumversorgung für eine, hauptsächlich aus Griechenland und der Türkei stammende Kundschaft. Diskretion – die Basis des Geschäfts. Deshalb will weder von Leitung noch vom Personal jemand vor der Kamera reden. Für die Jugend Gevgelijas sind die Casinos der mit Abstand lukrativsten Arbeitgeber.
Am Vormittag hingegen verwandelt sich das "Las Vegas des Balkan" in das, was es ist: eine beschauliche Kleinstadt: Die Bauern aus der Umgebung kommen auf den Markt und bieten ihre Waren an. Der Glamour der Nacht hat mit dieser Welt hier nichts zu tun. Und auch das Flüchtlingsdrama an der Grenze scheint weit entfernt.
"Hier auf dem Markt hat sich nichts geändert durch die Flüchtlingskrise. Ich verkaufe die Äpfel sogar billiger als noch vor einem Jahr."
Nicola Saveski, Bauer
Der Stadtkern besteht aus einer einzigen Straße mit einem kleinen Schmuckstück: und das ist die Parfümerie. Es ist die einzige in der ganzen Gegend, dafür hat sie alles, was das Frauenherz begehrt: Gucci, Armani, Chanel. Nur Originale natürlich!
Während die Damen von Gevgelija die neuesten Dufttrends ausprobieren, sucht nur wenige Kilometer weiter eine Grenzpatrouille die Gegend um die Stadt nach illegal eingewanderten ab. Polizisten aus sechs Ländern unterstützen die Mazedonier bei der Sicherung der Grenzen. Sie kommen aus Tschechien, Ungarn, Serbien, Slowenien, Kroatien und der Slowakei.
Die strengeren Kontrollen zeigen Wirkung: Dieser Mann aus Pakistan ist einer der wenigen, die hier noch auf eigene Faust unterwegs sind – vergeblich: "Ich werde versuchen, zurück nach Pakistan zu gehen", sagt der Mann. Die Polizisten bringen ihn zurück zur Grenze.
Widerstandslos lässt er sich von den Beamten zum Flüchtlingsdurchgang führen, wo er nach Griechenland abgeschoben wird. Dass er in Kürze wieder versuchen wird, illegal ins Land zu kommen, ist mehr als wahrscheinlich.
Im Flüchtlingslager der UNHCR warten inzwischen diejenigen, die als "legale Flüchtlinge" durchgelassen wurden auf die Weiterfahrt: Die Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan werden direkt aus ihren Unterkünften zum Zug gebracht. Der Ablauf funktioniert inzwischen reibungslos. Zwei bis drei Züge mit jeweils 600 Menschen fahren pro Tag hier los zur serbischen Grenze.
In der Stadt steht hingegen alles still. Die Taxifahrer streiken. Anfangs waren sie die Gewinner der Krise: für 25 Euro pro Person brachten sie die Menschen an die serbische Grenze – ein lukratives Geschäft, das die Bahn nun komplett für sich beansprucht.
"Die Bahn kann auch fahren. Wir wollen die Bahn nicht stupieren. Die Bahn darf auch fahren, wenn 3000 Leute kommen. Eine Hälfte kann man uns geben und dem Bus, zum Fahren diese Leute."
George Vego, Taxifahrer
Nur wenige Straßen entfernt treffen wir wieder auf Gewinner der Grenzlage Gevgelijas: Eine Zahnklinik reiht sich an die andere, die Ausstattungen sind hoch modern und die Behandlungszimmer voll. Den wahren Kundenstrom haben die mazedonischen Ärzte der griechischen Finanzkrise zu verdanken. Um die 80 Zahnarztpraxen und Kliniken gibt es in Gevgelija. Alleine in dieser hier arbeiten 20 Ärzte.
"In Griechenland kostet das Leben drei- bis viermal mehr als in Mezedonien. Dementsprechend ist unser Service auch drei bis viermal billiger als in Griechenland. Und für Deutsche sind die Behandlungen hier noch günstiger, denn in Deutschland kosten Zahnbehandlungen drei mal mehr als in Griechenland."
Dr. Stevo Pophristov, Zahnchirurg