Grönland Arztbesuch per Internet
Aappillatoq im äußersten Norden von Grönland, gut 700 Kilometer nördlich des Polarkreises. Die meisten Menschen hier leben wie eh und je vom Fischfang und von der Jagd.
Es ist eine einsame Gegend. Nicht einmal 200 Einwohner zählt das kleine Dorf und einer von ihnen ist Joulut. Seit einiger Zeit klagt Joulut über gerötete Augen und gereizte Atemwege. Außerdem hat er Beschwerden mit der Nase und den Ohren. Da es in seinem Dorf keinen Arzt gibt, macht er sich auf den Weg zu einer kleinen Krankenstation, die mit Hilfe der dänischen Regierung hier eingerichtet wurde. Behandelt wird er dort zwar nicht, aber seit ein paar Jahren gibt es hier: Pipaluk, ein kleines computergesteuertes Diagnosegerät, entwickelt für Siedlungen abseits der Zivilisation. Mina, eigentlich die Frau eines Fischers, hat eine Kurzeinweisung an dem Gerät bekommen. Schon wenige Minuten nach der Untersuchung übermittelt sie Bilder und Daten nach Upernavik – dort befindet sich das nächstgelegene Krankenhaus.
Greenland Air im Landeanflug auf Upernavik: An Bord ist der schwedische Arzt Göran Kolmodin. Weil es in Grönland zu wenig einheimische Ärzte gibt, hilft er aus. Vor vier Jahren war er schon einmal hier und hat im Krankenhaus von Upernavik drei Monate lang gearbeitet.
Görans neuer Arbeitsplatz unterscheidet sich erheblich von dem, was er von zu Hause kennt, aber deswegen ist er hier. Es ist die Abwechslung zum normalen Arbeitsalltag im gut organisierten Schweden, erzählt uns der Allgemeinmediziner. Draußen auf dem Flur warten die ersten Patienten und eigentlich wollte sich Göran sofort in die Arbeit stürzen, aber daran ist im Moment noch nicht zu denken.
"Das ist hier im Moment noch ein ganz schönes Durcheinander."
Göran Kolmodin
Am Computer kann er noch nicht arbeiten, weil er kein Passwort hat. Es fehlen Bücher und Unterlagen - typisch erster Arbeitstag.
"Das ist gar nicht so einfach, hier etwas zu finden. Es kommen jeden Monat neue Ärzte und keiner räumt auf, wenn er wieder geht. Das ist etwas, was man hier in Upernavik lernen muss, zu warten. Immer alles easy und bloß keine Hektik."
Göran Kolmodin
Upernavik liegt auf einer vorgelagerten Insel. Alle Häuser sind aus Holz, auch das muss importiert werden, weil hier kein einziger Baum wächst. Hier fahren gut 50 Autos, obwohl die längste Straße nur drei Kilometer lang ist. Zu den Häusern gibt es nur Strom, aber keine Wasserleitungen, weil die im Winter einfrieren würden. Und menschliche Hinterlassenschaften werden im Plastikbeutel an die Straße gestellt und dort vom Toilettenwagen abgeholt.
Dänemark unterstützt Grönland mit viel Geld. Trotzdem ist das Leben hier karg.
Weil es zwischen den Orten keine Straßen gibt, müssen alle Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden wollen, über das Meer anreisen, oft mehrere hundert Kilometer im offenen Boot. Um solche gefährlichen Anfahrten zu vermeiden, wurde Pipaluk eingeführt. Die meisten Ärzte erachten das System als großen Fortschritt, das die Situation der Patienten erheblich verbessert.
"Wenn ich genug Daten vom Pipaluk bekomme, kann ich eine Behandlung vorschlagen. Ich kann Infektionen erkennen oder Herzprobleme. Auch ein EKG, Blutdruck und Puls geben mir wichtige Informationen. Natürlich ist es immer besser, den Patienten zu sehen, aber die Distanzen sind einfach zu lang und deshalb ist Telemedizin eine gute Methode, um hier zu arbeiten."
Göran Kolmodin
Vier Mal im Jahr besuchen die Ärzte aus Upernavik die weiter entfernten Orte entlang der Küste, die kein Krankenhaus haben. Das heutige Ziel heißt Aappillattoq. Mit von der Partie der Übersetzer Pele Mörk. Was mit dem Boot eine halbe Ewigkeit dauert, ist mit dem Hubschrauber schnell erledigt. Außerdem ist es immer ein kleines Abenteuer für sich, erzählt Göran auf dem Flug.
Medizinisches Gerät, Medikamente und Impfstoff - der Besuch der Siedlungen gleicht jedes Mal einer kleinen Expedition. Am Heliport wird Göran bereits erwartet: Mina, die Frau von der Krankenstation hilft beim Kistenschleppen. Es gibt nur 50 Häuser in Appillattoq und kein Hotel.
"Das dürfte das geringste Problem sein. Irgendwo werden wir schon unterkommen. Ich weiß bloß noch nicht wo. Die Leute leben hier offensichtlich viel einsamer als in Upernavik. Upernavik ist für sie wahrscheinlich wie New York."
Göran Kolmodin
Wie alle grönländischen Orte kann auch Appillattoq nur aus der Luft oder mit dem Boot erreicht werden. Die gesamte Versorgung erfolgt über das Meer. Alle zehn Tage kommt ein Schiff aus Dänemark mit allem, was man zum Leben und Überleben braucht. Im Winter, zwischen Dezember und Mai liegt der Nachschub auf Eis.
Die kleine Krankenstation ist mitten im Ort. Weil der Arzt nur vier Mal im Jahr kommt, ist das Wartezimmer nach kurzer Zeit voll: Viele haben Muskel- und Knochenprobleme, leiden unter Verbrennungen und Arthrosen. Auch Sorgen und Depressionen treten häufig auf. Die meisten Erkrankungen werden durch ein hartes Leben abseits der Zivilisation verursacht. Elisabeth ist die Erste: Seit einiger Zeit hat sie im Bereich des Oberkörpers einen Hautausschlag. Außerdem gibt’s Probleme mit dem Hals und der Atmung. Elisabeth berichtet von ihren Leiden in Kallaalisut, einem grönländischen Dialekt. Pele Mörk übersetzt ins Dänische und der schwedische Arzt muss sich seinen Reim darauf machen.
"Es ist zuweilen schwierig, weil drei verschiedene Sprachen zum Einsatz kommen. Ich bekomme nie richtig mit, was Pele übersetzt und was sie wirklich sagt. Ihre Antworten sind gefiltert und deswegen gibt es auch viele Missverständnisse."
Göran Kolmodin
Für den Nachmittag sind mehrere Impfungen von Kleinkindern angesetzt. Den Impfstoff hat Göran aus Upernavik mitgebracht. Als nächster ist Joulut an der Reihe. Der Mann, dessen Daten per Pipaluk nach Upernavik übermittelt wurden: Sein Augen-, Ohren- und Nasenleiden wird von Göran als Katzenhaarallergie diagnostiziert. Joulut ist erleichtert.
Aber - es läuft nicht immer reibungslos. Bei Görans letzter Visite gab es Komplikationen: Eine schwere Schulterverletzung, eine akute Blinddarmentzündung und eine Schwangerschaftsvergiftung mit anschließender Geburt, das Ganze unter dramatischen Umständen.
"Es ist nie garantiert, dass die Leute im Notfall ausgeflogen werden. Ich habe meinen Übersetzer gefragt und der hat geantwortet, dass die Menschen sich das ja selbst ausgesucht haben, also müssen sie auch mit den Konsequenzen leben kommen."
Göran Kolmodin
Abschied aus Aappillattoq. Der Hubschrauber hat an diesen Tag einen anderen Einsatz. Göran Kolmodin und Pele Mörk müssen auf dem Wasserweg zurück nach Upernavik.
"Jetzt müssen sie wieder drei Monate warten, bis der nächste Arzt kommt, mindestens – es kann auch sechs Monate dauern."
Göran Kolmodin
Auch im nächsten Jahr will Göran Kolmodin wieder zurück nach Grönland, zurück in die Natur und zu den Menschen, die ihn dringend brauchen und die er in sein Herz geschlossen hat.