Europa-Reportage vom 24.9.2017 Deutsche Auswanderer in Alanya - Lebensabend unter Palmen
Leben, wo andere Urlaub machen. Diese Idee kommt wohl bei so manchem irgendwann einmal im Leben auf. Und der eine oder andere erfüllt sich diese dann im Ruhestand. Bislang war Alanya einer dieser Traumorte.
Die Entscheidung an der Türkischen Riviera zu leben und zu arbeiten, traf der heute 64-jährige Mathias als Endvierziger. Mit einer Villa und Blick auf Alanya haben sich Mathias und seine Ehefrau Inès ihren Lebenstraum erfüllt. Die Entscheidung war wohlüberlegt. Zuvor hatte der studierte Betriebswirt fünf Jahre in Istanbul eine Kosmetikfirma aufgebaut. Danach sollte das Leben weniger hektisch, dafür mit Hunden, viel Natur und Sonne sein. Um so leben zu können, mussten Inès und Mathias – im wahrsten Sinne des Wortes – einige Steine aus dem Weg räumen.
"Wir hatten hier unsere ersten Würzelchen, weil wir hier ja schon ein paarmal Urlaub gemacht haben und haben uns deshalb für Alanya entschieden. Hier war also Niemandsland. Es war völlig unbebaut. Wir haben uns unseren eigenen Strom geholt, unser eigenes Wasser. Wir haben zwei Jahre lang hier verbracht nur mit dem Bau. Und der damalige Bürgermeister hat uns gratuliert und gesagt, ihr habt was Gutes getan für Alanya. Und dann setzte ein Trend ein, dass überall Villen gebaut wurden. Wir haben es genau richtig gemacht, es war genau die richtige Zeit. Wenn ich nochmals entscheiden würde, ich würde wohl noch eher ausreisen – früher."
Mathias Goldstein
Mathias Goldstein hat sich in jeder Hinsicht auf seine neue Heimat Türkei eingestellt. So sattelte der Handelsvertreter und Schulungsleiter für Versicherungen aus Berlin beruflich um: Alles rund ums Haus samt kleinerer Handwerksleistungen hat der Allrounder in seinem Angebot.
Deutsche in Alanya
Seit den 1980er Jahren kommen die Deutschen hierher. Auch wenn die Türkei aufgrund der politischen Situation als Urlaubsparadies an Charme eingebüßt hat, bei den Dauerresidenten hat sich an den Lebensumständen bislang nichts geändert. Für Auswanderer wie die Goldsteins bietet Alanya viele Vorteile gegenüber Deutschland, niedrigere Lebenshaltungskosten, mehr als die Hälfte des Jahres Sonne und Urlaubsfeeling.
Spätestens seit dem Putschversuch im Juli 2016 bleibt so manche Liege leer. Mehr als 700 Hotels buhlen um vor allem deutsche Gäste, aber auch Russen und Skandinavier. Mehrere tausend deutsche Winter- und Dauerresidenten leben im rund 290.000 Einwohner zählenden Landkreis Alanya.
Das Jahr 2008 war mit geschätzten 6000 Deutschen Residenten bislang der Höhepunkt. Allerdings gibt es keine offiziellen Zahlen. Für den einen sind die Lebensumstände das schlagende Argument, für die anderen die Liebe: Martina kam der Liebe wegen, seit 15 Jahren ist sie mit einem Einheimischen verheiratet und hat zwei Kinder. Und welche Argumente brachten Martina dazu, Deutschland den Rücken zu kehren, um in Alanya eine Familie mit ihrem türkischen Mann Necati zu gründen?
Familie und soziale Kontrolle
"Eigentlich waren es eher seine Freunde, die uns verkuppelt haben. Das hat zwei Jahre gedauert, dass ich überhaupt bereit war, eine Beziehung anzufangen und dann sind wir von 1997 bis 2001 gependelt. Also ich habe immer meinen kompletten Urlaub hier verbracht und er war immer drei Monate im Winter in Deutschland."
Martina
Für beide gilt der landläufige Spruch "Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde." So oft es geht, verbringt das Ehepaar hier im Stall seine Freizeit.
"Aber ich muss auch sagen, die Familie, vor allem sein Vater, hat immer hinter mir gestanden, von Anfang an. Und deshalb ist mir vieles hier leichter, das und jenes nicht, gefallen. Hier ist nun mal, sage ich, viel soziale Kontrolle. Das man eben guckt, was macht der oder was macht der und was macht deine Schwiegertochter. Und wenn dann die Eltern nicht dahinter stehen oder die Familie nicht dahinter stehen, dann wird das ganz schwierig."
Martina
Die Deutsche Journalistin und ihr 48 Jahre alter türkischer Mann, der eine Autovermietung betreibt, haben alle warnenden Stimmen eines besseren belehrt: "Ja, wir passen zusammen." Martina und Necati sind auf einer Wellenlänge: seit 15 Jahren glücklich verheiratet. Sie haben einen 14-jährigen Sohn und eine zwölfjährige Tochter.
Rückkehr nach Deutschland
Es geht zum Besichtigungstermin bei dem Rentnerehepaar Elfriede und Arnold Bauer. Das Häuschen mit Pool liegt in einer Siedlung, die vor 20 Jahren mit Fokus auf deutsche Käufer gebaut wurde: Auswanderer auf Dauer oder auf Zeit, wie das Rentnerpaar Bauer, das nach 17 Jahren wieder nach Deutschland zurückkehren möchte.
"Mittlerweile sind viele Deutsche weggegangen. Das hat aber Altersgründe, wir gehen auch mal weg. Die Nachfolger sind in der Regel deutsch-türkisch, türkisch-deutsch."
Arnold Bauer
1998 kauften sich der ostdeutsche Agraringenieur und seine Frau das Häuschen für 120.000 Mark und steckten noch Zigtausende zur Verbesserung des sehr einfachen Standards hinein.
"Wir haben gesagt, solange wir noch gesund sind, müssen wir uns in Deutschland wieder eine Wohnung einrichten. Wenn dann einer mal nicht mehr kann, einer alleine schafft es nicht. Wir können ja trotzdem noch hin und her – solange wie es geht."
Elfriede Bauer
Neuanfang in Alanya
In der deutschen Community ist so manch Kurioses und tierisches geboten. Wer danach sucht, ist – auch da – bei Mathias an der richtigen Adresse: Leute bekanntzumachen und zu vernetzen, für ihn selbstverständlich. Auf dem Programm für die Gäste steht eine Flugschau der Falken, vorgeführt von Tierliebhaber und Hobby-Falkner Karl-Heinz, gebürtig aus Düsseldorf. Auch bei Angie und ihrem Ehemann Karl-Heinz hieß es vor fünf Jahren: Tapetenwechsel und Neuanfang in der Türkei. Als Rentner die süße Seite des Lebens genießen.
"Wir haben alles verbrieft und schriftlich gemacht und sprich, neu geheiratet und sind dann als neues Ehepaar, als frisches Ehepaar hier runter gedüst. Das ist also der Werdegang gewesen."
Karl-Heinz Bonhage
Sonntagseinladung bei der ökumenischen Kirchengemeinde St. Nikolaus, hier in der Türkei als Verein eingetragen. Zum wöchentlichen Gottesdienst und anschließendem gemütlichem Beisammensein kommen regelmäßig rund 60 der Mitglieder. Die gemeinsamen Werte und den christlichen Glauben zu pflegen – für die deutschen Auswanderer vermittelt das Halt und Zusammengehörigkeitsgefühl.
Die 70-jährige Ursula Greune koordiniert den Gießdienst der Freiwilligen auf dem Friedhof in Alanya. An die 90 Gräber deutscher Auswanderer gibt es hier. Vor 20 Jahren wurde das erste deutsche Grab angelegt. Und auch von offizieller kirchlicher Seite wird dieser Friedhof als freundschaftliche Geste der Stadt gesehen, wie uns Aushilfspfarrer Karl-Heinz Pastoors erzählt.
Für Elfriede und Arnold Bauer dagegen war von Anfang an klar: Sie lieben die Türkei, das Land mit seiner jahrtausendealten Geschichte und Kultur. Doch in türkischer Erde wollen sie nicht begraben werden, sondern in Deutschland.
Wenn Inès Goldstein mit dem Bus anrollt, dann sieht das ein wenig nach Band-Auftritt aus, ist aber nicht mehr und nicht weniger als eine Probe ihres Chors, der sich aus Auswanderern aus Deutschland, England und einer russischen Chorleiterin zusammensetzt. Neben dem Spaß an der Freude verfolgen die Mitglieder mit ihren Auftritten auch soziale und gesellschaftliche Absichten. So ist die Gesangstruppe unter anderem gern gesehener Gast in Altenheimen oder Krankenhäusern. Ab und an findet das Einstudieren der Lieder durchaus auch mal vor spektakulärem Panorama statt. Die Bucht von Alanya scheint das Singen zu erleichtern…