Rumänien Rechtsstaat in Gefahr
Er gehört zu denen, die nicht mehr schweigen wollen: Dragos Calin, Richter am Berufungsgericht in Bukarest. Ihn empört, wie die rumänische Regierung das Justizsystem in ihrem Sinne umbaut.
"Diese Änderungen werfen unser Gerichtssystem praktisch mehr als zehn Jahre zurück, in einen Zustand wie vor dem Beitritt zur Europäischen Union und das führt nun eben zu den massiven Protesten."
Dragos Calin, Richter am Berufungsgericht
Immer wieder versammelten sich Richter und Staatsanwälte, um gegen die Reform zu demonstrieren, die sie politisch motiviert sehen. Dragos Calin und seine Kollegen bemängeln vor allem die Rückschritte bei der Korruptionsbekämpfung: Die Justiz würde daran gehindert, korrupte Politiker zu verurteilen; kritische Richter und Staatsanwälte würden einfach entlassen.
Alles nur, weil ein mächtiger Mann mit einem Fuß im Gefängnis steht? Liviu Dragnea, Vorsitzender der regierenden Sozialdemokraten. Einmal wurde er bereits verurteilt, wegen Wahlfälschung; nun droht ihm eine Haftstrafe wegen Veruntreuung von Staatsgeldern. Regierungsämter darf er wegen der Verurteilung nicht bekleiden. Aber er gilt als der starke Mann Rumäniens.
Mehrere hohe Staatsanwälte wurden unter Druck gesetzt, die erfolgreiche Chefin der Korruptionsstaatsanwaltschaft Laura Kovesi entlassen. Ihre Behörde ermittelte ungeachtet der Person gegen Politiker und Beamte: Verhaftet wurden zum Beispiel der frühere Finanzminister Walkov oder die ehemalige Ministerin für Regionale Entwicklung und Tourismus Udrea und der für seinen extravaganten Lebensstiel bekannte Bürgermeister von Konstanza, Radu Masere.
Die Einflussnahme Dragneas auf Regierung und Justiz geht inzwischen so weit, dass sogar Rumäniens Präsident Johannis öffentlich Besorgnis wegen der EU-Ratspräsidentschaft anmeldet:
"Es ist offensichtlich, dass die Regierung von einem Straftäter gesteuert wird. Dragnea führt sie mit Hilfe von Mittelsmännern. Das sind Fakten, die wir alle kennen."
Klaus Johannis, Präsident
Vize-Parlamentspräsident Florin Iordache, ein Weggefährte von Parteichef Dragnea, zeigte nach einer Schmährede gegen die EU sogar beide Mittelfinger:
"Es ist nicht normal, dass Rumänien von Experten aus Brüssel einfach verurteilt wird, die ohne die nötige Kenntnis ein ganzes Parlament schuldig sprechen. Es ist das gute Recht der rumänischen Parlamentarier, über Gesetze selbst zu entscheiden."
Vizepräsident Florin Iordache
Auch die Regierungschefin Viorika Danchila, eine enge Vertraute des Parteichefs, bezeichnet im ARD-Interview die Kritik an der Justizreform und den damit verbundenen Rückschritten bei der Korruptionsbekämpfung als unberechtigt:
"In Rumänien hat es bisher eine Überschneidung zwischen der Justiz und den Geheimdiensten gegeben, was eine sehr große Welle der Unzufriedenheit erzeugte. Es ist also gerechtfertigt, etwas zu ändern, denn in keinem andern europäischen Land gibt es so etwas."
Viorika Danchila, Regierungschefin
Ihr Land sei gut auf den EU-Vorsitz vorbereitet und könne als Vorbild für andere dienen.
Eine Sichtweise, die bei Rumänen wie Eugen Petala auf besonderen Unmut stößt: Er gehörte zu den Demonstranten, die bei den Protesten Hunderttausender gegen Korruption am 10. August von der Bereitschaftspolizei verletzt wurden. Über 700 Ermittlungsverfahren wegen Polizeibrutalität laufen seitdem, doch das Interesse der Ermittler scheint eingeschlafen. Eugen vermutet auch hier politische Einflussnahme:
"Dem Staatsanwalt, der die Ermittlungen begonnen hat, ist ein fingiertes Disziplinarverfahren angehängt worden, aus nicht nachvollziehbaren Gründen; und das rein zufällig genau zu dem Zeitpunkt, als er das Ermittlungsverfahren über die gewalttätigen Ausschreitungen aufgenommen hat. Ich glaube an keine solchen Zufälle."
Eugen Petala
Jedes Mal, wenn Eugen Petala zurück zum Siegesplatz geht, auf dem er und die anderen von den Sicherheitskräften brutal zusammengeschlagen wurden, verzweifelt er an der rumänischen Justiz. All das bestärke seinen Eindruck eines ernsten Problems, meint Stelian Ion, von der Partei zur Rettung Rumäniens. Wie sein Land unter solchen Vorzeichen den EU-Ratsvorsitz verantwortungsvoll durchführen und Vorbild für andere sein soll? Das ist dem Oppositionspolitiker ein Rätsel:
"Die Gesetzesänderungen der augenblicklichen Regierungsmehrheit zerstören schlicht und einfach den rumänischen Rechtsstaat. Und ich sage das mit viel Scham: die Regierung wird von Personen gesteuert, die reale strafrechtliche Interessen haben."
Stelian Ion, Abgeordneter
Gerade weil es zuvor Verbesserungen gegeben habe bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung, seien diese Rückschritte nun besonders bitter, so Richter Dragos Calin.
Er nimmt uns mit zum hohen Justizrat. Der entscheidet letztinstanzlich über die Abberufung von Richtern und Staatsanwälten:
"Natürlich werde ich weiterkämpfen. Das ist als Richter meine Pflicht. Ich habe geschworen, den Rechtsstaat und die Verfassung immer zu respektieren."
Dragos Calin
Wie sich sein Land nun weiter entwickelt, sagt Cailin, hänge vor allem von der EU ab. Nur wenn Europa genügend Druck ausübe, dann könne man die Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien vielleicht noch retten.