Russland Falsche Helden
Alarm! Die Deutschen greifen an. November 1941, einhundert Kilometer vor Moskau. 28 junge Soldaten der Panfilow-Brigade beschließen, den Feind zu stoppen. Eine Heldengeschichte beginnt.
Zuletzt opfern alle 28 ihr Leben, zerstören 18 Panzer – das ist der Kinofilm. Und das die historische Erinnerung: Zwölf Meter hoch, Gedenken an den Opfermut von General Panfilows 28 Soldaten. Es war der Artikel eines Kriegsreporters, der die Soldaten zu Nationalhelden machte. Generationen verehrten seitdem die Männer, die die Deutschen stoppen halfen. Doch dann tauchten immer mehr der 28 Märtyrer wieder auf – lebendig. Die ganze bittere Wahrheit verkündete im vergangenen Jahr der Direktor des Russischen Historischen Archivs. Er hatte zuvor bereits Dokumente ins Internet stellen lassen: Demnach konstatierte schon 1943 ein sowjetischer Militärstaatsanwalt: Alles frei erfunden.
Das Fernsehen berichtete dann, dass tatsächlich viele der bewunderten Märtyrer sich in Wahrheit ergeben und überlebt hatten. Der Regisseur des teuren russischen Kriegsfilms reagierte auf die historischen Enthüllungen empört:
"Diese Demaskierung und Entzauberung der Heldentaten ist sinnlos und unmoralisch."
Regisseur
Ein Blockbuster über einen längst als Fälschung enttarnten Mythos? Für den Kreml offenbar kein Problem, ein Drittel der Produktionskosten stammt aus staatlichen Mitteln. Auch beim Treffen der Nationalen Historischen Versammlung in diesem Jahr waren "Panfilows 28 Männer" ein Thema. Ein führender Militärhistoriker sagt Seltsames:
"Da gab es diese 28 Helden, reale Menschen. Unser wichtigstes Ziel ist es doch, das in einer guten Sprache, basiert auf existierenden Dokumenten, zu vermitteln."
Ein Historiker
Blenden Politik und Wissenschaft inzwischen selbst belegte Geschichte systematisch aus? In einem kleinen Kulturzentrum im Herzen Moskaus treffen wir den Historiker Ewgeni Ponosjenkow. Menschen wie ihn, die die Zitat "heilige Legende" der 28 in Frage stellen, bezeichnet der Kulturminister als schmutzigen Abschaum.
"Wenn der Kulturmister sagt: 'Ja, wir kennen dank der Archivdokumente die Wahrheit, werden aber trotzdem weiter lügen.' 30 Millionen in einen Film über eine Lüge stecken, also Reklame für die Schande machen – dann ist das im 21. Jahrhundert absolut unmöglich. Einzelne Gruppen treiben unser Land in Richtung Faschismus: Sie schaffen ein künstliches Feindbild, schüren künstlich Aggressionen in der Gesellschaft, denn nur so können sie sich an der Macht halten."
Ewgeni Ponosjenkow, Historiker, Buchautor und Regisseur
Kriegerische Mythen statt historischer Fakten – immer neue Stalin-Denkmäler sind ein weiteres Zeichen des neuen Trends: Der Triumpf über die Faschisten überlagert Stalins Gräueltaten, und selbst Iwan der Schreckliche erhält ein neues Denkmal. Er machte Russland stark.
Der Leiter des Meinungsforschungsinstituts Levada, inzwischen als ausländischer Agent gebrandmarkt, sieht den neuen Trend mit Sorge.
"Das ist ein Rückfall in totalitäre Ideologie oder, wenn Sie wollen, in die sowjetische Ideologie."
Lew Gudkow
Einzelne, das Individuum ist demnach unbedeutend, wertlos. Von Bedeutung ist nur die Größe des Staates. Bis zu welchem Grad ist die Bevölkerung denn inzwischen tatsächlich bereit für einen Krieg, wie stark und nachhaltig wirkt denn diese Propaganda tatsächlich?
"Die wirkt sehr intensiv, und ich würde das unbedingt beobachten. Ja, das ist auf jeden Fall sehr ernst."
Lew Gudkow
Der russische Kulturminister Medinski hat in Geschichte promoviert. Als viele Wissenschaftler fordern, ihm den Titel wegen gravierender Mängel abzuerkennen erwidert Medinski, seine Arbeit sei doch im Interesse Russlands. Patriotische Rhetorik entschuldigt keine Inkompetenz, schimpfen die Kritiker.
Auch bei der Privatvorführung des neuen Panfilow-Films für Putin und seinen kasachischen Gastgeber ist Medinskis Thema der neue Patriotismus: Außer den Regierungen hätten schließlich auch unzählige russische Privatleute in den patriotischen Film investiert. Er könnte ein Kassenhit werden…