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Schweiz Die Einweihung des Gotthard-Basistunnels

Sonne, See und Bergkulisse: Locarno lädt zum Träumen ein. Einst Magnet für Touristen aus dem Norden. Die vergangenen Jahre aber waren mau.

Von: Daniel Hechler

Stand: 29.05.2016 | Archiv

Durchbruch im Tunnel | Bild: BR

Megastaus und quälend langsame Züge schreckten viele ab. Nun hofft das Tessin auf eine neue Blüte. Mit dem Gotthard-Basis-Tunnel rückt die Schweizer Sonnenstube näher an den Rest der Eidgenossenschaft:

"Dass man auch eben als Tagestourist viel schneller im Tessin ist, viel mehr Leute kommen. Das ist natürlich gut für das Tessin."

Ein Tourist

Ab in den Süden auf nahezu flacher Fahrbahn mit Rekordtempo. Von Zürich nach Lugano in nur zwei Stunden – 45 Minuten Zeitgewinn. Mehr als 300 Züge sollen es pro Tag ab Dezember sein.

Mit 57 Kilometern ist es der längste Eisenbahntunnel der Welt. Die Strecke verläuft bis zu 2300 Metern unter dem Bergmassiv. Zwei Nothaltestellen in Sedrun und Faido gibt es. Von hier aus können Passagiere im Brandfall evakuiert werden.
20 Minuten dauert die Fahrt, bevor die Passagiere das Licht des Tessins erblicken. Der Auftakt für ein neues Eisenbahnzeitalter.

"Die erste Gotthard-Bahn ist schon mehr als 130 Jahre alt. Seither warten wir auf neue Bahninfrastruktur. Mit dem Flachbahnprojekt durch die Alpen wird wirklich Historisches realisiert. Es wird für die nächsten 100, 200 Jahre wegweisend sein."

Renzo Simoni, Vorsitzender der Geschäftsleitung Alptransit Gotthard AG

1999: der Urknall. Seither fressen sich Monstermaschinen durch Gesteinsmassen; bis zu 2400 Arbeiter Tag für Tag tief im Berg. Sie sprengen, bohren, löten - Knochenarbeit unter Tage bei 40 Grad. Einer von ihnen ist Matthias Wisniewski. Vom Ruhrpott kam der Bergbauingenieur in die Alpen. Der 53-Jährige war ein Mann der Steinkohle, als Wettersteiger Luft- und Kühlexperte. Mit dem Zechensterben aber suchte er 2003 einen neuen Job und fand ihn hier. Er ist der Mann der Lüfte: Etliche solcher Monsterventilatoren ließ Wisniewski verbauen.

"Uns hat es so gefallen, dass wir hier geblieben sind. Es war einfach fantastisch, auch von der Führung, weil dieses ganze Bauwerk ist ein kleines Bergwerk in Sedrun gewesen. Wir hatten zwei Schächte, wir waren autark für uns, wir hatten die Belüftungsanlagen wie auf einem Kohlebergwerk, nur dass wir anstatt Kohle Stein gefördert haben, um den Tunnel auszubringen."

Matthias Wisniewski, Bergbauingenieur

Wisniewski erlebte viele Aufs und Abs im Tunnel: Ein Kollege und Freund starb bei einem Unglück – sein persönlicher Tiefpunkt. 15. Oktober 2010: Der Hauptdurchschlag. Eine millimetergenaue Tiefenbohrung. Für ihn das Highlight.

"Lange Zeit stand dieser Termin in Frage, ob das überhaupt möglich ist, den zu halten. Das war schon wirklich toll. Ich habe mit meiner Band oben bei der Eröffnung gespielt. Wir hatten eine Band auf der Baustelle, da haben wir tolle Musik gemacht."

Matthias Wisniewski

Der Westfale ist nur einer von etwa 600 Bergarbeitern, Ingenieuren, Elektrotechnikern aus Deutschland. Der Tunnel: auch ein deutsches Projekt. Und doch lief hier so ziemlich alles besser als beim großen Nachbarn. Die Eröffnung: ein Jahr früher als geplant. Die Kosten seit 2008 stabil im Plan, keine Pannen, keine Peinlichkeiten. Was ist das Erfolgsrezept?

"Dieses Projekt basiert auf einem breiten Konsens in der Bevölkerung. Es ist legitimiert durch Volksabstimmungen, mehrere in der Schweiz. Es wurde darauf geachtet, dass sämtliche Interessenpartner von Beginn weg in die Planung mit einbezogen waren. Und das hat dazu geführt, dass man relativ rasch konsensuale Lösungen gefunden hat."

Renzo Simoni, Vorsitzender der Geschäftsleitung Alptransit Gotthard AG

Und doch: Es gibt Kritik. Eigentlich sollte der neue Gotthard-Tunnel das Herzstück einer europäischen Hochgeschwindigkeitstrasse werden. Von der Nordsee zum Mittelmeer im Rekordtempo. Doch damit ist im Norden hinter Basel Schluss. Im Süden hinter Mailand. Der längst zugesagte Ausbau der Trassen kommt nur schleppend voran. Züge müssen in die Warteschleife oder umständlich umgeladen werden. Auch deshalb wird die viel beschworene Verlagerung von der Straße auf die Schiene wohl erst einmal vertagt, auf 2020 oder gar noch später, wie Umweltschützer befürchten.

"Wenn dieser Basistunnel nicht genutzt wird, wenn nicht verlagert wird, dann haben wir hier eine Kathedrale in der Wüste gebaut. Das heißt, wir haben hier ein riesen finanzielles Loch, ein Prachtbauwerk, das nicht genutzt wird. Und das muss verhindert werden."

Manuel Herrmann, Alpeninitiative

Auch im Tessin sind längst nicht alle glücklich. Kleinere Orte wie Faido dürften mit der Neubaustrecke abgehängt werden. Bislang hält der Zug aus Zürich noch in dem 3000-Seelen-Nest. Doch das dürfte sich bald ändern. Der Bürgermeister stellt sich vorsichtshalber schon jetzt auf das Schlimmste ein.

"Sicher, wir werden etwas verlieren, und wir müssen unsere Kraft geben, um neue Projekte zu finden, um unsere Region attraktiv zu lancieren."

Roland David, Bürgermeister Faido

Und so liegen Verlierer und Gewinner des Tunnels im Tessin dicht nebeneinander. Letztere allerdings dürften in der Schweizer Sonnenstube weit zahlreicher sein.


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Schmidt Bernhard, Mittwoch, 01.Juni 2016, 10:06 Uhr

1. Gotthardtunnel

Was ist mit dem Gesteinsabraum passiert? Wo ist das Material hingschafft worden?

  • Antwort von Müller, Mittwoch, 01.Juni, 12:42 Uhr

    Der grösste Teil wird als Beton, Füllmaterial usw verwendet.