Türkei Neue Wohnungen für Kurden
Der kurdisch geprägte Südosten der Türkei. Nur wenige hundert Meter neben uns liegt Syrien. Unser Ziel: die Grenzstadt Nusaybin.
Hier lieferten sich türkische Sicherheitskräfte und Anhänger der als Terrororganisation eingestuften Kurdenmiliz PKK vor drei Jahren blutige Gefechte. Ein Viertel der Stadt lag in Trümmern. Lange Zeit durften ausländische Journalisten in Nusaybin nicht recherchieren.
Wir treffen Latif Özel, den örtlichen Vorsitzenden der Erdogan Partei AKP. Inzwischen errichtet der Staat mit Steuergeldern dort Neubauten, wo vor drei Jahren Bomben einschlugen:
"Etwa 25.000 bis 30.000 Menschen sind aus Nusaybin geflohen. Früher lebten hier 130.000. Jetzt sind es nur noch 103.000. Aber sie werden zurückkommen. Die Regierung hat hier eine sehr schöne neue Stadt gebaut."
Latif Özel, AK Partei, Nusaybin
Im Januar sollen die ersten Wohnungen übergeben werden. Diese seien nach modernstem Standard gebaut. Niemand werde benachteiligt, verspricht Özel. Wer durch einen Grundbucheintrag nachweisen könne, dass er hier gelebt hat, bekommt die entsprechende Immobilie.
Nusaybin im Frühjahr 2016: Türkische Sicherheitskräfte fordern PKK-Kämpfer auf sich zu stellen. Bis heute beschuldigen sich beide Seiten, den Konflikt mit tausenden Toten nach einem missglückten Friedensprozess provoziert zu haben. Trotz Verhandlungen misstrauten sich Staat und Kurdenmiliz. Offenbar brachte die PKK vor und während des Friedensprozesses Munition und Waffen nach Nusaybin, um monatelang kämpfen zu können.
Zur selben Zeit etwa 150 Kilometer westlich: Diyarbakir, die heimliche Hauptstadt der Kurden. Die türkische Armee feuert mit Artillerie und aus der Luft in die Sur genannte Altstadt. Diyarbakirs mehrere tausend Jahre alter Stadtkern wird zu großen Teilen zerstört. Mehr als tausend Gebäude und Denkmäler nur noch Schutt und Asche.
Auch hier investiert inzwischen der türkische Staat, zum Beispiel in die Renovierung einer Moschee. Der Bürgermeister der Altstadt wurde wegen angeblicher Nähe zur PKK abgesetzt. Der vom Staat eingesetzte und ständig von Sicherheitskräften begleitete Bürgermeister präsentiert die Neubauten. Bewohner der Altstadt, deren Häuser zerstört wurden, sollen diese bald zu günstigen Konditionen kaufen dürfen. Eine Eins-zu-eins-Entschädigung wie in Nusaybin gibt es nicht.
"Seit drei Jahren gibt der Staat Miethilfe, knapp 200 Euro Miethilfe. Eigentlich hätte man das früher stoppen können, aber wir wollten soziale Spannungen vermeiden. Der Staat hat mehr als nötig getan."
Abdullah Ciftci, vom Staat eingesetzter Bürgermeister
Im Anschluss drehen wir die Bilder, die uns der Bürgermeister lieber vorenthalten hätte. Erst dann zeigt sich, wie heftig der Angriff der türkischen Sicherheitskräfte auf die in der Altstadt verschanzten PKK-Kämpfer war. Luftwaffe und Artillerie haben auch eine vor wenigen Jahren restaurierte armenische Kirche in Mitleidenschaft gezogen.
Der kurdische Schriftsteller Seyhmus Diken zeigt uns die Stelle in der Altstadt Diyarbakirs, wo einst sein Elternhaus stand. Diken ist vorsichtig. Zur Frage, wer an diesem Konflikt schuld sei, will er nichts sagen. Beide Seiten hätten Fehler gemacht. Doch eins stehe fest: Durch die Zerstörung sei auch ein Teil der kurdischen Identität zerstört worden.
"Wir haben einen Teil unserer kulturellen Erinnerung verloren. Wir reden von einem Ort, an dem seit 5000 Jahren Menschen gelebt haben. Bis in die 50er Jahre, war die Altstadt das Zentrum des städtischen Lebens. Jetzt habe ich das Gefühl, die Stadt gehört nicht mehr zu mir."
Seyhmus Diken, Schriftsteller
Zurück in Nusaybin: Vor dem Konflikt lag die Erdoganpartei AKP unter zehn Prozent. Nach den Kämpfen konnte sie sich um wenige Prozentpunkte steigern. Im März 2019 finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Latif Özel hofft, dass das 200 Millionen Euro teure neue Stadtviertel seiner Partei hilft:
"So Gott will: ich hoffe, die Bürger kommen vom falschen Weg ab und unterstützen in Zukunft den Staat."
Latif Özel, AK Partei
Doch offenbar sind nicht alle Bürger Nusaybins begeistert von der Formel Wahlstimmen für Wohnungen:
"Keiner ist zufrieden. Man hatte ein ganzes Grundstück. Jetzt soll man stattdessen eine Wohnung bekommen."
Ein Anwohner
Vorsichtig sind die Menschen in Nusaybin. Wenn man fragt, wem sie im März ihre Stimme geben wollen, lehnen viele ein Interview ab. Zumindest dieser Verkäufer von Zuckerkringeln sagt unverhohlen seine Meinung:
"Das hier ist Nusaybin. Das ist das Zentrum der HDP. Mit Gottes Hilfe bekommen wir mehr als 90 Prozent."
Verkäufer
Das Wohnungsbauprojekt der türkischen Regierung lässt nach und nach die sichtbaren Spuren der Kämpfe vor drei Jahren verschwinden, doch vergessen sind sie längst nicht. Noch sind die seelischen Wunden bei vielen im Südosten der Türkei zu tief.